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Weiß-blaue Erfolge mit Schattense­iten

Bayern steht in den bundesdeut­schen Wirtschaft­sstatistik­en meist ganz vorn – doch es gibt Probleme in der Fläche

- Von Hermannus Pfeiffer

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Bayern ein Bauernland. Heute ist es dank kluger Politik und Hilfen anderer Länder Deutschlan­ds führender Industries­taat. Doch vom Aufstieg profitiere­n viele nicht. Es gibt nach wie vor ein steiles industriel­les Nord-Süd-Gefälle in Deutschlan­d. Mit teils überrasche­nden Ergebnisse­n: So sind in Bayern durch Computer und Roboter mehr als 26 Prozent der Arbeitsplä­tze bedroht, in Schleswig-Holstein lediglich 22 Prozent und in Mecklenbur­gVorpommer­n sogar nur 19 Prozent. Die Unterschie­de sind vor allem eine Folge der Wirtschaft­sstrukture­n, wie es in einer kürzlich vorgestell­ten Stu- die des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung in Nürnberg heißt. Je größer die Bedeutung des verarbeite­nden Gewerbes, desto mehr Beschäftig­ungsverhäl­tnisse gibt es, die von Computern und Robotern übernommen werden könnten.

Gerade in Bayern ist das verarbeite­nde Gewerbe mit einer Million Beschäftig­ten eine Macht. Namen wie Siemens und BMW stehen dafür, der Maschinenb­auer MAN oder die Rüstungssp­arte von Airbus. »Nur wenige Länder verfügen über eine ähnlich breite industriel­le Basis«, schreibt die Norddeutsc­he Landesbank in einer Analyse. Und 2017 kam rund ein Drittel aller bundesweit angemeldet­en Patente aus Bayern.

Das war nicht immer so. Als Ende April 1945 die 7. US-Armee in Mün- chen einmarschi­erte, war Bayern ein Agrarland. Mehr als 500 000 Landwirte, überwiegen­d Kleinbauer­n, prägten den Freistaat mit seinen sieben Millionen Einwohnern. Die kleinräumi­gen Agrarstruk­turen folgten der Landschaft. Gleichzeit­ig fehlte es an Schwerindu­strie.

Beides sollte sich bald als ein glückliche­r Umstand erweisen. Die kleinbäuer­liche Struktur bildete die Basis für den Tourismus, bis heute eine wichtige Einnahmequ­elle. Das Fehlen von Stahl und Kohle ermöglicht­e einen Neustart ohne industriel­le Monostrukt­uren wie im Ruhrgebiet. Und die Besatzungs­macht USA verzichtet­e – anders als Franzosen und Sowjets – auf größere Demontagen. Die lange Alleinherr­schaft der CSU, die empfänglic­he Amigo-Kultur des »ewigen« Ministerpr­äsidenten Franz Josef Strauß sowie eine klare industriep­olitische Linie beflügelte­n die nachholend­e Modernisie­rung und Internatio­nalisierun­g des Bauernland­es. Meilenstei­ne waren der Bau einer Ölpipeline von Triest zum neuen Raffinerie­zentrum Ingolstadt, der Großflugha­fen München oder der RheinMain-Donau-Kanal. Bei der Errichtung von Atomkraftw­erken übernahm Bayern schon in den 1950er Jahren eine Vorreiterr­olle.

Freilich erwuchs der Aufstieg nicht allein aus eigener Kraft. Altbayern, Franken und Schwaben profitiert­en letztlich von zwei Millionen Flüchtling­en, die großenteil­s aus dem industrial­isierten Sudetengeb­iet kamen, und später von »Gastarbeit­ern« aus dem ebenfalls nahen Italien. Auch halfen die anderen Bundesländ­er. Jahrzehnte­lang empfing Bayern Milliarden-D-Mark-Zahlungen aus dem Länderfina­nzausgleic­h. Erst seit 1990 ist Bayern regelmäßig­es Nettozahle­rland, seit wenigen Jahren mit größeren Beträgen.

Und so ist es keine Überraschu­ng, dass viele ökonomisch­e Kennziffer­n in jüngerer Zeit eine weiß-blaue Erfolgssto­ry zeichnen. Von 2010 bis 2017 wuchs das Bruttoinla­ndsprodukt Bayerns um mehr als 18 Prozent (bundesweit knapp 15 Prozent). Mit 46 000 Euro liegt die Wirtschaft­sleistung je Einwohner inzwischen rund 16 Prozent über dem deutschen Durchschni­tt. Aus privaten und öffentlich­en Investitio­nen floss zuletzt »so viel wie nirgendwo sonst in Deutschlan­d«, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln errechnet. Damit sind gute Voraussetz­ungen gegeben, dass die bayerische Wirtschaft weiter auf Wachstumsk­urs fährt.

In Vielem spiegelt Bayern aber auch die triste bundesdeut­sche Wirklichke­it wider. Hartz-IV-Aufstocker stehen Multimilli­ardären wie den Quandts (BMW) oder der Bankiersfa­milie von Finck gegenüber. Die Kluft zwischen boomenden Regionen und abgehängte­n Kreisen im flächenmäß­ig größten Bundesland ist gewaltig. Und während im sozialdemo­kratisch dominierte­n München eine Immobilien­blase immer weiter wächst, bedrohen Leerstände im Bayrischen Wald oder am Alpenrand den Zusammenha­lt im Freistaat.

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