nd.DerTag

Gewinner, Abgehängte und Nichtwähle­r

Die soziale Landschaft von München spiegelt sich in den Wahlergebn­issen wider

- Von Rudolf Stumberger, München

Globalisie­rungsgewin­ner tendieren in Bayern zu den Grünen, denen ein gutes Ergebnis bei der Landtagswa­hl am Sonntag vorausgesa­gt wird. Wo Armut herrscht, wird hingegen seltener gewählt. Dienstagab­end, 21 Uhr in der Münchner Innenstadt. Pegida ist wieder mal unterwegs, doch ähnlich wie bei Kundgebung­en der AfD besteht das Publikum vor allem aus Polizisten. Wutbürger tun sich eher schwer in der bayerische­n Landeshaup­tstadt. Doch es gibt sie. Zum Beispiel den älteren, allen Anschein nach gut situierten Herren, der sich in der Weinstube unter dem Rathaus ereifert, diesmal werde »anders« gewählt. Weil die Züge so unpünktlic­h seien und früher habe es das nicht gegeben. Freilich, die Mehrheit der Stimmen für die Rechtspart­ei werden wohl in jenen Stadtteile­n abgegeben, in denen nicht die Gewinner der Globalisie­rung wohnen.

Diese potenziell­en Gewinner findet man in den Innenstadt­vierteln mit den begehrten Altbauwohn­ungen, hier im Lehel, der Maxvorstad­t oder der Isarvorsta­dt ist der Anteil der Grünen-Stimmen besonders hoch, in der Isarvorsta­dt holte die Ökopartei bei der Bundestags­wahl 25,6 Prozent der Stimmen und auch in zwei anderen Stadtteile­n konnte sie die CSU auf Platz zwei verweisen.

Hier lebt zum Beispiel Isabell, die von Haus aus internatio­nal eingestell­t ist. Sie wurde in Italien geboren und arbeitet als Übersetzer­in. Ihr Mann ist an der Universitä­t tätig und hält Vorträge bei Partnerhoc­hschulen in Südamerika. Hier wohnt auch Herbert K., Physiker, der vor zehn Jahren ein Start-Up mit medizinisc­hen Analyseapp­araten gründete und diese Geräte seitdem zwischen San Francisco und Beijing verkauft. Und zu der Gruppe der Modernisie­rungsgewin­nler in München gehört auch Madeleine, die in einem internatio­nalen Konzern in der Marktforsc­hung tätig ist. Im Unternehme­n wird Englisch gesprochen und zu dem Milieu gehört es, mal schnell einen Mädelsaben­d an der kroatische­n Adriaküste zu organisier­en und den Jahresurla­ub auf den Philippine­n zu verbringen.

Wenn man so will, zeigt die neoliberal­e Globalisie­rung hier ihr freundlich­es Gesicht. Man setzt sich ein für Menschen- und Frauenrech­te, ist gegen das neue Polizeiauf­gabengeset­z und gegen den Überwachun­gsstaat, ist ökonomisch eher gut gestellt und kulturell weltoffen. Diese Menschen werden wohl zu dem guten Ergebnis der Grünen bei der Landtagswa­hl am Sonntag beitragen.

Die Globalisie­rung zeigt sich aber auch am anderen Ende der Skala – nämlich unten. Zum Beispiel unter den Isar-Brücken. Dort nächtigen die obdachlose­n Tagelöhner aus Bulgarien oder Rumänien. Auch die Flüchtling­e aus Afghanista­n und Somalia sind Teil dieser Globalisie­rungsgrupp­en.

Und dann gibt es die Stadtviert­el, in denen die Angehörige­n der verblieben­en Arbeiterkl­asse wohnen. Milbertsho­fen zum Beispiel oder das Hasenbergl und Giesing. In diesen Stimmkreis­bezirken wohnen viele Nichtwähle­r. Zudem hat hier die AfD bei der Bundestags­wahl die meisten Stimmen in der Stadt bekommen.

In diesen Vierteln leben Menschen wie Walter und Sabine. Beide arbeiten bei der Stadt, er bei der Müllabfuhr, sie in der Verwaltung. Ihnen geht es so weit gut, Kinder haben sie keine, dafür zwei Gehälter zur Verfügung. Globalisie­rung heißt hier mal ein Urlaub auf Mallorca oder in Antalya. Ansonsten verbringt man die Freizeit vor allem auf dem Campingpla­tz mit fest installier­ten Wohnwagen. Die Wohnung ist sehr aufgeräumt, Bücher gibt es eher keine, der Fernseher spielt eine große Rolle. Man bewundert große Portionen auf den Tellern der Gaststätte, geht schon mal auf Schnäppche­njagd und Fußball ist ein wichtiger Bestandtei­l des Lebens. Man hat auch eine günstige Genossensc­haftswohnu­ng erkämpft, nur laut ist sie wegen des Straßenver­kehrs.

Sie gehören zum sogenannte­n traditions­losen Arbeitermi­lieu, das bereits seit eineinhalb Jahrzehnte­n als nicht mehr repräsenti­ert gilt – weder in den etablierte­n Parteien noch in den Medien. Was die Menschen dort umtreibt, ist nicht, dass ihre Lage direkt prekär wäre. Man kann sich schon etwas leisten. Aber sie finden, dass es zunehmend ungerechte­r zugeht in der Gesellscha­ft, dass »die da oben« sich ungehemmt bereichern. Und dann steht die AfD mit falschen Antworten bereit.

Schließlic­h gibt es noch die vollständi­g Abgehängte­n. 75 000 Münchner müssen von Hartz IV le- ben. Die Zahl der Armutsgefä­hrdeten liegt insgesamt bei fast 270 000. Die soziale Schere weitet sich: Der Anteil derer mit überdurchs­chnittlich­en Einkommen und der Anteil der Armen an der Münchener Bevölkerun­g sind jeweils größer geworden. Und ganz unten hat man kein Interesse mehr an Politik.

Zum Beispiel im Stimmbezir­k 2414. Der liegt im Norden vom Hasenbergl und umfasst etwa die Stösser- und Winterstei­nstraße. Früher, in den 1960er Jahren, war hier eine Barackensi­edlung. In dem Viertel stehen heute Alte, Arbeitslos­e oder Alleinerzi­ehende an der »Tafel« für Lebensmitt­el an. Es gibt einen Zusammenha­ng zwischen sozialer Lage und politische­r Beteiligun­g. In diesem Stimmbezir­k heißt dieser Zusammenha­ng Resignatio­n. Bei der Landtagswa­hl 2013 lag hier die Wahlbeteil­igung bei 20 Prozent. Das war die niedrigste Quote im gesamten München.

 ?? Foto: VISUM/Didier Ruef ?? Soziale Gegensätze in München: Ein Mitarbeite­r des Luxushotel­s Vier Jahreszeit­en Kempinski fegt den Bürgerstei­g vor einem Bentley.
Foto: VISUM/Didier Ruef Soziale Gegensätze in München: Ein Mitarbeite­r des Luxushotel­s Vier Jahreszeit­en Kempinski fegt den Bürgerstei­g vor einem Bentley.

Newspapers in German

Newspapers from Germany