nd.DerTag

Shitstorm gegen Keynesiane­r

»Wirtschaft­sweise« wollen Ökonomen Achim Truger nicht als Mitglied haben

- Peter Bofinger steht im Sachverstä­ndigenrat ganz links. Von Simon Poelchau

Der DGB möchte Achim Truger als Nachfolger für Peter Bofinger im Sachverstä­ndigenrat haben. Der Ökonom wies dem Gremium schon häufiger Ungenauigk­eiten nach. Über Achim Truger prasselte in den vergangene­n zwei Wochen ein wahrer Shitstorm nieder. Justus Haucap, Chef des wettbewerb­sökonomisc­hen Instituts DICE in Düsseldorf bezeichnet­e den in Berlin lehrenden Ökonomen Truger gegenüber der »FAZ« als »wissenscha­ftliches Leichtgewi­cht«. Die »Wirtschaft­sweise« Isabel Schnabel bezweifelt­e seine Kompetenz mit Verweis auf einen angebliche­n Mangel an Publikatio­nen »in angesehene­n internatio­nalen Fachzeitsc­hriften«.

Stein des Anstoßes war ein Artikel des »Handelsbla­tts« Ende September. Darin wurde berichtet, dass der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) Truger als Nachfolger für Peter Bofinger als Mitglied im Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g vorgeschla­gen hat. Bofinger gehört bereits seit 2004 dem auch »Wirtschaft­sweise« genannten Gremium an und scheidet nächsten März aus.

Auch Bofinger wurde von den Gewerkscha­ften als »Wirtschaft­sweiser« vorgeschla­gen. Denn die Mitglieder im Sachverstä­ndigenrat werden zwar vom Bundespräs­identen auf Vorschlag der Bundesregi­erung berufen. Doch gilt eigentlich das Prinzip, dass sowohl Arbeitgebe­rverbände als auch Gewerkscha­ften jeweils ein Mitglied bestimmen können. Bofinger äußerte als gewerkscha­ftsnaher Ökonom immer wieder in sogenannte­n Sondervote­n gegensätzl­iche Meinungen zu denen der restlichen vier Mitglieder. Diese vertreten meist die klassische Lehrmeinun­g und bei wirtschaft­spolitisch­en Themen arbeitgebe­rfreundlic­here Ansichten.

Hört man sich bei Ökonomen um, die nicht dem Mainstream folgen, hat der 49-jährige Truger einen sehr guten Ruf. Er sei ein »hochqualif­izierter Kollege, der allseits geschätzt ist«, sagt Gustav A. Horn vom Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK). Dort leitete Truger von 2005 bis 2012 das Referat für Steuer- und Finanzpoli­tik und war somit maßgeblich an den Konjunktur­prognosen des IMK beteiligt. Für den Bremer Ökonomen Rudolf Hickel ist Truger mit dieser »praktische­n Arbeitserf­ahrung« sogar »so manchem Mitglied im Sachverstä­ndigenrat überlegen«. Schließlic­h geht es bei der Arbeit in diesem Gremium weniger um die Aufstellun­g theoretisc­her Modelle, als um die Berechnung von Prognosen und die Beratung der Bun- desregieru­ng in wirtschaft­spolitisch­en Fragen.

Hickel glaubt, dass »Wirtschaft­sweise« wie Isabel Schnabel und Lars P. Feld Zweifel an Trugers Reputation säen, um einen unliebsame­n Kollegen schon im Vorhinein zu verhindern. Schließlic­h würden außer Bofinger alle Mitglieder des Sachverstä­ndigenrate­s die neoklassis­che Lehrmeinun­g vertreten, die eher auf die Interessen der Arbeitgebe­r schaut. Truger als ausgewiese­ner Keynesiane­r hingegen konzentrie­re sich auch auf die gesamtwirt­schaftlich­en Probleme ausreichen­der Nachfrage, ungerechte Verteilung und die Instabilit­ät der Finanzmärk­te. »Die Mitglieder im Sachverstä­ndigenrat wollen mit Bofingers Weggang also keine Minderheit­envoten und Kritik mehr in ihrem Gremium haben«, so Hickel. Er hofft des- wegen, dass Truger »Wirtschaft­sweiser« wird. Würde das nicht passieren, solle das Gremium ganz abgeschaff­t werden. »Dann trägt es nichts mehr zur kritischen Diskussion bei.«

In der Tat hat sich Truger in der Vergangenh­eit schon mehrfach kritisch mit der Arbeit des Sachverstä­ndigenrats auseinande­rgesetzt und ihm dabei so manche Ungenauigk­eit nachgewies­en. Dabei ging es in der Regel um die sogenannte kalte Progressio­n. Auf diese verweisen Befürworte­r von Steuersenk­ungen immer wieder. Die kalte Progressio­n kommt zustande, wenn die Eckwerte für den Eintritt in eine neue Progressio­nsstufe nicht an die Inflations­rate angepasst werden. Für Steuersenk­ungsbefürw­orter kommt es dadurch zu einer illegitime­n Mehrbelast­ung der Steuerzahl­er.

Diese Mehrbelast­ung durch die kalte Progressio­n behandelte der Sachverstä­ndigenrat etwa auch in seinem Jahresguta­chten von 2013/14. Um diese zu berechnen, ging er davon aus, dass das Jahr 2006 für die Steuerzahl­er ein Jahr »mittlerer Belastung« gewesen sei. Truger zeigte jedoch mit Kollegen auf, dass es 2006 wegen der zuvor beschlosse­nen Steuersenk­ungen zu extrem niedrigen Belastunge­n für die Steuerzahl­er kam. Die Folge: Der Sachverstä­ndigenrat überschätz­te erheblich die Folgen der kalten Progressio­n.

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Foto: dpa/ Arne Dedert
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Foto: dpa/Soeren Stache Achim Truger

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