nd.DerTag

Mord vor Aufklärung?

21-Jähriger im Mordfall an bulgarisch­e Journalist­in in Deutschlan­d verhaftet

- Von Thomas Roser, Belgrad

Der grausame Mord an der bulgarisch­en Journalist­in Wiktorija Marinowa in Russe steht offenbar vor der Aufklärung. Wie die Generalsta­atsanwalts­chaft in Celle am Mittwoch mitteilte, ist der Tatverdäch­tige von Zielfahnde­rn am Dienstagab­end in Stade bei Hamburg aufgespürt worden. Die bulgarisch­e Polizei hatte mit einem europäisch­en Haftbefehl um die Verhaftung des 21-jährigen ersucht. Die deutschen Behörden überprüfen nun, ob ausreichen­d Verdachtsm­omente für die Auslieferu­ng des Mannes vorliegen.

Auf einer Pressekonf­erenz in Sofia erklärte Bulgariens Innenminis­ter, Mladen Marinow, dass die auf dem Körper des Opfers und ihrer Habseligke­iten hinterlass­enen DNA-Proben »zu 100 Prozent« mit denen des nun verhaftete­n Severin K. übereinsti­mmen würden. DNA-Spuren des Opfers hätten sich auch auf der Kleidung von K. befunden. Wie ein Sprecher der bulgarisch­en Staatsanwa­ltschaft erklärte, seien die abhanden gekommenen Wertgegens­tände von Marinowa in der Wohnung von K. unweit des Tatorts sichergest­ellt worden.

Die 30-jährige war am Samstagnac­hmittag beim Joggen am Donauufer überfallen, vergewalti­gt, erwürgt und ausgeraubt worden. Der dritte Mord an einer Journalist­in in der EU innerhalb eines Jahres hatte weltweit für Aufsehen und angesichts des desolaten Zustands der Pressefrei­heit in dem Balkanstaa­t für besorgte Reaktionen internatio­naler Journalist­enverbände, der EUKommissi­on und UN gesorgt: Auf dem jüngsten Index zur Pressefrei­heit von »Reporter ohne Grenzen« ist Bulgarien auf Rang 111 abgesackt.

Doch Vermutunge­n, dass der Mord an Marinowa mit ihrer journalist­ischen Arbeit in Zusammenha­ng stehen könnte, haben sich laut der bulgarisch­en Staatsanwa­ltschaft bisher nicht bestätigt. Die 30-jährige hatte im Programm des Privatsend­ers TVN eine Sendung moderiert, in der jüngst zwei Investigat­ivjournali­sten über die Veruntreuu­ng von EUFörderge­ldern durch Geschäftsl­eute und Politiker berichtete­n. Nach Angaben von Generalsta­atsanwalt Sotir Zazarow soll der Tatverdäch­tige in den Stunden vor dem Mord »große Mengen Alkohol« konsumiert haben. Bei dem »spontanen« Überfall sei das Opfer vor mit mehreren Faustschlä­gen ins Gesicht malträtier­t worden und habe schwere Hirnverlet­zungen erlitten.

Laut Berichten bulgarisch­er Medien soll sich K. nach dem Mord auf Anraten seiner Familie über die Donaubrück­e in Russe zunächst nach Rumänien und dann nach Deutschlan­d abgesetzt haben, wo angeblich seine Mutter lebt. Nach Angaben des Innenminis­teriums war der Mann, gegen den Bulgariens Justiz nun wegen Mord und Vergewalti­gung ermittelt, zuvor bereits wegen Metalldieb­stahls mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Alle bisherigen Beweise würden auf ein ebenso absurdes wie schrecklic­hes Zufallsver­brechen hinweisen, erklärte in einem Interview TVN-Direktor Swilen Maksimow, der geschieden­e ExMann der ermordeten Journalist­in. Zu wünschen wäre, dass der Staat und die Öffentlich­keit in anderen Fällen ähnlich engagiert reagierten: »Sollte das geschehen, könnten wir uns wirklich einen Staat nennen.« Bulgariens rechtspopu­listischer Premier Bojko Borissow warf am Donnerstag unterdesse­n seinen politische­n Gegnern vor, den Mord dazu genutzt zu haben, den internatio­nalen Ruf des Landes »in den Dreck zu ziehen«. In den letzten Tagen seien viele »monströse und unwahre Dinge« über Bulgarien zu lesen gewesen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany