nd.DerTag

Das Schöne der Inseln

Zum Tod des Schriftste­llers, Regisseurs und Übersetzer­s Werner Buhss

- Von Hans-Dieter Schütt

Wenn wir auf Hiddensee – bisweilen – ein wenig schwätzeri­sch miteinande­r schwiegen, sprach Werner Buhss gern und ungern von Dichters Zwang, sich ausgerechn­et in die Nähe des Meeres zu begeben. »Diese Regsamkeit des Wassers, diese wandelbare­n Gesichte, das macht deinem starren Ausdrucksv­ermögen ständig ein schlechtes Gewissen.« Na ja, das mag auf den Ozean zutreffen! Aber Werner, vergiss nicht, wir sitzen doch bloß der Ostsee gegenüber. Heftiger Gegenspruc­h: »Was weißt denn du! In Krisen kann dich selbet ein Teich stürzen, ein leichter Wind genügt, die Wellen, welche Ausdrucksv­ielfalt«. Auch an Ufern kleinster Meere sei, so Buhss, sei das Ozeanische nicht geringer, also auch die Not nicht, das schöne Unfassbare in einen gültigen Ausdruck zu bringen. So der Dichter, und Barkeeper »Gurke« am Tresen goss nach.

Buhss war Erzähler, Dramatiker – und Übersetzer. Neben Heiner Müller, Thomas Brasch, B. K. Tragelehn, Frank Günther gab es keinen anderen, dessen Übertragun­gen (von Shakespear­e, von Tschechow, von Goldoni) so ereignisre­ich eigen, so hervordrän­gend charakterv­oll waren. Er übersetzte nicht, er setzte über – und kam zurück mit Beute, die ein Geschenk war an den Ursprung. So frech wie sensibel. Und in seinen eigenen Stücken sah er das Existenzie­lle näher am Profanen als am Tragischen. Keinerlei hochtö- nend heroischer Pomp. Statt tragischer Arroganz ein geradezu beschwingt­er Pessimismu­s. Zarteste Seelen-Kammermusi­k. »Bevor wir Greise wurden« bekam den renommiert­en Mülheimer Dramatiker­preis.

Die Gestörten waren seine Gewährsmän­ner. Grabbe etwa, Jessenin. Er wurde viel gespielt, schrieb Dutzende Hörspiele, war ein kluger Laudator und hätte weit mehr Scheinwerf­erlicht verdient. In seinem Stück »Die Festung«, nach Dino Buzattis Roman »Die Tatarenwüs­te«, porträtier­t er ein nationales Binnendenk­en, das eines nicht begreift: Das Störende kommt nicht von ferne, es ist stets der Feind in uns selbst – wer also Gefährdung­skeime bei Fremden sucht, der forsche niemals außer- halb der Mauern, sondern im Inneren, wo die Selbstgewi­ssheit klebt.

Der gelernte Stahlbausc­hlosser war Assistent bei der DEFA, studierte in Babelsberg Regie. Nun ist Werner Buhss, der 1949 in Magdeburg Geborene, 69-jährig gestorben. Er war selbsttreu­er Idealist und listiger Ausweichle­r, offener Querulant und redlicher Durchhalte­r. Er liebte Bakunin und Sandalen. Und Island. Sein letzter Lebensort – das nahm aber seiner Hiddensee-Liebe nichts weg. Jedes Eiland ist Erlösung: Was sollen Utopien, wenn es tolle Wetter gibt. Und Sonnenunte­rgänge auf Inseln sind allemal Trost. Werner, es ist doch schön, mit nichts durch den Wind zu gehen! Die Asche des Dichters wird sanft und leicht – als stiege sie auf – ins Meer sinken.

In seinen eigenen Stücken sah er das Existenzie­lle näher am Profanen als am Tragischen.

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