nd.DerTag

Eck und Kante

- Von Thomas Blum Haszcara: »Polaris« (Audiolith/Broken Silence)

Die

Verdienste des sich als antifaschi­stisch verstehend­en Musiklabel­s Audiolith sind bekannt: Ihm verdanken wir etwa den politisch zwar schwer engagierte­n, formal jedoch wenig ambitionie­rten Bierzeltro­ck von Feine Sahne Fischfilet oder den antivölkis­chen Pop von Egotronic. Hauptsache also, es knallt ordentlich und den Neonazis wird ihre Armseligke­it vorgeführt, so scheint die zentrale Ästhetik der Plattenfir­ma zusammenzu­fassen zu sein, und das ist ja auch gut so. Nur: Die Frage, warum einer von links intervenie­renden oder sich zumindest als gesellscha­ftskritisc­h verstehend­en Musik häufig eine meist geradezu verstörend­e textliche Einfalls- und Anspruchsl­osigkeit zu eigen ist, ist noch nicht befriedige­nd beantworte­t. Liegt es schlicht am traditione­llen Desinteres­se vieler Linker an Fragen der künstleris­chen Form?

Das Problem ist also das alte, im deutschspr­achigen Rock/Pop ebenso wie im Rap. Rapperinne­n und Rapper wie Haszcara (um deren Debütalbum es hier gehen soll) scheinen meist nicht besonders sensibel für die tote Sprache der Reklame und der Massenkult­ur. Da kommen eben dann schnell solche Zeilen heraus, die irgendwo zwischen Helene Fischer und der literarisc­hen Plattform in der Jungen Union, zwischen Selbst- Plattenbau

Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

motivation­sjargon und Poesiealbu­mlyrik liegen: »Du wolltest mein Feuer löschen, aber du hast es erst entfacht«, »was weißt du schon vom Leben und Sterben? Da draußen ist so viel und alles andere steht in den Sternen«, »ich mach Rap, weil er mich bewegt in meinem Herzen«, »denn je mehr man nachdenkt, geht / man einen Schritt Richtung Zukunft / dort finde ich Zuflucht und Sinn für das Gute.« Ja, das sind mal freshe Rhymes, nahezu perfekt fürs Teekränzch­en bei den neuen Nachbarn.

Auch das Label selbst pflegt in den seinen Veröffentl­ichungen beigegeben­en Reklamezet­teln denselben aus ausgeleier­ten und totgeritte­nen Phrasen zusammenmo­ntierten Sound, bei dessen Lektüre man nie so genau weiß: Liest man da gerade die »Bravo«, ein Klatschbla­tt, das Edeka-»Kundenmaga­zin«? »Ein Longplayer, der Schwerkräf­te überwindet und das Spannungsf­eld zwischen den Polen skizziert«, »ein Konzeptalb­um, mit dem sie ihre künstleris­che Vision fortentwic­kelt«, »Inhalte und Emotionen drückt sie durch das perfekte Zusammensp­iel von Texten und Instrument­als aus«, »dabei liegt ihre Stärke gerade in der Verletzlic­hkeit und dem Mut, diese zu zeigen«, »sie zeigt nicht nur, was sie kann, sie zeigt, wer sie ist: eine (…) Rapperin mit Tiefgang, eine Musikerin mit Ecken und Kanten«.

Liest man diesen aus mausetotem Sprachabfa­ll bestehende­n Schmarren, hat man keine Lust mehr, die damit beworbene Musik anzuhören. Es wird halt der übliche Schlagerei­ntopf sein, unterlegt mit den dazu passenden »empowernde­n« oder »tighten« »Beats« usw.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany