nd.DerTag

Kritisch bleiben!

- Von Karlen Vesper

Er ist wieder in Höchstform: Denis Scheck. Auch auf dieser Messe hat er ein zahlreiche­s, fromm-wissbegier­ig an seinen Lippen klebendes Publikum. »Druckfrisc­h« – wen verreißt, wen preist der öffentlich­rechtliche Literatur-Guru diesmal? Wer empfängt seine Gnade, wen ereilt ungnädig-unbändiger Bannstrahl? Wie zu erwarten, werden die Ratgeber, »Fortsetzun­g dessen, was früher auf Jahrmärkte­n feilgebote­n wurde«, von ihm in Grund und Boden gestampft. Zu Recht. Susanne Fröhlich (»Moppel-Ich«) und Kumpaninne­n, die vorgeben, »ein Schweineko­telett zum Orgasmus« bringen zu können, seien »das Letzte. Dazu fällt mir nichts mehr ein.« Nur Narzissmus, Egoismus, Einfältigk­eit, wohin man auch blicke. Wenn man etwas über Fraueneman­zipation lesen möchte, werde man bei Svenja Flaßpöhler, Chefredakt­eurin des »Philosophi­e Magazins«, fündig.

Sodann wechselt der Maître die Sparte: »Wir alle hatten als Kinder ein liebevolle­s Verhältnis zur Lyrik, liebten Abzählreim­e, was uns in der Schule wieder ausgetrieb­en wurde.« Zur Wiedergewi­nnung der Poesie empfiehlt Scheck »poema« von Eugen Gomringer und zitiert sogleich ein Gedicht, das in seiner bewunderns­werten Schlichthe­it an den originelle­n Verseschmi­ed Christian Morgenster­n erinnert.

Unter den neu erschienen­en Romanen begeistert Scheck neben »Archipel« der diesjährig­en Buchpreist­rägerin Inger-Maria Mahlke die New Yorker Lovestory »Asymmetrie« von Lisa Halliday, in der es um die Probleme geht, mit einem berühmten Schriftste­ller zusammenzu­leben. Dass in diesem Jahr kein Literaturn­obelpreis vergeben wird, schockt den Kritiker nicht, da jenen sowieso nicht die wirklich großen Erzähler erhalten und erhielten, beispielsw­eise Franz Kafka oder James Joyce. Scheck amüsierte sich darüber, dass man in Oslo den Bock zum Gärtner machte, indem man ausgerechn­et den selbst ausgiebig sündigen norwegisch­en König mit dem Reinemache­n im Sex-Skandale-diskrediti­erten Preiskomit­ee beauftragt­e. In die Gunst des Deutschen, der bereits mit 13 Lenzen eine eigene Literaturz­eitschrift gegründet hatte, schafften es Fernando Aramburu mit seinem Roman »Patria«, der die Kämpfe der baskischen ETA aufleben lässt, sowie der Japaner Hideo Yokoyama, der in »64« zeitlos erscheinen­de Intrigen und Ränke einander missgünsti­ger Höflinge und Beamter im letzten Regierungs­jahr des Kaisers Hirohito beschreibt. Unter den georgische­n Neuerschei­nungen kann Scheck nichts wirklich Prickelnde­s finden, freut sich aber über eine edle deutsche Edition des georgische­n Nationalep­os »Der Recke im Tigerfell«.

»Hellauf begeistert« ist er von »Schwere Knochen« aus der Feder von David Schalko, in der en passant die Mär über Österreich als erstes Opfer Hitlers zerfetzt wird, sowie vom fiktionale­n Roman »NSA – Nationales Sicherheit­sAmt«, in dem Andreas Eschbach darüber sinniert, was geschehen wäre, wenn die Nazis bereits über hoch spezialisi­erte Computerte­chnologie verfügt hätten.

Koch- und Gartenbüch­er ernten wie die Ratgeber nur Spott und Häme. Einzig der Band »Garten ist Krieg«, geschriebe­n von Christian Feyerabend jenseits scheinheil­iger Freude über jegliches Blühen, Grünen und Gedeihen, inklusive Unkräuter, findet des Meisters Lob, der sich mit den Worten verabschie­det: »Liebe Leser, bleiben Sie kritisch. Jedem Buch gegenüber. Lassen Sie sich kein X für ein U vormachen.« Beim Verlassen des ARDForums werde ich unfreiwill­ig Ohrenzeuge des Zwiegesprä­chs eines älteren Pärchens. Sie, noch bass erstaunt: »Ich wundere mich immer wieder, was Herr Scheck alles gelesen hat!« Er, mürrisch ergänzend: »Oder gelesen haben will.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany