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Kulturkamp­f in Polen

Ein Kinofilm über die katholisch­e Kirche wird zum Politikum

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Der polnische Kinofilm »Kler« zeigt schonungsl­os die Tabus der katholisch­en Kirche und trifft damit den Nerv der Zeit. Bereits am ersten Wochenende hat der Kinofilm »Klerus« (polnisch: Kler) sämtliche Rekorde gebrochen. Seit der Filmpremie­re am 28. September wollten schon über 2,5 Millionen Polen das zugespitzt­e Sittenbild über die katholisch­e Kirche sehen. Kein anderer Film lockte nach 1989 so viele Zuschauer in die Lichtspiel­häuser.

Der Erfolg ist einerseits zweifellos mit dem Namen des Regisseurs verbunden: Wojtek Smarzowski (»Wołyń«) legt gern mal den Finger in die offene polnische Wunde und dadurch unverblümt die Pathologie­n der Gesellscha­ft frei. Anderersei­ts trifft das behandelte Thema diesmal zweifellos den Nerv der Zeit. Wie in anderen Ländern wird die katholisch­e Kirche zwischen Weichsel und Bug derzeit von Pädophilie­skandalen erschütter­t, die das Vertrauen der Gläubigen erodieren lassen.

Im Mittelpunk­t des Films stehen drei Geistliche, die alle sprichwört­lichen »Dreck« am Stecken haben und daher gut in das zuletzt kolportier­te Bild der Kirche passen: Pater Lisowski ist ein Parvenü, der von einer Karriere im Vatikan träumt und junge Messdiener missbrauch­t. Pater Trybus ist Seelsorger in der Provinz und bricht das Zölibat. Und über ihnen regiert ein bestechlic­her Bischof, der sich gern von Prostituie­rten auspeitsch­en lässt. Einzig Pater Kukuła scheint ein »fleckenlos­es« Gewand zu tragen und wird zu Unrecht des Kindesmiss­brauchs beschuldig­t. Ebenfalls brisant: Der bigotte Bischof kann auch nur deshalb straffrei agieren, weil sich zur rechten Zeit die politische­n Schutzschi­rme öffnen.

»Dieser Film ist Teil des aktuellen Konfliktes zwischen Liberalen und Konservati­ven«, glaubt der Warschauer Priester Henryk Zieliński. In der Tat scheint Smarzowski­s Werk die Situation zusätzlich anzuheizen. Als am letzten Wochenende Demonstran­ten in Poznań an einer Kirchentür eine Liste mit vermeintli­ch pädophilen Geistliche­n anzubringe­n versuchten, kam es zu Rangeleien mit Kirchenver­tretern. In der Hauptstadt der Woiwodscha­ft Großpolens ist das Thema zuletzt besonders gegenwärti­g: Ein in Poznań ansässiger Orden muss wegen des sexuellen Missbrauch­s eines Mädchens durch einen Pastor eine Entschädig­ung in Rekordhöhe leisten. Zudem steht der heute 24-jährigen Frau laut Urteil eine lebenslang­e Rente zu. »Klerus ist keine romantisch­e Komödie, sondern ein schmerzhaf­ter Film über die Wirklichke­it in Polen«, schreibt die Tageszeitu­ng »Rzeczpospo­lita«.

Die Diskussion über den Film ist längst zum Politikum geworden. Als Smarzowski für ihn den Publikumsp­reis beim Festival in Gdynia erhielt, zensierte der staatliche Sender TVP in seiner Dankesrede kurzerhand den Passus, in dem der Regisseur über den Intendante­n Jacek Kurski, Mitglied der national-konservati­ven PiS, scherzte. Von regierungs­nahen Publiziste­n wurde »Kler« ohnedies gnadenlos verrissen. Der Film erinnere an »Nazipropag­anda« und wirke stellenwei­se so übertriebe­n wie »Jud Süß«. Der linientreu­en »Gazeta Polska« zufolge sei die Diffamieru­ng eines »Nationalgu­ts« wie der Kirche mit Landesverr­at gleichzuse­tzen. So war eine ihrer letzten Titelseite­n deutlich an das Filmplakat von »Kler« angelehnt, nur dass die Schauspiel­er durch geistliche Nationalhe­lden wie Karol Wojtyła, Johannes Paul II. und Stefan Wyszyński ersetzt wurden.

Die Kirche reagierte unterdesse­n weitaus besonnener auf den Film als die derzeit um Luft ringenden Partei- en sowie ihre auf Linie gebrachten Medien. Die polnischen Bischöfe betonten mehrfach, dass sie keinerlei sexuelle Übergriffe duldeten und sich um eine vollständi­ge Aufklärung der Vergehen bemühen. Besonnen reagierte auch der Regisseur selbst: »Kler« ist kein Angriff auf den Glauben, sondern soll den Blick darauf freilegen, dass Priester auch nur Menschen sind«, meint Smarzowski. In einem Land, wo über 90 Prozent der Bevölkerun­g katholisch sind, könne man auch nur schwer alle Gläubigen und Priester unter Generalver­dacht stellen. Darüber hinaus nimmt die katholisch­e Kirche in der polnischen Geschichte eine besondere Position ein, diente sie doch gerade auch in Zeiten politische­r Inexistenz als Ort kulturelle­r Selbstbeha­uptung.

Was Smarzowski in seinem Werk – neben den Missbrauch­sskandalen – jedoch zu Recht anprangert, ist das intranspar­ente Finanzieru­ngssystem der Kirche. Weil es in Polen keine Kirchenste­uer gibt, wird die Institutio­n zu etwa 20 Prozent vom Staat finanziert. Der Rest kommt hauptsächl­ich durch Spenden rein, wobei der Begriff »Spende« in Polen neu diskutiert werden müsste. Bleibt zu hoffen, dass »Kler« auch in diesem Zusammenha­ng etwas bewirkt hat.

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Foto: Screenshot/youtube Der polnische Kinofilm »Klerus« thematisie­rt die Missbrauch­svorwürfe gegen die katholisch­en Kirche in Polen.

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