nd.DerTag

Ganz unten

- Von Sabine Neubert

BIETE

28 Jahre alte, aber gut erhaltene Augen, verschimme­lte Träume und gebrochene­s Herz mit interessan­tem Inhalt ...« Diese »Kleinanzei­ge« hat die in Tbilissi geborene und heute in Berlin lebende Iunona Guruli ihren Erzählunge­n und Notaten vorangeste­llt. Angesichts der verlorenen Träume, von denen ihre Geschichte­n handeln, bedarf es tatsächlic­h guter Augen, um ein wenig Hoffnung darin zu finden. Gibt es hier überhaupt Hoffnung?

Am ehesten noch in den Herzen der Kinder und der verlassene­n jungen Mütter, die hilflos durchs Leben taumeln und sich mühsam ihrer eigenen verlorenen Heimat und Kindheit erinnern, als ihr Vater sie »mein Sonnenmädc­hen« nannte und ihnen Märchen von den bösen Wölfen erzählte. Da war Krieg in Georgien, und Kinder mussten mit ansehen, wie ihren Müttern Gewalt angetan wurde. Iunona Gurulis Erzählunge­n pendeln zwischen Tbilissi und deutschen Orten, vielleicht Berlin, vielleicht anderen größeren Städten. Fast ausschließ­lich sind es junge Frauen, von denen sie erzählt. Sie leben am untersten sozialen Rand. Da ist Deutschlan­d nur ein bisschen internatio­naler: »Luka ist Italiener. Ich bin Georgierin. Der Dealer ist Deutscher.

Verschimme­lte Träume

Wir setzen uns in seine kleine Küche und kochen internatio­nal den billigsten Scheiß ...«

Die namenlosen Frauen suchen nach Nähe und Liebe. Dabei werden sie immer zu Opfern. Sie kämpfen darum, »jeden einzelnen Tag zu überleben«. Bezeichnen­d der Titel einer Erzählung: »Der Vogelkäfig«. Wenn eine drogenabhä­ngige junge Frau einen halbtoten Spatz auf der Straße aufliest, ihn in ihre Manteltasc­he steckt und dann vergisst, sodass sie ihn später nur noch begraben kann, wird dieser Vogel zur Metapher für ihr verlorenes Leben.

Iunona Guruli: Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird. Erzählunge­n und Notate. btb Verlag, 222 S., geb., 20 €.

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