Mission Merkur
Europäer und Japaner wollen die Rätsel des Planeten Merkur lösen. Nächste Woche soll die Sonde »BepiColombo« starten.
Glühend heiß, eiskalt, total verstrahlt: Der kleine Planet macht es seinem irdischen Besuch nicht leicht.
Obwohl der Merkur schon seit 5000 Jahren von Astronomen (und Astrologen) beobacht wird, ist er einer der am wenigsten erforschten Planeten unseres Sonnensystems. Das liegt nicht daran, dass er so klein ist – die größten Monde von Jupiter und Saturn sind größer. Der Hauptgrund unserer geringen Kenntnisse über den sonnennächsten Planeten ist eben die Sonnennähe. Infolgedessen ist er mit Teleskopen von der Erde oder aus der Erdumlaufbahn nur schlecht zu beobachten, weil die nahe Sonne alles überstrahlt. Auch die Erforschung mit Raumsonden ist schwierig. Der Merkur kreist mit hoher Geschwindigkeit (ca. 48 Kilometer pro Sekunde) um die Sonne. Einerseits muss eine Raumsonde diese Geschwindigkeit erreichen, um zum Merkur zu gelangen, andererseits muss sie stark abbremsen, wenn sie zu guter Letzt den Planeten umkreisen soll. Und so konnte erst 1974 die US-Sonde »Mariner 10« in drei Vorbeiflügen weniger als die Hälfte der Merkuroberfläche kartieren.
Seitdem ist zumindest so viel gesichert: Der Merkur gehört wie Venus, Erde und Mars zu den Gesteinsplaneten, die man auch die erdähnlichen nennt. Merkur besitzt wie der Erdmond praktisch keine Atmosphäre, was seine kraterübersäte Oberfläche erklärt. Die fehlende Atmosphäre erklärt auch die krassen Temperaturunterschiede: Am Äquator steigt das Thermometer am Tage auf 470 Grad Celsius, um nachts auf -183 Grad abzusinken. In einigen Kratern der Polregionen steigt die Temperatur wiederum nie über -163 Grad. Und anders als der Mars besitzt der Merkur ein Magnetfeld. Daraus schloss man, dass der kleinste Planet ähnlich wie die Erde einen flüssigen Kern hat. Die im Vergleich zur Größe erhebliche Masse des Merkur sprach für einen hohen Anteil von Eisen und Nickel.
Es dauerte dann beinahe vier Jahrzehnte, bis der Merkur wieder Besuch von der Erde bekam. Die ebenfalls von der US-Raumfahrtagentur NASA im Jahre 2004 gestartete Sonde »Messenger« schwenkte 2011 in den Merkurorbit ein und sendete bis zu ihrem gezielten Absturz 2015 Messdaten und Fotos zur Erde. Die Sonde kartierte diesmal den ganzen Planeten und vermaß auch das Magnetfeld des Merkur genauer. Allerdings bewegte sich »Messenger« auf einer sehr exzentrischen Bahn. Während die Sonde über der Nordhalbkugel in nur 200 Kilometern Höhe flog, war sie von der Südhalbkugel mehr als 15 000 Kilometer entfernt. Entsprechend sind die Informationen über die Südhalbkugel weniger detailliert. Schwere- und Magnetfeldmessungen waren im Süden nur sehr begrenzt, Höhenmessungen überhaupt nicht möglich, wie der Planetenforscher Jürgen Oberst vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erläutert.
Genau das soll die europäisch-japanische Sonde »BepiColombo« ändern. Die wird, wenn alles planmäßig verläuft, am nächsten Wochenende von Kourou in Französisch-Guyana an der Spitze einer »Ariane 5« starten. Der Name der Sonde ist eine Ehrung für den italienischen Wissenschaftler Giuseppe »Bepi« Co- lombo (1929–1984). Der hatte nämlich die entscheidende Idee, wie man mit einer möglichst kleinen Trägerrakete zu solch schwer erreichbaren Zielen wie Merkur oder Pluto gelangt: Man nutzt die Schwerkraft anderer Planeten gewissermaßen als Schleuder. Die von der europäischen Raumfahrtagentur ESA und ihrer japanischen Schwesterorganisation JAXA konzipierte Sonde wird auch wieder solch eine trickreiche Flugbahn einschlagen. Bis zum Einschwenken in die Umlaufbahn um Merkur kommt es zu zwei Venus- und sechs Merkurvorbeiflügen. Für diese komplizierten Flugmanöver besitzt die Transportplattform der beiden zu »BepiColombo« gehörenden Teilsonden neben vier Treibstoff sparenden elektrischen Ionentriebwerken noch chemische Steuertriebwerke.
Ursprünglich sollte »BepiColombo« bereits 2013 starten. Doch die extremen Bedingungen am Merkur zwangen zu einigen Konstruktionsänderungen. Johannes Benkhoff vom ESA-Technologiezentrum ESTEC im niederländischen Noordwijk erläuterte bei einem Pressegespräch, dass sich bei Tests der Solarzellen zeigte, dass diese unter den Bedingungen des Merkur – mehr als 300 Grad Celsius, zehn Mal so starke Strahlung wie im Erdorbit – durch Materialalterung zu schnell an Leistung verlieren. Die Lösung: verspiegelte Solarpaneele, die im 80-Grad-Winkel zur Sonne stehen. Wegen der Reflexionsverluste mussten die Solarzellen für die notwendige Leistung sehr viel größer gebaut und der Sondenkörper entsprechend stabilisiert werden. Das alles verzögerte den Start um fünf Jahre und zwang zum Wechsel von der ursprünglich geplanten »Sojus«-Trägerrakete zur teureren und größeren »Ariane 5«.
Gegenüber »Messenger« weist »BepiColombo« laut DLR-Forscher Oberst mehrere Vorteile auf. Zum einen bestehe die Mission aus zwei Sonden, dem Mercury Planetary Orbiter (MPO) der ESA und dem Mercury Magnetospheric Orbiter (MMO) der JAXA. Damit können zeitgleich Messungen aus verschiedenen Umlaufbahnen gemacht werden. Außerdem werden beide Sonden den Merkur in einer nur leicht elliptischen niedrigen Bahn umkreisen. Der MPO wird den Planeten aus einer Höhe von 400 bis 1500 Kilometern beobachten. Die für beide Halbkugeln verbesserte »BepiColombo« hat außerdem eine deutlich bessere Instrumentenausstattung. Auf beiden Orbitern befinden sich insgesamt 15 wissenschaftliche Instrumente. Die Kamera liefert Bilder und Spektren vielfach höherer Auflösung als »Messenger«. Vergleichbare Ultraviolett- und Infrarotspektrometer besaß die NASA-Sonde nicht. Der vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betriebene Laserhöhenmesser wird eine globale topografische Karte des Planeten liefern. Überdies können beide Sonden ein Vielfaches der Datenmenge übertragen, als es bei »Messenger« möglich war.
Die Messung von Magnetfeld- und Schwerefeld mit zwei verschiedenen Sonden wird auch genauere Aussagen über die innere Struktur des Merkur ermöglichen. Wie der an der Mis- sion beteiligte Wissenschaftler Bastien Brugger von der Universität AixMarseille am Rande des European Planetary Science Congress (EPSC) 2018 in Berlin erklärte, zeigen Computersimulationen des Merkurinneren, dass die Verteilung der Elemente im flüssigen Mantel des Merkur anders als auf der Erde sein muss. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Merkur einen dichteren Mantel als die Erde hat, der erhebliche Mengen an Eisen enthalten kann. Ebenfalls anders als auf der Erde ist die Zusammensetzung der festen Kruste. Die Daten von »Messenger« zeigen, dass Eisen dort nur selten als Silikat vorkommt, sondern eher in metallischer Form oder als Sulfid. Eisensulfid – auch bekannt als Pyrit oder Katzengold – ist in der Erdkruste deutlich seltener.
DLR-Forscher Oberst erhofft sich von »BepiColombo« auch Aufschlüsse über die Ursachen der beobachteten Taumelbewegung (Libration) des Merkur. Die Messreihen der »Messenger«-Mission seien zu kurz gewesen. All diese Daten sollten dann auch Aufschluss darüber geben, wie der Merkur entstanden ist und welche Entwicklungsstufen er durchlaufen hat. »Wir denken, dass Planetesimale (kleine Vorläufer von Planeten – d. A.) in der innersten Region des Sonnensystems sehr früh aus Material entstanden sein könnten, das aufgrund der extremen Temperatur dort erst verdampft und anschließend wieder kondensiert wurde«, sagt Thomas Ronnet von der Universität Aix-Marseille. Wäre der Merkur aus sonnenferneren Planetesimalen entstanden, so müsste er deutlich mehr oxidiertes Material enthalten als tatsächlich gefunden wurde, meint Ronnet.
Eine weitere interessante Frage ist die nach dem Vorhandensein von Wasser. Am Nordpol des Merkur konnte »Messenger« Krater ausmachen, die leichtflüchtige Elemente, möglicherweise auch Wassereis aus Kometen enthalten. Für den Südpol fehlen solche direkten Messungen bisher. Aus größerer Nähe könnte »BepiColombo« diese Frage beantworten helfen. Allerdings warnt Jürgen Oberst vor der Vorstellung, Wasser auf dem Merkur wäre ein Hinweis auf Leben. Dazu dürften die Bedingungen zwischen Backofen und Tiefkühlschrank denn doch wohl zu extrem sein.
Ursprünglich sollte »BepiColombo« bereits 2013 starten. Doch die extremen Bedingungen am Merkur zwangen zu einigen Konstruktionsänderungen. Das alles verzögerte den Start um fünf Jahre.