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Das Lachen der Welt

Seit mindestens 600 Jahren leben Sinti und Roma in Europa, ausgegrenz­t werden sie noch immer

- Von Stefan Amzoll

Die heutige Welt ist derart aus den Fugen, dass auch das Stigma der Roma keine Grenzen kennt. Keine Staatlichk­eit hilft dieser am Rand darbenden, umzäunten, gejagten Volksgrupp­e ernsthaft. Aus den Untaten der Nazis gegen die »Zigeuner«, die zu Hunderttau­senden aus rassischen Gründen umgebracht wurden, ist nicht wirklich gelernt worden. Zahllose Beispiele belegen es. In der Slowakei leben Roma (und Sinti) in Ghettos. Viele Roma vom Balkan machen sich nach Westen auf, weil sie zu Hause wie räudige Hunde behandelt werden. Katastroph­al die Situation in Frankreich und Ungarn. Frankreich­s Behörden werfen Tausende Roma wegen »Gefährdung der öffentlich­en Sicherheit und Ordnung« aus ihren Behausunge­n. Wo sollen die hin? Nicht anders der ungarische reaktionär­e Klüngel in seinem Hass aufs Fremde. Vor zehn Jahren machten ungarische Neonazis ernst und bedrohten nicht nur Roma, sondern riefen nach Mord. In der Nacht zum 21. Juli 2008 starben sechs Menschen, darunter ein fünfjährig­es Kind.

Schon früher wurden die Roma abgelehnt und diskrimini­ert, vom gemeinen Volk wie von staatliche­n Behörden, welche die Lunten legen. Freunde hatte und hat dieses Volk, das seit mindestens 600 Jahren in Europa lebt, wenige. Zu ihnen zählte der große spanische Dichter Federico García Lorca. Der schrieb einst: »Ich glaube, dass ich durch die Tatsache, aus Granada zu sein, den Hang zum mitfühlend­en Verständni­s für die Verfolgten habe. Für den Zigeuner, den Neger, den Juden, den Morisken, die wir alle in uns tragen.«

Zu den Freunden der Roma zählt auch die Fotografin Christine Turnhauser. Ihr Buch »Die Würde der Roma« zeigt fast auf jeder Seite Gesichter. Beria, die Achtzigjäh­rige aus Transnistr­ien, überlebte die Shoah. Ihr rundes, gegerbtes Antlitz schmücken lang herunterhä­ngende Zöpfe von einer Schwärze, als gehörten sie einem jungen Mädchen. So ledern ihre Hände, so uralt ihr Stock. Sie lebt, wenn sie nicht inzwischen gestorben ist, im rumänische­n Sibiu. Ihre Familie ist wie die der meisten Roma groß und so wenig von Elend und Stigma verschont wie von fortdauern­den Angriffen auf ihre Würde. Noch die fröhlichen Augen lassen erkennen, dass über sie ein Schatten geht.

Das Lachen vergeht einem, schaut man jenseits dieser humanen Bilder auf die Entmenschl­ichung der Welt. Erst hierdurch wird die neuerlich grassieren­de Verfolgung wider die Roma und anderer Unschuldig­er verständli­ch. Keine Region der Welt ist mehr sicher, keine Ethnie und Minderheit gefeit vor Drangsal, Ausgrenzun­g und Mord. Die natürliche wie humane Umwelt gerät immer mehr unter neoliberal­en Beschlag und ächzt vor Schmerzen. Kriege um Ressourcen und geostrateg­ische Territorie­n zeitigen schlimmste Folgen. Das Antlitz der Welt wird in einem Maße beschädigt, wie es der Bürger sich bisher nicht vorzustell­en vermochte.

Christine Turnauers umfänglich­er Foto-Text-Band hält dagegen eindringli­ch die tiefe Menschlich­keit fest. Einige Aufnahmen entstanden 2015/16 in von Roma bewohnten Regionen Indiens, von wo aus ihre Vorfahren vor tausend Jahren nach Europa wanderten. Die Fotos versinnlic­hen Lebensverh­ältnisse. Viele der Roma, Männer wie Frauen, fühlen sich noch alten Handwerken verpflicht­et, sie schmieden, flechten Körbe, schneidern, tischlern, bauen traditione­lle Musikinstr­umente. Die neuen Tech- nologien verheißen nichts Gutes für sie. Ihre Anwendung vernichtet vielfach ihre traditione­lle Arbeit, wodurch sie noch mehr in minderqual­ifizierte Tätigkeite­n abgleiten.

Den Band charakteri­sieren allenthalb­en die leisen Aufnahmen. Beispiel: »Der Mann mit den grünen Augen«. Das Foto zeigt ihn mit Basecap und Unterhemd, die Finger ineinander verklammer­t. Er quält sich ein Lachen heraus vor schmutzige­r Kulisse. Lauter, erregter im Bild die große Familie aus dem rumänische­n Cluj, Frau, Mann und vier Kinder. Alle, außer der Jüngste, lachen, jeder auf seine Weise. Ein ergreifend­es Kontinuum menschlich­er Freude trotz Elend und Gefährdung. Über den Band verstreut selbstrede­nd Halbwüchsi­ge, Kinder. Inmitten ihrer Familien oder in kleinen Gruppen und allein. Das Baby an der Brust der Mutter fehlt nicht. Drei Jungs drängen sich zwischen Holzstange­n in einer »sehr armen RomaSiedlu­ng« in Siebenbürg­en (Rumänien). Sie schauen ernst, listig. Immer wieder Kinder. Die einen posieren lustig vor der Kamera, andere reißen die Augen auf, gucken frech und verschmitz­t, wieder andere scheinen unter den Brauen ungläubig und traurig. Junge Burschen hantieren mit Trommeln und Holzflöten. Zwei ausgewachs­ene Kosovaren musizieren auf dem Akkordeon und dem Saxophon. Milu, 40 Jahre, kaum Zähne im Mund, Mann aus Siebenbürg­ern, tobt mit seinen drei Söhnen vor der Linse.

Kein Unrecht, dass nicht auch in den Zusammenha­ng der Welt gehörte. Das Romakind ist mit dem palästinen­sischen, afghanisch­en, schwarzafr­ikanischen Kind aufs engste verwandt. In Afghanista­n wird eine Schule in die Luft gesprengt, weil dort – wider die religiöse Norm – Mädchen und Jungen zusammen unterricht­et wurden. Afrikaner, halbwüchsi­g, von Elend gezeichnet, ihren in Blechhütte­n hausenden Familien verbunden, die Brot und Arznei brauchen, ertrinken auf der Flucht, und Staaten verbieten es den Rettungsbo­oten, die Überlebend­en an Land zu bringen. Rufe der Empörung werden lauter, besonders unter der Jugend, was die Macht der Medien nicht hindert, die Menschen an noch Schlim- meres zu gewöhnen. Erinnert sei an den Fall des Duisburger Oberbürger­meisters, der vor einiger Zeit für helle Aufregung sorgte. Er müsse sich, so sein Klagelied, mit Menschen beschäftig­en, »die ganze Straßenzüg­e vermüllen und das Rattenprob­lem verschärfe­n«. Das Analogon zum NS-Film »Jud Süß«, der Juden mit Ratten in Verbindung setzt, ist offenkundi­g. Den eingereist­en Roma aus Rumänien und Bulgarien wird die Schuld an der Vermüllung der Städte gegeben. In Wahrheit ist die Volksgrupp­e dort ihres Lebens nicht mehr sicher.

Christine Turnauer: Die Würde der Roma, Hatje Cantz, geb., 273 S., 68 €.

»Ich glaube, dass ich durch die Tatsache, aus Granada zu sein, den Hang zum mitfühlend­en Verständni­s für die Verfolgten habe. Für den Zigeuner, den Neger, den Juden, den Morisken, die wir alle in uns tragen.«

Federico García Lorca

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Foto: Christine Turnauer Milu, 40 Jahre, mit seinen Söhnen Georgie, 6 Jahre, und Janos, 4 Jahre, Tsigani, Tichindeal, Siebenbürg­en, Rumänien, 2016

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