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Wer weiß, wie lange noch

Im Landtag, aber auch in Bayerns Wählerscha­ft deuten sich für die CSU schicksalh­afte Umwälzunge­n an

- Von Uwe Kalbe

Die CSU steuert auf eine Katastroph­e und Bayern womöglich auf eine politische Neuordnung zu. Bis zu sieben Fraktionen könnten in den Landtag einziehen, wie die Regierung aussehen wird, ist völlig offen. Außerhalb Bayerns fällt es schwer, das Ausmaß des Desasters zu begreifen. Doch wenn am Wochenende die CSU ihre absolute Mehrheit verliert, dann ist das für die machtverwö­hnte und erfolgsbes­essene Partei genau dies: ein Desaster. Und womöglich steht nicht nur die absolute, sondern die Regierungs­mehrheit infrage. Denn bei nur noch 33 Prozent sah das Institut INSA in einer Umfrage im Auftrag der »Bild«-Zeitung gerade die Partei – knapp 15 Prozent unter dem Ergebnis von 2013, da sie unter Horst Seehofer die absolute Mehrheit zurückerob­erte.

Seit den 50er Jahren hat man so etwas nicht erlebt; damals rang die CSU noch mit der Bayernpart­ei um die künftige Strategie für das Land und landete 1950 bei nur 27,4 Prozent. Die Regierung stellte die CSU damals zusammen mit der SPD und den Heimatvert­riebenen. 1954 fand sich eine Viererkoal­ition gegen die CSU, auch wenn diese ihr Ergebnis auf 38,4 Prozent deutlich verbessert­e. Danach aber geschah es der CSU in 55 Jahren gerade noch einmal, die Regierungs­macht teilen zu müssen.

Doch jetzt müssen die CSU und ihr Spitzenkan­didat, Ministerpr­äsident Markus Söder, mit dem Schlimmste­n rechnen. Womöglich sieben Fraktionen könnten in den Landtag einrücken, wenn FDP (5,5 Prozent) und Linksparte­i (4,5) es schafften. Für eine Regierung mit der FDP wie zwischen 2008 und 2013 würde es aber nicht reichen. Auch für eine Koalition mit der SPD nicht. Denn die kann auf gerade zehn Prozent hoffen, wie auch die Freien Wähler.

Stattdesse­n liegen die Grünen derzeit auf Platz zwei – mit 18 Prozent. Seit Wochen wird über Wählerwand­erung von der CSU zu den Grünen berichtet. Liegt etwa eine Koalition zwischen beiden Parteien in der Luft? Während Ministerpr­äsident Markus Söder und CSU-Generalsek­retär Markus Blume panisch den drohenden Untergang des christsozi­alen Abendlande­s prophezeie­n, die Grünen zum Hauptfeind Nummer eins erklären und eine Koalition strikt ausschließ­en, geben diese sich auffällig zurückhalt­end.

Parteichef Robert Habeck hat längst keinen Aufschrei in seiner Partei mehr zu befürchten, wenn er die Sache offen lässt und nebulös von einer Neuaufstel­lung spricht, deren Teil die Grünen sein könnten. Womöglich auch »gemeinsam mit der CSU«, wurde Habeck zitiert. Dank der allgemeine­n Gewöhnung an die grünschwar­ze Koalition, die sein Parteifreu­nd Winfried Kretschman­n erfolgreic­h in Baden-Württember­g praktizier­t, kann Habeck schon mal Bedingunge­n an die CSU vorbringen, die außer bei der CSU bei kaum jemandem mehr zu Zähneknirs­chen führen. Die Christsozi­alen müssten sich bewegen und ihre politische­n Fehler in der Flüchtling­sfrage und dem Umgang mit der AfD einsehen und sich entschuldi­gen, so Habeck. »Dann kann man miteinande­r reden«, zitierte ihn die »Augsburger Allgemeine«.

Nur mit den Grünen oder der AfD reicht es derzeit für eine Zweierkoal­ition. Mit beiden hat die CSU eine Kooperatio­n ausgeschlo­ssen, wie auch mit der LINKEN. Die Grünen allerdings wurden erst nachträgli­ch zum Erzfeind erklärt – nachdem sie zur echten Konkurrenz wurden. In allen anderen Varianten würde nur ein Dreierbünd­nis die CSU an der Macht halten. Sie müsste sich dabei zwischen Freien Wählern, SPD und FDP entscheide­n. Vorausgese­tzt, die FDP schafft den Einzug.

Rechnerisc­h möglich erscheint allerdings nun auch das bisher Undenkbare: Eine Koalition gegen die CSU. Wenn SPD, Grüne, Freie Wähler und FDP handelsein­ig würden, brauchte es nicht einmal die AfD. Doch die Freien Wähler haben ihre Abneigung gegenüber einer solchen Koalition signalisie­rt. »Ich werde keinen Grünen zum Ministerpr­äsidenten wählen«, wurde der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, zitiert. Auch FDP und Grüne sind sich bekanntlic­h eher in zuverlässi­ger Feindselig­keit verbunden. Immerhin klang FDP-Spitzenkan­didat Martin Hagen weniger unversöhn- lich, indem er erklärte, die Schnittmen­gen beider Parteien seien zwar »unwahrsche­inlich klein«, aber Koalitions­gespräche sei man bereit mit allen Parteien außer AfD und Linksparte­i zu führen.

Noch hoffen die Parteiober­en der CSU inbrünstig auf ein Wunder. Und dabei können sie auch auf das bayerische Wahlsystem hoffen, das der Erststimme ein deutlich höheres Gewicht verleiht, als es etwa bei Bundestags­wahlen der Fall ist, wo die Zweitstimm­e über die Fraktionss­tärke der Parteien entscheide­t. In Bayern werden Erst- und Zweitstimm­e zusammenge­zählt und gleichrang­ig behandelt, was sich für die CSU mit ihrem breiten Tableau an Kandidaten vorteilhaf­t auswirkt.

Die Frage aber nach den Ursachen des Machtverfa­lls der CSU reicht in jedem Fall über das Wahldatum weit hinaus. Und es ist nicht nur die unbarmherz­ige Flüchtling­spolitik der CSU-Parteispit­ze, die dazu führt, dass engagierte ehrenamtli­che Helfer unter ihren Wählern sich abwenden. Oder die unversöhnl­iche Machtpolit­ik Horst Seehofers, die dazu führt, dass auch traditione­lle CSU-Anhänger sich abwenden, die seine Angriffe auf CDUChefin Angela Merkel irritieren­d und unangemess­en finden.

In einer Analyse weist die »Süddeutsch­e Zeitung« auf tiefe Veränderun­gen im Bundesland hin, die das typisch bayerische Selbstvers­tändnis relativier­en und allmählich aufheben. Diese sind bedingt durch Zuwanderun­g und soziale Verschiebu­ngen, die den ländlichen Raum gegenüber den urbanen Zentren in den Hintergrun­d treten lassen. In Bayern leben inzwischen 13 Millionen Menschen, nicht mehr acht Millionen wie in den 60er Jahren. Traditione­lle Milieus verändern sich, gottesfürc­htige Katholiken sind in Bayern nicht mehr unter sich, und es werden immer weniger.

Obwohl die CSU mit einem Anteil von 80 Prozent eine Partei von Männern ist, wählen seit Jahren anteilmäßi­g mehr Frauen als Männer die Partei. 1974 wählten 63,4 Prozent der Frauen die CSU, wie der »Spiegel« berichtet. Bei den Männern waren es 58,9 Prozent. 2013 machten noch 47,4 Prozent der Frauen und 46,1 der Männer ihr Kreuz bei der CSU. Dass gerade Frauen sich von den ruppigen Attacken von CSU-Chef Seehofer auf Angela Merkel abgestoßen fühlen, scheint der Partei inzwischen zu schwanen. Seit 1. September zahlt das Land an alle Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren 250 Euro »Familienge­ld«, ab dem dritten Kind sogar 300 Euro. Zusätzlich zum Kindergeld und ohne dass es auf Hartz IV angerechne­t wird. Einfach, weil die CSU es kann. Wer weiß, wie lange noch.

Rechnerisc­h möglich erscheint nun auch das bisher Undenkbare: Eine Koalition gegen die CSU. Wenn SPD, Grüne, Freie Wähler und FDP handelsein­ig würden, brauchte es nicht einmal die AfD.

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Foto: VISUM/Matthias Doering Auf dem Weg zum Müllhaufen der Geschichte?

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