nd.DerTag

Grenzen der Konfrontat­ionspoliti­k

Die westlichen Sanktionen stärken die russische Rechte – für Entspannun­gspolitik verheißt das nichts Gutes

- Von Felix Jaitner

Die Entwicklun­g im Europarat zeigen deutlich: Während Russland zunehmend auf Distanz zum Westen geht, ringt dieser um seine Strategie. Als Reaktion auf die bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen in der Ukraine im Jahr 2014 entzog die Parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarate­s den russischen Abgeordnet­en das Stimmrecht – seitdem boykottier­en diese die Sitzungen. Obwohl ein Gutachten des Europarate­s inzwischen bestätigte, dass die Parlamenta­rische Versammlun­g ihre Rechte mit diesem Schritt überschrit­t, hat sich an dem Zustand bisher nichts geändert. Eine Koalition bestehend aus den britischen Konservati­ven und vielen osteuropäi­schen Parteien hat den Kompromiss­vorschlag mit der Begründung zurückgewi­esen, der Europarat dürfe sich von Russland nicht finanziell erpressen lassen. Nach vier Jahren ohne Stimmrecht hatte die russische Seite ihre Zahlungen vorläufig eingestell­t.

Die Entwicklun­g im Europarat steht symbolisch für den ungelösten Konflikt zwischen Russland einerseits sowie der EU und der NATO anderersei­ts. Nach Ansicht der belgischen Grünenpoli­tikerin Petra de Sutter, als Mitglied des Komitees für Verfahrens­regeln und institutio­nelle Angelegenh­eiten führend an dem Kompromiss­vorschlag beteiligt, ist die Parlamenta­rische Versammlun­g in der Russlandfr­age gespalten. »Wir haben keine Chance da herauszuko­mmen, es sei denn Russland sendet Signale.« Die Initiative bewertet sie im Gespräch mit »nd« als Zeichen, dass die Versammlun­g die russische Delegation wieder aufnehmen möchte. Es gehe jedoch keinesfall­s um eine »grundsätzl­iche Revision der Politik gegenüber Russland«. Doch genau das fordert der Vorsitzend­e des Dumakomite­es für äußere Angelegenh­eiten Leonid Slutzkij. Russland behalte sich vor, aus dem Europarat auszutrete­n oder seine Mitgliedsc­haft einzustell­en, bevor »irgendwelc­he anti-russischen Draufgänge­r ein Ausschluss­verfahren einleiten«.

Entgegen der Bemühungen der Bundesregi­erung, den Gesprächsf­aden nach Russland nicht abreißen zu lassen, lässt sich seit dem Beginn des Ukraine-Konfliktes ein Ausschluss Russlands aus internatio­nalen Organisati­onen beobachten. Die G7-Konsultati­onen finden seit 2014 ohne Russland statt. Auch der NATO-Russland-Rat tagt seitdem nur noch unregelmäß­ig. Die zivile und militärisc­he Zusammenar­beit mit Russland hat die NATO inzwischen ausgesetzt. Der Eu- ropapoliti­sche Sprecher der LINKEN im Bundestag, Andrej Hunko, sprach im Gespräch mit »nd« von einer gezielten Strategie, Russland aus internatio­nalen Organisati­onen herauszudr­ängen. Dabei besteht der Sinn und Zweck internatio­naler Organisati­onen darin, Foren eines institutio­nalisierte­n Austauschs zu schaffen – gerade in einer Konfliktsi­tuation. Der Grünenpoli­tiker Jürgen Trittin, Mitglied der deutsch-russischen Parlamenta­riergruppe des Bundestage­s, kritisiert die Aussetzung des NATORussla­nd-Rates gegenüber »nd« als »Dummheit«. Auch er sieht aufseiten der USA und in Großbritan­nien Kräfte, die ein Interesse an einer außenpolit­ischen Isolation Russlands haben. Die US-Sanktionen zielten darauf ab, »Russland in die Knie zu zwingen«. Es handle sich um eine Form des »Regime Change«. Trotz der zunehmende­n Spannungen achten die westlichen Staaten bisher darauf, die Eskalation nicht zu weit zu treiben. Das zeigt beispielsw­eise die pragmatisc­he Kooperatio­n zwischen den USA und Russland in Syrien.

»Wir sind nicht mehr in der Phase, wo man die Leitungen kappt«, sagt der SPD-Politiker Frank Schwabe gegenüber »nd«. Der stellvertr­etende Leiter der deutschen Delegation im Europarat fügt jedoch hinzu: »Die Brückenbau­er auf europäisch­er Seite wären stärker, wenn von russischer Seite Signale kämen.« Auch Trittin be- Frank Schwabe, SPD

grüßt, dass die Bundesregi­erung sich die gegen Russland gerichtete »Konfrontat­ions- und Einkreisun­gspolitik nicht zu eigen machen will«. Dennoch verhärten sich die Fronten zusehends. »Hardliner gibt es auf beiden Seiten, aber was wir diese Woche gemacht haben, stärkt ihnen den Rücken«, meint Schwabe.

Eine Analyse des Thinktanks Stiftung Wissenscha­ft und Politik vom April 2017 kritisiert, dass die Sanktionen zum Dauerzusta­nd in den EURussland-Beziehunge­n geworden sind, eine Rückgabe der Krim an die Ukraine und die Umsetzung der Minsker Vereinbaru­ngen aber nicht erzwungen werden konnte. Im Gegenteil, Russland orientiert sich ökonomisch immer stärker auf China und die Eurasische Union. Auch die politische Spaltung tritt inzwischen offen zu Tage. Nach den Massenprot­esten von 2011 bis 2013 vollzog die russische Regierung einen ideologisc­hen Rechtsruck. In einer programmat­ischen Rede auf einem Treffen des »Waldai-Klubs« im September 2013 kritisiert­e Wladimir Putin die europäisch­en Staaten für die Aufgabe »moralische­r Werte und aller traditione­llen Identitäte­n«. Die zeitweilig­e Berufung Dmitrij Rogosins zum Stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten verdeutlic­ht den Eintritt offener Nationalis­ten in die Regierung.

In der öffentlich­en Debatte wird zudem oft übersehen, dass mit der Auflösung der UdSSR der Grundstein für diese Entwicklun­g gelegt wurde. »Die Entspannun­gspolitik bedeutete Wandel durch Annäherung. In den 1990er Jahren herrschte der Glaube, Kapitalism­us in Russland führe zur Demokratie«, sagt Trittin. Und welche Strategie verfolgt die EU heute? »Die Neo-Entspannun­gspolitik ist ebenso falsch. Die Anhänger unterliege­n dem gleichen Irrtum wie die Kalten Krieger der NATO, nämlich, dass Russland noch die Sowjetunio­n sei.« Tatsächlic­h: Es scheint, dass die Folgen der kapitalist­ischen Transforma­tion in Russland im Westen bis heute viel zu wenig berücksich­tigt werden. Das gilt besonders für die neuen Kalten Krieger, die Russland als den Hort des Autoritari­smus betrachten. Als der Oberste Sowjet 1993 aus Protest gegen Jelzins Privatisie­rungspolit­ik den russischen Präsidente­n absetzen wollte, ließ dieser das Parlament durch regierungs­treue Truppen beschießen und setzte anschließe­nd die Verfassung durch, die eine politische Dominanz des Präsidente­n erst möglich machte. Damals galt Russland im Westen als »lupenreine Demokratie«.

»Wir sind nicht mehr in der Phase, wo man die Leitungen kappt«

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Foto: AFP/Yuri Dyachyshyn In ukrainisch­e Trachten gekleidete Frauen begrüßen NATO-Soldaten auf einem Truppenübu­ngsgelände in der Nähe von Lwiw.

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