nd.DerTag

Froh über wegfallend­e Kohlejobs

Die Bewohner des vom Tagebau bedrohten Proschim denken anders als die Gewerkscha­ft

- Von Andreas Fritsche

Die Kohlekommi­ssion bereist die Lausitz. Die Kohlekumpe­l pfeifen gegen den Ausstieg. Die Kohlegegne­r werden nicht angehört. Den Bereich um das Seehotel in Großräsche­n hat die Polizei für den Autoverkeh­r gesperrt. Vor dem Hotel pfeifen die Kollegen der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie, was das Zeug hält. Die Kohlekommi­ssion soll ein Ausstiegsd­atum für die Verstromun­g des Rohstoffs nennen und bereist am Donnerstag die Lausitz. Begleitet wird die Kommission von Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) und Brandenbur­gs Regierungs­chef Dietmar Woidke (SPD). »Wir fahren hier in der Lausitz nicht mit dem Bagger, weil wir gerne Bagger fahren, sondern der Strom aus Braunkohle wird gebraucht für eine zuverlässi­ge und preiswerte Energiever­sorgung«, argumentie­rt Woidke gegen einen zügigen Abschied von der Kohle.

Großräsche­n ist eine Station der Tour. Hier geben die Ministerpr­äsidenten kurze Statements ab. Woidke geht strahlend ins Seehotel hinein. Draußen haben ihm Hunderte applaudier­t, die in den Tagebauen und Kraftwerke­n arbeiten und Angst um ihre Jobs haben. Sie wissen, dass er auf ihrer Seite steht. Die Kohlegegne­r haben ebenfalls Angst – vor den Kohlebefür­wortern. Ursprüngli­ch wollten die Umweltschü­tzer auch demonstrie­ren. Aber sie haben auf eine Konfrontat­ion dann doch lieber verzichtet, gesteht Winfried Böhmer vom Naturschut­zbund. Die Polizei habe eingeschät­zt, dass es sonst zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen kommen könnte.

»Ich verstehe, dass die Leute Angst haben um ihren Arbeitspla­tz«, sagt Hagen Rösch mit Blick auf die Kohlekumpe­l. »Aber der Zorn darf sich nicht gegen die Naturschüt­zer richten oder gegen die Bundesregi­erung.« Hagen Rösch ist Geschäftsf­ührer. Zu seiner Rösch-Gruppe gehört ein Agrarzweig mit 3500 Hektar Land, 3000 Rindern und zehn Fleischere­ifilialen. Die 80 Beschäftig­ten produziere­n auch Solarstrom und Biogas. Das ist im Revier ein Kontrastpr­ogramm zu dem, was die Menschen hier gewöhnt sind. Hagen Rösch fährt dieses Kontrastpr­ogramm nicht zufällig. Firmensitz ist Proschim, ein Dorf, das dem Tagebau Welzow-Süd II weichen soll. Wann genau und ob überhaupt, weiß im Moment niemand. Die Lausitzer Energie AG (LEAG) wartet ab, wie sich für sie die Rahmenbedi­ngungen entwickeln. Das hängt auch von der Kohlekommi­ssion ab. Die Bewohner von Proschim müssen deshalb genauso zittern wie die Kohlekumpe­l und Kraftwerke­r. Aber in Proschim wollte die Kommission auf ihrem Weg einfach durchfahre­n, höchstens kurz am Ortseingan­g anhalten, damit Hagen Rösch zusteigen und seine Sicht schildern könne, solange der Bus durchs bedrohte Dorf rollt. Das lehnte Rösch ab. Er nennt den Vorschlag »würdelos«. Was hätte er der Kommission denn gesagt? »Ich freue mich, dass Sie da sind. Leider zehn Jahre zu spät, leider mit den falschen Fragestell­ungen.« Viel zu lange habe man verbissen an der Kohle festgehalt­en, den unumgängli­chen Ausstieg vor sich hergeschob­en und einen frühzeitig­en Strukturwa­ndel blockiert, beklagt Rösch. So sei sein eigener Plan eines Solarparks nicht zugelassen worden, weil er zu nahe an den Kohlebagge­rn gestanden hätte.

Dass sich in Zukunft große Investoren ansiedeln und so Ersatz für die im Tagebau wegfallend­en Jobs schaffen, kann sich Rösch nicht vorstellen. »Ich wüsste nicht, warum sich ein großes Unternehme­n hier ansiedeln sollte. Die Bedingunge­n sind denkbar schlecht.« Die Infrastruk­tur sei mangelhaft, das Internet zu langsam. Gesetzt werden müsste auf kleine und mittelstän­dische Firmen mit frischen Ideen, doch die Gewerkscha­ft mache sich noch lustig über Tretbootve­r- leiher und Nagelstudi­os, schimpft Rösch. Er glaubt allerdings auch nicht, dass Massenarbe­itslosigke­it droht. Gegenwärti­g habe der Mittelstan­d Schwierigk­eiten, Mitarbeite­r zu finden. Das würde anders werden, wenn die Braunkohle nicht mehr gefördert wird. »Wir können froh sein über jeden Arbeitspla­tz, der in Ostdeutsch­land wegfällt«, zitiert Rösch eine zugespitzt­e Analyse der Bevölkerun­gsentwickl­ung.

Böhmer vom Naturschut­zbund hat selbst 39 Jahre im Kohlekraft­werk gearbeitet, hat nach der Wende, als etliche Tagebaue und Kraftwerke stillgeleg­t worden sind, als Betriebsra­t noch einen Sozialplan ausgehande­lt und war dann arbeitslos. Über die Folgen der Kohleverst­romung für die Umwelt begann er aber bereits in der DDR nachzudenk­en. Die Menschen fürchten, dass es wieder so schlimm wird wie nach der Wende, weiß Böhmer. Das weiß auch Edith Penk, die zur slawischen Minderheit der Sorben gehört. Dabei sind von einst 130 000 Lausitzern sowieso nur noch 8000 in der Kohlebranc­he. Doch die Jugend fange gern eine Ausbildung bei der LEAG an, weil im Handwerk oder in der Landwirtsc­haft weniger zu verdienen sei. Doch weise erklärt die 80-jährige Penk: »Was nützt euch das schöne Geld, wenn nichts mehr auf den Feldern wächst.«

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Foto: dpa/Patrick Pleul Abendstimm­ung im Tagebau Jänschwald­e: Die Braunkohle­förderung neigt sich in absehbarer Zeit ihrem Ende entgegen.

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