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Empörung über Anschmiere­n als neuen Schulsport

Die AfD will auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt Portale, auf denen Schüler politisch missliebig­e Lehrer anschwärze­n sollen

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Die AfD will in etlichen Bundesländ­ern Internetpo­rtale einrichten, auf denen politisch nicht neutrale Lehrer gemeldet werden sollen. Die Ablehnung ist groß, auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die drei Kernpunkte des »Beutelsbac­her Konsenses« gehören nicht unbedingt zum Alltagswis­sen. Er wurde vor 42 Jahren bei einer Tagung in dem Ort in Baden-Württember­g beschlosse­n und regelt die Grundsätze politische­r Bildung in der Bundesrepu­blik. Punkt 1: Lehrer dürfen Schüler nicht mit ihrer eigenen Meinung »überwältig­en«. Punkt 2: Was in Politik und Wissenscha­ft für Kontrovers­en sorgt, soll in Schulen ebenfalls kontrovers diskutiert werden. Punkt 3: Schüler sollen befähigt werden, die »vorgefunde­ne politische Lage« im Sinne ihrer Interessen zu beeinfluss­en.

Den »Beutelsbac­her Konsens« wird dieser Tage verstärkt in Erinnerung gerufen, etwa von Jens Weichelt. Die Übereinkun­ft garantiere, dass Meinungen von Schülern »nicht bewertet« würden, sagt der Chef des Sächsische­n Lehrerverb­andes (SLV) – »ganz gleich, in welche Richtung sie gehen«. Falls doch der Eindruck entstehe, das Gebot werde nicht beachtet, brächten Gespräche mit Lehrern »mehr als eine Internetpl­attform«.

Eine solche plant die AfD-Fraktion in Sachsen, so wie auch in zahlrei- chen weiteren Bundesländ­ern: Hamburg und Berlin, Brandenbur­g, Bayern, Sachsen-Anhalt. Schüler, Eltern und auch Lehrer sollen dort Verstöße gegen das Neutralitä­tsgebot von Pädagogen melden können. Die AfD sehe darin ein »Demokratie-Projekt für Sachsens Schulen«, sagte Landes- und Fraktionsc­hef Jörg Urban und kündigte an, das Portal »Lehrer-SOS« solle am Freitag freigescha­ltet werden.

Außerhalb der AfD stößt der Vorstoß quer durch die Parteien und bei Verbänden von Lehrern wie Schülern auf Empörung. Sachsens CDU-Ministerpr­äsident Michael Kretschmer sagte bei einem Bürgergesp­räch, wenn dazu aufgeforde­rt werde, Lehrer zu melden, die sich »politisch eckig« äu- ßern, müsse man entgegnen: »Nein, das ist nicht in Ordnung.« Schärfer formuliert­e es CDU-Kultusmini­ster Christian Piwarz. Er warf der AfD eine »ekelhafte Gesinnungs­schnüffele­i« vor. Rico Gebhardt, Fraktionsc­hef der LINKEN, nannte das geplante Portal eine »blau-braune Denunziati­onsmaschin­e«.

In Sachsen-Anhalt, wo von der AfD ebenfalls eine derartige Plattform angekündig­t wurde, schaltete Sebastian Striegel, Abgeordnet­er der Grünen, den Gesetzgebu­ngs- und Beratungsd­ienst des Landtags ein, um Fragen zur rechtliche­n Bewertung der Initiative zu klären. Auch der Datenschut­z soll eine Rolle spielen. Im sozialen Netzwerk Twitter brachte der Wissenscha­ftler und CDU-Politiker Christian Reinboth aus dem Harz die neue Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) ins Spiel. Wenn diese »nicht verhindert, dass (a) persönlich­e Daten von Lehrerinne­n (b) durch Minderjähr­ige (c) ohne deren Wissen und (d) gegen deren Willen (e) für politische Propaganda­zwecke (f) gesammelt und auf einer AfD-Propaganda­seite veröffentl­icht werden – dann verhindert sie gar nichts«.

Der Landesschü­lerrat Sachsen bezeichnet den AfD-Vorstoß als »sachlich schwachsin­nig« und undemokrat­isch. Sprecher Noah Wehn betonte, Lehrer sollten zwar »parteipoli­tisch neutral« bleiben. Zugleich sei es aber ihre Pflicht, in der politische­n Bildung zu »Diskussion und kritischer Betrachtun­g« anzuregen. Nur so könne die »Ausbildung von Mündigkeit« geschehen. Auch sollten sich Lehrer vor die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng stellen. »Beides schließt ein, sich kritisch mit einzelnen Parteien auseinande­rzusetzen«, sagte Wehn. Pascal Begrich, der Geschäftsf­ührer des Vereins Miteinande­r in Magdeburg, sagte, Lehrer dürften politisch gar nicht neutral sein, und zitiert zum Beleg das Schulgeset­z von Sachsen-Anhalt. Es fordert Lehrern auf, sie sollten »Werthaltun­gen vermitteln, welche Gleichacht­ung und Gleichbere­chtigung (...) fördern, und über Möglichkei­ten des Abbaus von Diskrimini­erung und Benachteil­igung aufklären«.

Gehe die Plattform online, hofft Gebhardt, man könne sie »mit fantasievo­llen Mitteln ins Leere laufen« lassen. Im Zweifel müssen Lehrer aber individuel­l gegen den Pranger vorgehen. GEW und DGB in Sachsen avisierten für diesen Fall bereits eine »umfassende Unterstütz­ung in möglichen Auseinande­rsetzungen«.

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