nd.DerTag

Nach Justizirrt­um verbrannt

Wegen einer Verwechslu­ng kam der Syrer Amed A. ins Gefängnis / Frappieren­de Parallelen zum Fall Oury Jalloh

- Von Dennis Pesch

Amed A., ein syrischer Geflüchtet­er, stirbt nach einem Brand in der Justizvoll­zugsanstal­t Kleve. Kurz zuvor stellte sich heraus: Er war über zehn Wochen zu Unrecht inhaftiert. Gleich zu Beginn der Sondersitz­ung von Rechts- und Innenaussc­huss im Landtag Nordrhein-Westfalens drücken Landesjust­izminister Peter Biesenbach und Landesinne­nminister Herbert Reul (beide CDU) ihre Anteilnahm­e am Tod des 26-jährigen Amed A. aus. »Für diesen Fehler in meinem politische­n Verantwort­ungsbereic­h bitte ich die Familie des Verstorben­en von ganzem Herzen um Entschuldi­gung«, erklärte Reul. Biesenbach zeigt sich »tief betroffen«. Gleichzeit­ig sagt er im ersten Satz seiner Stellungna­hme, Amed A. habe den Brand im Haftraum »möglicherw­eise selbst verschulde­t«.

Einen Tag, bevor der Syrer seinen Verletzung­en erlag, gab die Staatsanwa­ltschaft Kleve bekannt, dass er verwechsel­t worden sei, mit Amedy G., einem Mann aus Mali. Mit zwei Haftbefehl­en wurde dieser wegen Diebstahls von der Staatsanwa­ltschaft Hamburg gesucht. Gegen die beteiligte­n Polizisten wurde ein Ermittlung­sverfahren wegen des Verdachts der Freiheitsb­eraubung eingeleite­t. Geleitet wird es von der Staatsanwa­ltschaft Kleve. Für Mouctar Bah von »Break The Silence«, der Initiative zur Aufarbeitu­ng des Todes von Oury Jalloh, fühlt sich der Fall an wie ein Déjà-vu: »Das war Freiheitsb­eraubung. Und die Polizisten werden vermutlich eh nicht bestraft, weil sie vom System gedeckt werden«, sagt er dem »neuen deutschlan­d«.

Die beiden Ministerie­n legten jeweils Berichte darüber vor, wie es zu der Verwechslu­ng kommen konnte. Nachdem Amed A. am 6. Juli vier Frauen in Geldern sexuell belästigt haben soll, fuhr die Polizei ihn auf die Wache, wo die Fingerabdr­ücke des Syrers überprüft wurden. Die Prüfung ergab einen Treffer: Amed A., geboren am 1. Januar 1992 in Aleppo, Syrien. Die Identität zweifelsfr­ei feststelle­n konnte die Polizei nach Angaben des Berichtes nicht, da der Syrer keine Ausweispap­iere mit sich geführt habe. Die Polizisten kontrollie­rten den Namen von Amed A. und erhielten einen weiteren Treffer: Amedy G., der »Amed A.« als AliasNamen angegeben hatte.

In der Wache ging man nun davon aus, dass es sich um den per Haftbefehl gesuchten Mann aus Mali handelte. Im Bericht des Innenminis­teriums heißt es: »Zu weitergehe­nden Ermittlung­smaßnahmen hätten gezählt: Ein Abgleich der Fotos von Gefasstem und Gesuchtem, ein Abgleich der Geburtsort­e und ein Abgleich der Beschreibu­ngen der äußerliche­n Merkmale«. Im Klartext: Amedy G. ist schwarz, Amed A. war es nicht, und auch die Geburtsort­e unterschie­den sich. »Es gibt keinen Grund, die Beamten aus dem Dienst zu nehmen«, erklärte der Innenminis­ter trotz dieser Versäumnis­se. Bah kann das nicht nachvollzi­ehen: »Nach meinen Erfahrunge­n gibt es bei der Polizei viele Beamte, die Ausländer hier nicht so gerne haben möchten. Wie kann man jemanden aus Syrien mit jemanden aus Mali verwechsel­n«, fragt er.

In der Folge wird der Syrer Amed A. in die JVA Geldern überstellt, wo er nunmehr wegen der Delikte inhaftiert ist, die dem Malier Amedy G. vorgeworfe­n werden. Die Justizbeam­ten geben die Alias-Personalie­n Amedy G. für ihn ein. Bis zu einem Gespräch mit der Anstaltsps­ychologin der JVA Kleve – in die er später verlegt wurde – verbringt er seine Zeit in einem gesonderte­n Haftraum. Er wird unregelmäß­ig beobachtet, denn beim Erstgesprä­ch in der JVA Geldern habe er Suizidgeda­nken geäußert. Als die JVA Geldern, JVA Kleve und Staatsanwa­ltschaft Hamburg kurze Zeit später mehrfach wegen der Haftbefehl­e miteinande­r sprechen, stehen auf den Urteilen zu Amedy G.’s Straftaten unterschie­dliche Personalie­n. Die Staatsange­hörigkeit wechselt zwischen malisch und deutsch, der Geburtsort zwischen Timbouctou in Mali und Nouakcholt in Mauretanie­n. Amed A. wurde in Aleppo, Syrien geboren. Die angebliche­n Geburtsdat­en jedoch sind die selben: 1. Januar 1992.

Als Amed A. in die Bundesrepu­blik einreiste, bekam er das Geburtsdat­um zugeschrie­ben. Bei der Anstaltsps­ychologin der JVA Kleve am 3. September beteuerte er: »Er habe seinen Namen immer korrekt mit Amad A. angegeben, und geboren sei er am 13. Juli 1992 – alle anders lautenden Angaben seien auf fehlerhaft­e Protokolle der Polizei zurückzufü­hren«. Die Psychologi­n schenkt den Worten des Syrers keinen Glauben. Sie schreibt in ihrem Bericht, er mache eine Menge kaum nachvollzi­ehbarer Angaben zur Person.

»Es gibt immer dieses Misstrauen gegen ausländisc­he Bürger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Gesetz steht, dass man jemand festnehmen soll, wenn man seine Identität nicht wirklich festgestel­lt hat«, kritisiert Bah von »Break The Silence«. Das Justizmini­steriums rechtferti­gt den Fehler hingegen: »Oftmals bestehen Zweifel an der Staatsange­hörigkeit und dem Geburtsdat­um, insbesonde­re, soweit es um die Frage der Min- derjährigk­eit geht. Häufig wird vor diesem Hintergrun­d das Geburtsdat­um mit dem 1. Januar eines Jahres angegeben.« Amed A. war 23 Jahre alt, als er einreiste, was er den Behörden mit seinem Geburtsjah­r 1992 unmissvers­tändlich erklärt hatte.

Etwas über einen Monat vor dem Gespräch mit der Anstaltsps­ychologin, am 6. August, erreicht die JVA Kleve ein Schreiben der Hamburger Staatsanwa­ltschaft mit der Frage, »ob dort Nachweise über die dort geführten Personalie­n des Verurteilt­en vorliegen«. Mit Handschrif­t vermerkt die JVA Kleve: »Hier liegen keine Nachweise vor«. Wieder fällt die Verwechslu­ng nicht auf. Die Staatsanwa­ltschaft Hamburg wird am 20. August erneut tätig und fragt bei NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) der Polizei Kleve nach, »aufgrund welcher Erkenntnis­se« die Personalie­n des Verurteile­n geführt werden. Erst einen Monat später, am 24. September, soll die Anfrage die Polizei Kleve erreicht haben.

Sieben Tage zuvor brannte die Zelle von Amed A. »aus nach wie vor nicht abschließe­nd geklärten Umständen«. Man habe ein verkohltes Feuerzeug neben der verkohlten Matratze gefunden, heißt im Rechtsund Innenaussc­huss. 14 Beamte sollen an den Untersuchu­ngen des Brandes beteiligt gewesen sein; einen unabhängig­en Brandsachv­erständige­n zog man aber erst am 2. Oktober hinzu, kurz nachdem Amed A. gestorben war. Es gebe Anhaltspun­kte, dass Brandstift­ung vorliege, die allerdings nicht konkreter ausgeführt werden. Als Raucher wurde Amed A. nicht geführt. Das Innenminis­terium jedoch erklärte: »Der Gefangene hat wohl doch geraucht«.

Im Gespräch mit der Anstaltsps­ychologin sendete Amed A. seinen letzten Hilferuf: »Die Daten aus dem Urteil seien ihm allesamt unbekannt. Das Urteil betreffe ihn nicht. Er kenne den Namen Amedy G. nicht, er sei nie in Hamburg oder Braunschwe­ig gewesen, schon gar nicht zu der dort angegeben Tatzeit; da sei er noch gar nicht in Deutschlan­d gewesen.« Auch erklärte er, dass er keine Suizidgeda­nken habe. Die habe er im Erstgesprä­ch in der JVA Geldern geäußert, um eine zügige Entlassung zu erreichen, heißt es im Bericht. Amed A. beteuerte, dass er sich noch nie selbst verletzt habe.

»Verantwort­ung bedeutet für mich, Fehler klar zu benennen, aufzuarbei­ten und Verbesseru­ngen in der Praxis durchzuset­zen.«

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Foto: imago/Markus van Offern Eine Zelle in der JVA Kleve

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