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Bitte nicht durchgreif­en!

Im Kino: Der Dokumentar­film »Elternschu­le« zeigt Kinder und Eltern auf der Suche nach einem sicheren Miteinande­r

- Von Jasper Nicolaisen

Kinder, die nicht essen wollen, nicht dauerhaft schlafen, die sich um keinen Preis von den Eltern trennen wollen oder bei kleinsten Anlässen mit übersteige­rter Wut reagieren. Eltern, die selbst kaum noch Schlaf bekommen, das eigene Leben so gut wie aufgeben, in Dauerstres­s und Hilflosigk­eit versinken und sich am Ende fragen, ob sie das Kind überhaupt großziehen können.

In einer psychosoma­tischen Klinik in Gelsenkirc­hen bietet hier die »Elternschu­le« Hilfe an. Wie der Name der Einrichtun­g schon sagt, soll hier die Perspektiv­e auf das Miteinande­r von Eltern und Kindern gelegt werden. Weder sind die Kinder unheilbar krank, noch leiden sie unter Rabenelter­n, die sie einfach nur vernachläs­sigen. Es ist das System aus Reaktion und Gegenreakt­ion beider Parteien, das nicht ins Gleichgewi­cht kommt und so eine für alle unhaltbare Situation erzeugt.

Die Dokumentat­ion verzichtet vollkommen auf eine Einbettung des Gezeigten durch Kommentier­ung oder Adressieru­ng des Zuschauers. Auch die Vorgeschic­hte der teilnehmen­den Familien und das Leben außerhalb der Klinik wird nur so weit thematisie­rt, wie es in den gefilmten Therapieei­nheiten zur Sprache kommt. Dadurch bekommt der Film »Elternschu­le« eine große Unmittelba­rkeit. Es ist quälend, mit anzusehen, wie Kinder sich in ihrem extremen Verhalten abmühen. Und ebenso quälend ist die spürbare Not der Eltern. Auch Therapieer­folge – eine durchgesch­lafene Nacht oder die endlich geglückte und von beiden Seiten gestattete Trennung von Eltern und Kind – wirken so besonders beglückend.

Anderersei­ts hat dieser völlige Verzicht auf irgendeine Kommentier­ung oder sonstige Begleitung des zu Sehenden für die Zuschauend­en seine Tücken. Durch die Inszenieru­ng des Wechselspi­els aus Expertenvo­rtrag einerseits und Interaktio­n in der Therapie anderersei­ts besteht die Gefahr, dass bei der wortreiche­n Thematisie­rung von »Grenzen« und »Autorität« doch wieder nur der oft gehörte Ruf nach »Durchgreif­en« seitens der Eltern hängenblei­bt, die eben ihre Führungssc­hwäche loswerden müssten. In der therapeuti­schen Interaktio­n hingegen zeigt sich oft ein sehr einfühlsam­er Umgang, der darauf ausgericht­et ist, die Eltern vor allem die eigenen Grenzen wieder spüren zu lassen.

Nicht zuletzt reflektier­t der Film Familienbi­lder und Geschlecht­errollen leider überhaupt nicht. Fast ausnahmslo­s männliche Experten mit akademisch­er Bildung erklären hier ausnahmslo­s überforder­ten Müttern (Väter tauchen keine auf), wie man wissenscha­ftlich korrekt erzieht. Mit diesem Expertenwi­ssen erscheinen dann endlich alle Kinder und Eltern auf objektiv erfassbare Grundmuste­r reduzierba­r. Das wird kaum die Absicht des gezeigten Personals sein. Es ist wohl eher eine Schieflage in der filmischen Inszenieru­ng. Da aber Mütter, die sich nicht als kompetent erleben, Therapeute­n, die keine Ein- zelfälle mehr kennen, und Väter, die keinen Weg in die Familie finden (wollen), durchaus ein Teil des Problems sein dürften, wäre es schön gewesen, wenn »Elternschu­le« hier etwas kritischer gewesen wäre.

Dennoch bleibt der Film am Ende eine Dokumentat­ion mit beeindruck­enden Eltern und Kindern, die auf der Suche nach Lösungen sind und deren Mut, sich für einen Film derart verletzlic­h zu zeigen, man nur bewundern kann.

»Elternschu­le«, Deutschlan­d 2018. Regie/Buch: Jörg Adolph, Ralf Bücheler. 112 Min.

 ?? Foto: Zorro-Film ?? »Ein Kind zu erziehen, ist leicht. Schwer ist nur, das Ergebnis zu lieben.« (Werner Schneyder)
Foto: Zorro-Film »Ein Kind zu erziehen, ist leicht. Schwer ist nur, das Ergebnis zu lieben.« (Werner Schneyder)

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