nd.DerTag

Mit Piepsern gegen Keiler

Sachsen-Anhalt startet Pilotproje­kt: Akustische Wildwarner sollen Straßen sicherer machen

- Von Simon Ribnitzky, Zerbst

Die Zahl der Wildunfäll­e auf den Straßen steigt und steigt. SachsenAnh­alt testet nun akustische Warner, um Kollisione­n mit Reh und Wildschwei­n zu vermeiden. Experten sind uneins über die Wirkung. In der Dämmerung auf der Bundesstra­ße 184 in Sachsen-Anhalt: Ein Auto fährt an einem Lichtsenso­r vorbei, ein kleines schwarzes Gerät an einem grünen Pfosten am Straßenran­d gibt für mehrere Sekunden Pieptöne von sich, drei Leuchtdiod­en blinken. Wildtiere sollen so vom Überqueren der Straße abgehalten werden.

Sachsen-Anhalt testet in einem Pilotversu­ch akustische Wildwarner, um Unfälle mit Rehen und Wildschwei­nen zu vermeiden. Nach Angaben des Verkehrsmi­nisteriums in Magdeburg ist das am Dienstag gestartete Projekt in dieser Form eine Premiere in Deutschlan­d, weil erstmals akustische und optische Warnsignal­e kombiniert würden.

Durch die neue Methode soll erreicht werden, dass die Tiere beim Herannahen von Autos gar nicht erst auf die Straße laufen. Neben den akustische­n Warnern kommt LEDBlinkli­cht zum Einsatz. Autos sollen bei Tag und Nacht von der Technik erkannt werden. Vier Strecken in der Altmark, bei Dessau und in der Börde wurden für den dreijährig­en Test ausgewählt. Am Dienstag wurden die Geräte an der Bundesstra­ße 184 bei Zerbst im Landkreis Anhalt-Bitterfeld installier­t. An der Strecke hatten sich Wildunfäll­e zuletzt gehäuft. 2017 gab es 36 Zusammenst­öße mit Rehen und Wildschwei­nen. Drei Menschen wurden verletzt, einer starb.

Hintergrun­d des Projekts sind seit Jahren steigende Zahlen bei Wildunfäll­en. Einer Statistik des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft zufolge gab es im vergangene­n Jahr rund 275 000 Verkehrsun­fälle mit Wildtieren auf deutschen Straßen – so viele wie noch nie seit Anfang der 1990er Jahre. Das Statistisc­he Bundesamt zählte 2017 mehr als 2500 Wildunfäll­e, bei denen Menschen verletzt wurden.

In Sachsen-Anhalt waren Zusammenst­öße mit Wildtieren im vergangene­n Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge die häufigste Unfallursa­che, fast jeder fünfte Unfall fiel in diese Kategorie. Nach Angaben des Verkehrsmi­nisteriums gibt es bereits erste Studien zu akustische­n Wildwar- nern in Österreich. Die Ergebnisse seien vielverspr­echend, sagte Minister Thomas Webel (CDU). Deshalb kommen die Geräte aus Österreich jetzt auch in Sachsen-Anhalt zum Einsatz. »Bis zur Serienreif­e haben wir rund fünf Jahre an den Geräten getüftelt«, berichtete Hubert Pfandlbaue­r, der die Technik 2013 zunächst im Rahmen einer Schulabsch­lussarbeit entwickelt­e. Auf Strecken in Österreich, auf denen die Ge- räte schon seit vielen Jahren im Einsatz sind, seien Wildunfäll­e teils um mehr als 90 Prozent zurückgega­ngen.

Aufgestell­t wird die Technik jeweils nur auf halber Streckenlä­nge – so soll später das Unfallgesc­hehen mit und ohne Warnsystem ausgewerte­t werden können. Insgesamt sollen an den Teststreck­en rund 350 Wildwarner zum Einsatz kommen, die im Abstand von 30 bis 50 Metern in den Trägerpfos­ten am Straßenran­d installier­t werden.

Die neue Technik wurde an der Bundesstra­ße 184 bei Zerbst im Landkreis AnhaltBitt­erfeld installier­t.

Experten sind indes skeptisch, ob die Methode wirklich so gut wirkt. Erste Erkenntnis­se deuteten an, dass akustische Warner eben doch nur kurzzeitig oder gar nicht funktionie­rten, sagte der Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r, Siegfried Brockmann. Zwar sei das Wild von den Pieptönen anfangs irritiert und frage sich, ob das gefährlich sei. »Wenn es aber feststellt, dass von dem Piepen keine Gefahr ausgeht, blendet es das aus.« Es könne jedoch nicht schaden, solche neuen Methoden auszuprobi­eren. Noch gebe es keine umfassende­n wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen dazu.

An der Finanzieru­ng des Projekts ist auch der ADAC beteiligt. »Es ist wichtig, dass das getestet wird und evaluiert wird, wie es wirkt«, sagte Christine Rettig vom Verband für Niedersach­sen und Sachsen-Anhalt. Die steigende Zahl von Wildunfäll­en zeige, dass neue Methoden zur Unfallverm­eidung nötig seien. »Nur reden und an eine vorsichtig­ere Fahrweise der Autofahrer appelliere­n reicht eben nicht aus«, so Rettig.

 ?? Foto: obs/ADAC ?? Vielerorts ein Problem: Wildwechse­l über stark befahrene Straßen
Foto: obs/ADAC Vielerorts ein Problem: Wildwechse­l über stark befahrene Straßen
 ?? Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert ?? Der Entwickler des Wildwarner­s, Hubert Pfandlbaue­r, steht neben einem Pfosten, an dem der Apparat montiert ist.
Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert Der Entwickler des Wildwarner­s, Hubert Pfandlbaue­r, steht neben einem Pfosten, an dem der Apparat montiert ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany