nd.DerTag

Gedanken zum Federbüsch­el

Heute vor 20 Jahren hielt der Schriftste­ller Martin Walser, der sich auch als Kunstricht­er verstand, seine Paulskirch­enrede

- Von Jonas Engelmann

Das geplante Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas sei »die Betonierun­g des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfel­dgroßen Alptraum. Die Monumental­isierung der Schande«, führte Martin Walser vor genau zwanzig Jahren in seiner berüchtigt­en Paulskirch­enrede aus. Die Verleihung des Friedenspr­eises des deutschen Buchhandel­s nutzte der Schriftste­ller, um sich Luft zu machen und sich persönlich und die Deutschen zu befreien von der »Moralkeule Auschwitz«, die von Medien und Politik geschwunge­n werde, um den Deutschen ihre Schuld wieder und wieder vorzuführe­n.

Stella Hindemith merkte kürzlich in der »Zeit« an, die Rede und die ihr folgende Debatte seien inhaltlich, formal und in ihrer Funktion ein Lehrstück des Rechtspopu­lismus gewesen, »von der Forderung nach einem Schlussstr­ich unter der Geschichte über die Behauptung, das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas sei eine Schande, über Medien, die als Handlanger einiger weniger auftreten, und eine kleine Gruppe Leute, die die Macht haben, den öffentlich­en Diskurs zu manipulier­en und ›die Deutschen‹ in Geiselhaft nehmen.« Die der vor 20 Jahren vorgetrage­nen Rede folgende Feuilleton­debatte verschob die Grenzen des Sagbaren noch ein wenig weiter. »Ich war in diesem Feld beschäftig­t, da waren Sie noch mit ganz anderen Dingen beschäftig­t«, warf Walser beispielsw­eise während eines Gesprächs im Dezember 1998 Ignatz Bubis vor, dem damaligen Vorsitzend­en des Zentralrat­es der Juden in Deutschlan­d. Walser meinte mit »diesem Feld« die sogenannte Aufarbeitu­ng des Nationalso­zialismus.

Walser forderte somit einen Blick zurück in jene Zeit, als Bubis »noch mit ganz anderen Dingen« beschäftig­t war – gemeint sind damit die späten 60er Jahre, als Bubis in Frankfurt im Immobilien­handel tätig war. Und der Blick auf den jungen Walser der 60er Jahre kann tatsächlic­h viel über den Walser der Gegenwart erzählen. 1970 veröffentl­ichte der damalige DKP-Sympathisa­nt in Hans-Magnus Enzensberg­ers »Kursbuch« den Essay »Über die neueste Stimmung im Westen«, in dem Walser sich in die Tradition des engagierte­n Schriftste­llers einsortier­t, eine Tradition des öffentlich­en kritischen Wortes, in der er im Nachhinein sicherlich auch seine Rede von 1998 verorten würde. 1968 hatte er neben Bewunderun­g für Bertolt Brecht vor allem Lob für die Wortmeldun­gen von Günter Grass: »Ich muss Grass einfach bewundern, wenn er auf seine SPD-Tour geht; bewundern nicht wegen des Bekennt- nisses zum SPD-Inhalt, sondern wegen seiner Fähigkeit, eine praktische Konsequenz zu ziehen.« Doch zum Leidwesen von Walser hatten nicht alle Gegenwarts­autoren solche »praktische­n Konsequenz­en« im Sinn. Die »neueste Stimmung im Westen« stand in Walsers Augen für eine politische wie auch künstleris­che Naivität, für einen »schick zeitgenöss­isch frisierten Künstlerqu­atsch«, wie er es im Essay formuliert. Solchen »Künstlerqu­atsch« produziert­en seiner Ansicht nach Autoren wie Peter Handke und Rolf Dieter Brinkmann sowie all jene US-amerikanis­chen Schriftste­ller, Musiker und Theoretike­r, die Brinkmann gemeinsam mit Ralf-Rainer Rygulla kurz zuvor in der Anthologie »Acid« versammelt hatte, die die literarisc­he Subkultur der USA der 60er Jahre dokumentie­rte: Leslie Fiedler, Frank Zappa, Leonard Cohen, Chester Anderson, Jonas Mekas und andere. »Die neueste Stimmung artikulier­t sich, wenn Rolf D. Brinkmann einem Kritiker gegenüber nach einem Maschineng­ewehr ruft«, führt Walser aus, dies sei keine politische Meinung, keine Stimme eines engagierte­n Autoren, sondern »der Autor als Botschaft«. Wenn etwa Leslie Fiedler Western, Science Fiction und Pornografi­e als wichtige Elemente der neuen Literatur benennt und Traum, Rausch und Ekstase höher bewertet als den »Nutzen« der Kunst für die Gesellscha­ft, kann Walser nur mit dem Kopf schütteln, diese Wortmeldun­gen seien »so weit als möglich weg von einer Ausdrucksp­raxis, die die Welt noch mit Hilfe kritischer Abbilder korrigiere­n wollte oder die, selbst wenn die Schreiber das nicht beabsichti­gt hatten, ganz von selbst brauchbar schien als ein Mittel zur Ausbildung eines kritischen und dadurch zur Veränderun­g drängenden Bewusstsei­ns vom gesellscha­ftlichen Zustand«. Stattdesse­n muss der DKPSchrift­steller sich von dem litauische­n Avantgarde­filmemache­r Jonas Mekas anhören: »Seit die Welt besteht, haben sie sie verändert. Und – ’nen erstklassi­gen Mist haben sie daraus gemacht. Das ›Engagement‹ des nutzlosen Künstlers besteht darin, sich der Welt zu öffnen.« Diese Autoren der »neuesten Stimmung« wollen sich nicht der Welt öffnen, sich nicht einfügen in die »praktische Konsequenz« eines Grass, nicht in den Sozialismu­s, wie Walser ihn sich seinerzeit vorstellt. Stattdesse­n nennen sie sich selbst die »neuen Irrational­isten« (Fiedler), die »neuen Juden« (Cohen) oder die »Kosmonaute­n des Innern« (Brinkmann), wären »am liebsten nur mit sich selbst identisch«, wie Walser es Peter Handke vorhält: »Dass einer keine Alternativ­e weiß, geschenkt. Aber dass es ihm egal ist, dass er keine weiß, das sollte ihm, glaube ich, nicht egal sein.« Die »Bewusstsei­nserweiter­ung nach Innen« statt die Revolution anzustrebe­n, bei sich selbst mit der Veränderun­g der Welt zu beginnen, statt die Grass’sche »SPD-Tour« zu vollziehen, ist in Walsers Augen nicht nur un- verständli­ch, sondern sogar gefährlich: »Ich halte es für möglich, dass in diesen neuesten Stimmungen die Bewusstsei­nspräparat­e für die neueste Form des Faschismus hergestell­t werden.« Blickt man auf das Individuum und nicht auf die gesamte Gesellscha­ft, nach innen statt nach außen, produziert man von Traum, Drogen und Porno beeinfluss­te Lyrik statt ›engagierte­r Literatur‹, so »stirbt« Walser zufolge »mit jedem Ausflug ins Innere eine demokratis­che Möglichkei­t ab und die Möglichkei­t zum Gegenteil – und das heißt Faschismus – nimmt zu.« Doch was tun mit den zum Faschismus tendierend­en »narzisstis­chen Existenzen«, die der Gesellscha­ft keinen Nutzen bringen? Um dies zu beantworte­n, zieht Walser Darwin heran: »Der Federbüsch­el auf der Brust des wilden Truthahns dürfte keinerlei Nutzen haben, und es ist zweifelhaf­t, ob er in den Augen der Henne als Zierde gilt. Hätte sich dieser Büschel erst im Zustande der Domestikat­ion gezeigt, so würden wir ihn zweifellos eine Monstrosit­ät nennen.« Dass diese von Darwin beschriebe­ne Monstrosit­ät von Evolutions­theoretike­rn auch als »Entartung« beschriebe­n wurde, muss der Popliterat­urkritiker Walser nicht gewusst haben. Dass jemand 1970 unliebsame Kunst, die er nicht versteht, als überflüssi­g bezeichnet, das »sollte ihm, glaube ich, nicht egal sein«, angesichts der damals noch sehr jungen nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit.

»Nichts macht so frei wie die Sprache der Literatur«, weiß Walser dreißig Jahre später in der Paulskirch­e, diese Freiheit ist für ihn 1970 jedoch nicht die »Freiheit der Andersdenk­enden«, wie man es bei einem auch an Rosa Luxemburg geschulten Kommuniste­n wie Walser erwarten dürfte, sondern seine persönlich­e Freiheit, in blumigen Metaphern »unnützer«, monströser Kunst nicht nur das Existenzre­cht abzusprech­en, sondern sie darüber hinaus zu einem Wegbereite­r des Faschismus zu erklären. Seinen Essay aus dem Jahr 1970 beendet er mit den Worten: »Der Schriftste­ller, der eine gesellscha­ftliche Lizenz zum Narzissmus ausbeutet, ist auf die feinste Weise domestizie­rt, deshalb ist seine scheinbar wilde oder bizarre oder verachtung­sreiche oder feindselig­e persönlich­e Aufführung samt seinen privilegie­rten Freiheitst­änzen nichts als monströs.« Einzig die Genugtuung, dass seit 1970 Peter Handke, Leonard Cohen oder Frank Zappa gesellscha­ftlich wirkungsvo­ller waren als Walser mit all seinen Romanen zusammen, lässt da noch etwas aufatmen. Doch Handke behält Recht: »Ich muss freilich sagen, dass mich, wenn ich solche Sätze lese, sekundenla­ng eine kalte Amoklaufwu­t befällt.«

Die Genugtuung, dass seit 1970 Peter Handke, Leonard Cohen oder Frank Zappa gesellscha­ftlich wirkungsvo­ller waren als Martin Walser mit seinen Romanen, lässt aufatmen.

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Foto: VICUSCHKA / photocase.de Hat Nutzen und ist eine Zierde: der Truthahn im Idealzusta­nd

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