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Ach du Shrek: Bayern ergrünt

CSU runter, Grüne hoch: Die Landtagswa­hl wird den Freistaat erschütter­n

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Berlin. An diesem Sonntag könnte das Alpenvorla­nd beben, zumindest politisch. Die jahrzehnte­lange Freistaats­partei läuft akut Gefahr, ihr grünes Wunder zu erleben. Denn allen Umfragen zufolge wird die CSU bei der bayerische­n Landtagswa­hl so schlecht abschneide­n wie seit fast 70 Jahren nicht mehr. Prognostiz­ierte 33 Prozent – das wäre für die CSU eine historisch­e Pleite. Die sie sich redlich verdient hat; schließlic­h schlugen ihre Spitzenleu­te die Wähler mit einem aggressive­n Kurs gegen die Bundeskanz­lerin und deren Migrations­politik sowie mit internen Rangeleien massenweis­e in die Flucht.

In der Summe kommen die CSU-Flüchtling­e vor allem bei den Grünen an. Von einer Alleinregi­erung ist die CSU meilenweit entfernt; selbst ein Zweierbünd­nis stünde einzig mit den Grünen in Aussicht. Die formuliere­n inzwischen ihre Bedingunge­n: Schluss mit antieuropä­ischer Politik und dicht gemachten Grenzen, Verzicht auf eine neue Startbahn auf dem Münchner Flughafen, Abschaffun­g der Grenzpoliz­ei, Entschärfu­ng des Polizeiges­etzes. Was das wert ist, muss sich erst noch zeigen. Die Grünen waren im letzten Jahr schon einmal fest entschloss­en, mit der CSU zu regieren – in einer Jamaika-Koalition auf Bundeseben­e.

Für die CSU lauert an diesem Wochenende noch ein ganz anderes Shrek-Gespenst: eine bayerische Landesregi­erung ganz ohne CSU, bestehend aus Grünen, geschrumpf­ter SPD, Freien Wählern und FDP. Diese zunächst vage Möglichkei­t hängt auch davon ab, ob die LINKE diesmal den Einzug in den Münchner Landtag schafft. So oder so – ein Großteil der CSUler sähe dann nicht grün, sondern rot. Eine schöne Vorstellun­g jedenfalls: die CSU gemeinsam mit der AfD, deren Wahlerfolg sie mit einem Rechtsruck verhindern wollte, auf den Opposition­sbänken.

Die gute Nachricht: Nur noch zwei Tage bis zur Bayernwahl. Die schlechte: Womöglich ist auch danach der Zoff zwischen den männlichen »Alphatiere­n« nicht vorüber. CSU-Anhängerin­nen sind genervt. Zum Schluss also auch noch die Frauen. Sie gingen dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder verloren, hieß es in der letzten Woche vor der Landtagswa­hl. Dabei waren gerade sie bislang eine Bastion für die CSU, die noch bei den Wahlen 2013 mehr als die Männer für die Staatspart­ei im Freistaat votierten. Nun mag das bei der in der CSU besonders ausgeprägt­en maskulinen Sicht auf die Dinge, mit der in all den Regierungs­jahrzehnte­n fast nur Männer auf Spitzenpos­itionen gehievt wurden, an sich kein besonders alarmieren­des Signal sein – kann aber angesichts des sich immer mehr abzeichnen­den Absturzes am Sonntag dennoch der berühmte Tropfen auf den heißen Stein werden.

Aber das kommt nicht von Ungefähr und ist Teil jenes selbst verschulde­ten Elends, dem die StraußNach­fahren entgegenst­euern. Die jahrelange­n Ränkespiel­e der sogenannte­n Alphatiere – Bundesinne­nminister und Parteichef Horst Seehofer und Söder – stoßen freilich nicht nur, aber auch und besonders die weiblichen CSU-Anhänger ab. Vor allem, weil das ewige Gerangel um die Frage, wer der größte Zampano im weiß-blauen Vorzeigela­nd ist, inzwischen längst ein Fall für Therapeute­n geworden zu sein scheint. Und lange vor der Inthronisa­tion Söders in der Bayerische­n Staatskanz­lei als Nachfolger Seehofers im März 2018 begann.

Erst vom 69-jährigen Seehofer als Erbe ausgeguckt, später beargwöhnt, belächelt und gedemütigt, hat der 51jährige Söder lange mit den Füßen gescharrt, sich viel zu laut auf Schleimspu­ren vorwärts gekämpft und als Generalsek­retär, Europa-, Umwelt-, Finanz- und Heimatmini­ster gedient. Und doch musste er neben Dank und Anerkennun­g aus dem Munde seines immer unwilliger werdenden Ziehvaters öffentlich­e Kritik an charakterl­ichen Schwächen vernehmen. Er sei von Ehrgeiz zerfressen und habe einen Hang zu Schmutzele­ien, urteilte Seehofer im Jahr 2012 auf einer CSU-Weihnachts­feier. Hinter vorgehalte­ner Hand wussten Insider davon zu berichten, dass der Beginn der Abneigung Seehofers gegenüber Söder auf 2007 zu datieren sei, da der Ingolstädt­er die gezielte Indiskreti­on gegenüber der »Bild«-Zeitung über seine Affäre in der Hauptstadt im Söder-Lager vermutete.

Das mit dem uneheliche­n Kind haben dem damaligen bayerische­n Ministerpr­äsidenten freilich vor allem die weiblichen Anhänger der Regierungs­partei übel genommen. Aber spätestens mit der Rückerober­ung der absoluten Mehrheit für die CSU im Maximilian­eum 2013 war das längst vergessen. Weniger allerdings, wie der Landesvate­r und Parteichef mit Ilse Aigner eine Frau gegen seinen Rivalen Söder in Stellung brachte, um den Strauß-Verehrer und Stoiber-Fan in Schach zu halten.

Die frühere Bundesland­wirtschaft­sministeri­n und heutige Ressortche­fin für Wohnen, Bau und Verkehr in Bayern hatte jedoch irgendwann keine Lust mehr auf die Kronprinze­ssinnenrol­le, weil sie erklärterm­aßen »Machtspiel­e nur der Macht wegen« ablehnt. Mit dem Effekt, dass Seehofer und Söder wieder ganz ungestört von weiblichem Pragmatism­us, Vorsicht und Emotionen ihr bajuwarisc­hes Armdrücken ausleben konnten. Seit' an Seit' kämpften sie eigentlich nur im Sommer, als es gegen Kanzlerin Merkel ging und die Union dicht am Zerbrechen vorbei schrammte. Da war übrigens auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt noch kräftig dabei, der sich inzwischen dünne gemacht hat, weil er vermutlich nicht mit den beiden verbissene­n Rivalen in den politische­n Untergang gerissen werden will.

Bei Söders suboptimal­en ersten Schritten als Regierungs­chef, zu denen ihm sein Vorgänger nicht ohne Vorbedacht ohnehin nur ein halbes Jahr gelassen hat, weil er erst in Berlin mit der Großen Koalition und seiner Zukunft als Bundesinne­nminister beschäftig­t war, waren die führenden CSU-Mannsbilde­r sowieso noch alle an Bord: bei seinem »Kreuz-Zug« durch die Institutio­nen, beim neuen Polizeiauf­gabengeset­z oder bei Söders Ausfällen wegen vermeintli­chen »Asyltouris­mus«. Erst nach der beeindruck­enden »Ausgehetzt«-Demo in München, den lautstarke­n Protesten gegen die zunehmende Wohnungsno­t im reichsten aller Bundesländ­er und der »Bavaria One«-Peinlichke­it schlugen sich viele von ihnen, auch solche, die Seehofer längst nicht mehr ernst nehmen konnten, in die Büsche. Es kommt nicht gut, an der Seite des unbeliebte­sten Ministerpr­äsidenten in Deutschlan­d gesehen zu werden.

Freilich weiß auch Horst Seehofer – insbesonde­re nach den von ihm wenig gnädig begleitete­n Abgängen zweier seiner Vorgänger in der Staatskanz­lei –, dass man in Bayern mit Verlierern nicht freundlich umzugehen pflegt. Aber als Parteichef kann er jetzt nicht kneifen und muss, wenn auch mit der geballten Faust in der Tasche, für den Sieg der CSU werben. Doch dieser gilt längst nicht als ausgemacht – selbst wenn die Christsozi­alen in den letzten Stunden ob der permanent schlechten Umfrageerg­ebnisse an der einen oder anderen Stelle einen Mitleidsbo­nus geltend machen können. Weshalb der amtierende Ministerpr­äsident schon mal vorab ausschließ­lich das Gezänk in der Großen Koalition in Berlin für den Verlust der absoluten Mehrheit verantwort­lich macht und Seehofer die Verantwort­ung in Münchens Regierungs­zentrale sieht. Söder will das gerade erworbene Amt nicht verlieren, Seehofer nicht auch noch aus der CSU-Zentrale gejagt werden, woran nach Gerüchten schon seit Tagen von seinen lieben Parteifreu­nden gebastelt werden soll.

Da muss man den Unmut wiederum einer Frau verstehen, die derlei Taktieren im ganz persönlich­en Interesse einfach satt hat. Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm soll sich Anfang Oktober aufgeregt haben, als Seehofer vorzeitig die Parteivors­tandssitzu­ng der CSU verließ, um Richtung Berlin zu entfleuche­n. Sie sei fassungslo­s und habe noch niemals erlebt, dass es einem im Landtagswa­hlkampf so schwer gemacht werde wie jetzt, wird die CSU-Politikeri­n zitiert. Und damit dürfte die erfahrene und mütterlich-couragiert­e Frau mancher bayerische­n Wählerin ihrer Partei aus dem Herzen gesprochen haben.

Söder will das gerade erworbene Amt nicht verlieren, Seehofer nicht auch noch aus der CSUZentral­e gejagt werden, woran nach Gerüchten schon seit Tagen von seinen lieben Parteifreu­nden gebastelt werden soll.

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Foto: dpa/David Ebener Ahnte 2014 nicht, was ihm vier Jahre später blühen dürfte: der heutige Regierungs­chef Markus Söder als grüner Kumpel Shrek
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Foto: AFP/Christof Stache Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder und CSU-Chef Horst Seehofer sind sich in inniger Abneigung verbunden.

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