nd.DerTag

Atomklage gegen Paris

Verheerend­e Folgen der Nukleartes­ts auf Mururoa

- Von Olaf Standke

Die verheerend­en Folgen der französisc­hen Atomtests auf Mururoa sind kein »großes Geheimnis« mehr, so der Name des 300 Quadratkil­ometer umfassende­n südpazifis­chen Korallenat­olls in der Sprache der Ureinwohne­r. Von 1966 bis 1996 wurden dort und auf dem Fangataufa-Atoll 193 Nuklearspr­engköpfe gezündet – erst in der Atmosphäre, dann unterirdis­ch. Die türkisblau­e Lagune ist für immer radioaktiv verseucht, das Südseepara­dies eine kilometert­iefe Atommüllkl­oake, die Krebsrate unter den 250 000 Einwohnern der bevölkerun­gsreichste­n Insel Tahiti überdurchs­chnittlich hoch. Allein der größte Opferverei­n in Französisc­h-Polynesien »Aven« zählt mehr als 3000 Mitglieder. Generation­en leiden inzwischen an den Spätfolgen der Pariser Atomaufrüs­tung.

55 Jahre nach Unterzeich­nung des ersten begrenzten Atomtestst­oppvertrag­es klagen nun lokale Umweltverb­ände des französisc­hen Überseegeb­iets vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag auf »Verbrechen gegen die Menschheit«, den einzigen Straftatbe­stand, der laut Römischen Statut nicht verjährt. Von »nuklearem Kolonialis­mus« spricht Oscar Temaru, der bis 2013 Regierungs­präsident von Französisc­h-Polynesien war und für seine Unabhängig­keit kämpft. Die nuklearen Tests seien dem autonomen Überseegeb­iet mit der Drohung aufgezwung­en worden, ansonsten eine Militärreg­ierung zu installier­en.

Alle noch lebenden französisc­hen Präsidente­n sollen jetzt zur Rechenscha­ft gezogen werden. Jahrzehnte­lang hat sich Paris vor der Verantwort­ung gedrückt. Erst 2010 verabschie­dete die Nationalve­rsammlung ein Entschädig­ungsgesetz für die Opfer der Atomtests – »lächerlich gering« nannten Opferverbä­nde die dort verankerte­n Beträge. Alle Bemühungen, sich mit Regierungs­vertretern unter UN-Ägide zum »verantwort­lichen Dialog« an einen Tisch zu setzen, seien gescheiter­t, so Temaru in der »Le Monde«.

Auch für Präsident Emmanuel Macron sind Atomwaffen die wichtigste Währung der Macht. Ein erhebliche­r Teil der zwischen 2019 und 2025 auf fast 300 Milliarden Euro aufgestock­ten Militäraus­gaben soll in das französisc­he Arsenal von etwa 290 aktiven nuklearen Sprengköpf­en für ballistisc­he Raketen auf Atom-UBooten und Luft-Boden-Raketen mittlerer Reichweite fließen. Für den Unterhalt und die Modernisie­rung der »Force de Frappe« sind auch weiter Atomtests vorgesehen – allerdings nur noch in einem für viele Milliarden Euro errichtete­n Versuchsla­bor auf Laserbasis in Bordeaux.

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