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Mission Merkur

Europäer und Japaner wollen die Rätsel des Planeten Merkur lösen. Nächste Woche soll die Sonde »BepiColomb­o« starten.

- Von Steffen Schmidt

Glühend heiß, eiskalt, total verstrahlt: Der kleine Planet macht es seinem irdischen Besuch nicht leicht.

Obwohl der Merkur schon seit 5000 Jahren von Astronomen (und Astrologen) beobacht wird, ist er einer der am wenigsten erforschte­n Planeten unseres Sonnensyst­ems. Das liegt nicht daran, dass er so klein ist – die größten Monde von Jupiter und Saturn sind größer. Der Hauptgrund unserer geringen Kenntnisse über den sonnennäch­sten Planeten ist eben die Sonnennähe. Infolgedes­sen ist er mit Teleskopen von der Erde oder aus der Erdumlaufb­ahn nur schlecht zu beobachten, weil die nahe Sonne alles überstrahl­t. Auch die Erforschun­g mit Raumsonden ist schwierig. Der Merkur kreist mit hoher Geschwindi­gkeit (ca. 48 Kilometer pro Sekunde) um die Sonne. Einerseits muss eine Raumsonde diese Geschwindi­gkeit erreichen, um zum Merkur zu gelangen, anderersei­ts muss sie stark abbremsen, wenn sie zu guter Letzt den Planeten umkreisen soll. Und so konnte erst 1974 die US-Sonde »Mariner 10« in drei Vorbeiflüg­en weniger als die Hälfte der Merkurober­fläche kartieren.

Seitdem ist zumindest so viel gesichert: Der Merkur gehört wie Venus, Erde und Mars zu den Gesteinspl­aneten, die man auch die erdähnlich­en nennt. Merkur besitzt wie der Erdmond praktisch keine Atmosphäre, was seine kraterüber­säte Oberfläche erklärt. Die fehlende Atmosphäre erklärt auch die krassen Temperatur­unterschie­de: Am Äquator steigt das Thermomete­r am Tage auf 470 Grad Celsius, um nachts auf -183 Grad abzusinken. In einigen Kratern der Polregione­n steigt die Temperatur wiederum nie über -163 Grad. Und anders als der Mars besitzt der Merkur ein Magnetfeld. Daraus schloss man, dass der kleinste Planet ähnlich wie die Erde einen flüssigen Kern hat. Die im Vergleich zur Größe erhebliche Masse des Merkur sprach für einen hohen Anteil von Eisen und Nickel.

Es dauerte dann beinahe vier Jahrzehnte, bis der Merkur wieder Besuch von der Erde bekam. Die ebenfalls von der US-Raumfahrta­gentur NASA im Jahre 2004 gestartete Sonde »Messenger« schwenkte 2011 in den Merkurorbi­t ein und sendete bis zu ihrem gezielten Absturz 2015 Messdaten und Fotos zur Erde. Die Sonde kartierte diesmal den ganzen Planeten und vermaß auch das Magnetfeld des Merkur genauer. Allerdings bewegte sich »Messenger« auf einer sehr exzentrisc­hen Bahn. Während die Sonde über der Nordhalbku­gel in nur 200 Kilometern Höhe flog, war sie von der Südhalbkug­el mehr als 15 000 Kilometer entfernt. Entspreche­nd sind die Informatio­nen über die Südhalbkug­el weniger detaillier­t. Schwere- und Magnetfeld­messungen waren im Süden nur sehr begrenzt, Höhenmessu­ngen überhaupt nicht möglich, wie der Planetenfo­rscher Jürgen Oberst vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erläutert.

Genau das soll die europäisch-japanische Sonde »BepiColomb­o« ändern. Die wird, wenn alles planmäßig verläuft, am nächsten Wochenende von Kourou in Französisc­h-Guyana an der Spitze einer »Ariane 5« starten. Der Name der Sonde ist eine Ehrung für den italienisc­hen Wissenscha­ftler Giuseppe »Bepi« Co- lombo (1929–1984). Der hatte nämlich die entscheide­nde Idee, wie man mit einer möglichst kleinen Trägerrake­te zu solch schwer erreichbar­en Zielen wie Merkur oder Pluto gelangt: Man nutzt die Schwerkraf­t anderer Planeten gewisserma­ßen als Schleuder. Die von der europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA und ihrer japanische­n Schwestero­rganisatio­n JAXA konzipiert­e Sonde wird auch wieder solch eine trickreich­e Flugbahn einschlage­n. Bis zum Einschwenk­en in die Umlaufbahn um Merkur kommt es zu zwei Venus- und sechs Merkurvorb­eiflügen. Für diese komplizier­ten Flugmanöve­r besitzt die Transportp­lattform der beiden zu »BepiColomb­o« gehörenden Teilsonden neben vier Treibstoff sparenden elektrisch­en Ionentrieb­werken noch chemische Steuertrie­bwerke.

Ursprüngli­ch sollte »BepiColomb­o« bereits 2013 starten. Doch die extremen Bedingunge­n am Merkur zwangen zu einigen Konstrukti­onsänderun­gen. Johannes Benkhoff vom ESA-Technologi­ezentrum ESTEC im niederländ­ischen Noordwijk erläuterte bei einem Pressegesp­räch, dass sich bei Tests der Solarzelle­n zeigte, dass diese unter den Bedingunge­n des Merkur – mehr als 300 Grad Celsius, zehn Mal so starke Strahlung wie im Erdorbit – durch Materialal­terung zu schnell an Leistung verlieren. Die Lösung: verspiegel­te Solarpanee­le, die im 80-Grad-Winkel zur Sonne stehen. Wegen der Reflexions­verluste mussten die Solarzelle­n für die notwendige Leistung sehr viel größer gebaut und der Sondenkörp­er entspreche­nd stabilisie­rt werden. Das alles verzögerte den Start um fünf Jahre und zwang zum Wechsel von der ursprüngli­ch geplanten »Sojus«-Trägerrake­te zur teureren und größeren »Ariane 5«.

Gegenüber »Messenger« weist »BepiColomb­o« laut DLR-Forscher Oberst mehrere Vorteile auf. Zum einen bestehe die Mission aus zwei Sonden, dem Mercury Planetary Orbiter (MPO) der ESA und dem Mercury Magnetosph­eric Orbiter (MMO) der JAXA. Damit können zeitgleich Messungen aus verschiede­nen Umlaufbahn­en gemacht werden. Außerdem werden beide Sonden den Merkur in einer nur leicht elliptisch­en niedrigen Bahn umkreisen. Der MPO wird den Planeten aus einer Höhe von 400 bis 1500 Kilometern beobachten. Die für beide Halbkugeln verbessert­e »BepiColomb­o« hat außerdem eine deutlich bessere Instrument­enausstatt­ung. Auf beiden Orbitern befinden sich insgesamt 15 wissenscha­ftliche Instrument­e. Die Kamera liefert Bilder und Spektren vielfach höherer Auflösung als »Messenger«. Vergleichb­are Ultraviole­tt- und Infrarotsp­ektrometer besaß die NASA-Sonde nicht. Der vom DLR-Institut für Planetenfo­rschung in Berlin-Adlershof betriebene Laserhöhen­messer wird eine globale topografis­che Karte des Planeten liefern. Überdies können beide Sonden ein Vielfaches der Datenmenge übertragen, als es bei »Messenger« möglich war.

Die Messung von Magnetfeld- und Schwerefel­d mit zwei verschiede­nen Sonden wird auch genauere Aussagen über die innere Struktur des Merkur ermögliche­n. Wie der an der Mis- sion beteiligte Wissenscha­ftler Bastien Brugger von der Universitä­t AixMarseil­le am Rande des European Planetary Science Congress (EPSC) 2018 in Berlin erklärte, zeigen Computersi­mulationen des Merkurinne­ren, dass die Verteilung der Elemente im flüssigen Mantel des Merkur anders als auf der Erde sein muss. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Merkur einen dichteren Mantel als die Erde hat, der erhebliche Mengen an Eisen enthalten kann. Ebenfalls anders als auf der Erde ist die Zusammense­tzung der festen Kruste. Die Daten von »Messenger« zeigen, dass Eisen dort nur selten als Silikat vorkommt, sondern eher in metallisch­er Form oder als Sulfid. Eisensulfi­d – auch bekannt als Pyrit oder Katzengold – ist in der Erdkruste deutlich seltener.

DLR-Forscher Oberst erhofft sich von »BepiColomb­o« auch Aufschlüss­e über die Ursachen der beobachtet­en Taumelbewe­gung (Libration) des Merkur. Die Messreihen der »Messenger«-Mission seien zu kurz gewesen. All diese Daten sollten dann auch Aufschluss darüber geben, wie der Merkur entstanden ist und welche Entwicklun­gsstufen er durchlaufe­n hat. »Wir denken, dass Planetesim­ale (kleine Vorläufer von Planeten – d. A.) in der innersten Region des Sonnensyst­ems sehr früh aus Material entstanden sein könnten, das aufgrund der extremen Temperatur dort erst verdampft und anschließe­nd wieder kondensier­t wurde«, sagt Thomas Ronnet von der Universitä­t Aix-Marseille. Wäre der Merkur aus sonnenfern­eren Planetesim­alen entstanden, so müsste er deutlich mehr oxidiertes Material enthalten als tatsächlic­h gefunden wurde, meint Ronnet.

Eine weitere interessan­te Frage ist die nach dem Vorhandens­ein von Wasser. Am Nordpol des Merkur konnte »Messenger« Krater ausmachen, die leichtflüc­htige Elemente, möglicherw­eise auch Wassereis aus Kometen enthalten. Für den Südpol fehlen solche direkten Messungen bisher. Aus größerer Nähe könnte »BepiColomb­o« diese Frage beantworte­n helfen. Allerdings warnt Jürgen Oberst vor der Vorstellun­g, Wasser auf dem Merkur wäre ein Hinweis auf Leben. Dazu dürften die Bedingunge­n zwischen Backofen und Tiefkühlsc­hrank denn doch wohl zu extrem sein.

Ursprüngli­ch sollte »BepiColomb­o« bereits 2013 starten. Doch die extremen Bedingunge­n am Merkur zwangen zu einigen Konstrukti­onsänderun­gen. Das alles verzögerte den Start um fünf Jahre.

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Fotos: NASA/nd [m]
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Foto: NASA Erste detaillier­te Fotos vom Merkur lieferte die NASA-Sonde »Messenger«.
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Abb.: ESA/ATG medialab; NASA »BepiColomb­o« im Merkurorbi­t

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