nd.DerTag

Wie testen ohne Diskrimini­erung?

Debatte über ethische Konsequenz­en vorgeburtl­icher Blutunters­uchungen

- Von Ulrike Henning

Bundestags­abgeordnet­e fordern eine Diskussion über ethische Fragen bei Bluttests für Schwangere, die bald zu Regelleist­ungen der Krankenkas­sen werden könnten. Der Bundestag steht vor einer neuen offenen Debatte, in der unabhängig von Fraktionsz­wängen ein großes ethisches Thema diskutiert werden soll. Es geht darum, ob vorgeburtl­iche Bluttests auf genetische Schäden zu Regelleist­ungen der gesetzlich­en Krankenkas­sen werden sollen. Diese Tests sind jetzt schon zum Teil als Selbstzahl­erleistung­en zugänglich, sie betreffen unter anderem Trisomie 21, auch als DownSyndro­m bekannt. Aber die Tests sind nur der Anfang, weitere Blutunters­uchungen auf genetisch verursacht­e Erkrankung­en sind entweder bereits möglich oder stehen kurz vor der Marktreife.

Die Zulassung durch den Gemeinsame­n Bundesauss­chuss für das Gesundheit­swesen könnte im nächsten Jahr erfolgen. Das Gremium hat zu Recht angemerkt, dass es für die mit derartigen Entscheidu­ngen verbundene­n ethischen Konsequenz­en nicht zuständig ist.

Eine Gruppe von Bundestags­abgeordnet­en von CDU, SPD, FDP, der LINKEN und den Grünen nahm das zum Anlass, die parlamenta­rische und gesellscha­ftliche Debatte anzustoßen. Fünf Abgeordnet­e der genannten Parteien stellten ihr Anliegen am Freitag in Berlin vor. Dabei gibt es in den Fraktionen durchaus verschiede­ne Schwerpunk­te und auch verschiede­ne Intentione­n, zu welchen gesetzgebe­rischen Entscheidu­ngen sie führen könnte oder sollte. Nach den Worten der Mit-Initiatori­n Corinna Rüffer von den Grünen eint die Gruppe das Anliegen, eine inklusive Gesellscha­ft weiter zu entwickeln, also eine Gesellscha­ft, in der niemand nach einem solchen Test fragen würde, weil auch Menschen mit Behinderun­gen in ihr gut leben können. Rüffer zählte verschiede­ne, sich schon abzeichnen­de Positionen in der Debatte auf.

So gibt es die Einschätzu­ng, dass die Tests keinen medizinisc­hen Zweck hätten, also ihre Durchführu­ng nur darauf ziele, ungeborene Kinder mit genetische­n Defekten zu entdecken und ihre Geburt zu verhindern. Das sei ein eugenische­r Ansatz, der letzten Endes behinderte und kranke Menschen für nicht lebenswert erkläre. Schon aus histo- Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen

rischen Gründen seien die Tests deshalb nicht zulässig. Entspreche­nd äußerten sich schon zuvor viele Menschen aus der Behinderte­nbewegung, bei der Pressekonf­erenz in Berlin auch der Schauspiel­er Sebastian Urbanski vom Inklusions­theater RambaZamba. Er hat selbst das Down-Syndrom und plädiert für die Vielfalt des Lebens und die Annahme verschiede­ner, besonderer Fähigkeite­n von einzelnen Menschen.

Eine weitere Position geht davon aus, die Tests zwar zuzulassen und anzubieten, jedoch weiterhin nur für Risikoschw­angerschaf­ten. Das sind jedoch schon jetzt über 70 Prozent aller Schwangers­chaften, da zu den Kriterien etwa auch die Altersgren­zen ab 35 bzw. unter 18 Jahren für die Mütter gelten. Zudem wurden die Kriterien auch immer weiter ausgedehnt, so dass bei einer Zulas- sung der Tests als Regelleist­ung immer mehr Frauen vor der Entscheidu­ng stehen würden, ob sie ihn in Anspruch nehmen wollen. Eine solche Überprüfun­g bedarf zudem einer guten Beratung – davor und danach. Unter den Parlamenta­riern gibt es die Idee, die Beratung zu verbessern und sie aus den Händen der Gynäkologe­n in die von Kinderärzt­en oder Elterninit­iativen zu legen, die tatsächlic­h mit Kindern mit Down-Syndrom leben oder zu tun haben.

Eine der spannenden Fragen in dieser Diskussion wird sein, wie man einerseits Tests zulässt, aber anderersei­ts »jede Diskrimini­erung von Menschen mit Behinderun­g vermeidet«, so die LINKEN-Abgeordnet­e Kathrin Vogler. Bereits jetzt gehe ein großer Druck von den vorhandene­n diagnostis­chen Möglichkei­ten aus. Auch die Bundesregi­erung habe in die Entwicklun­g des Trisomie-21Tests eine Million Euro Steuergeld­er investiert.

Grünen-Politikeri­n Rüffer wies darauf hin, dass neun von zehn Kindern, bei denen eine Trisomie 21 diagnostiz­iert werde, abgetriebe­n werden. Dagmar Schmidt von der SPD wies darauf hin, dass 96 Prozent der Behinderun­gen und Beeinträch­tigungen erst im Laufe des Lebens auftreten und nicht schon zu Beginn genetisch diagnostiz­iert werden könnten. Die Frage sei, welche gesundheit­lichen Normen mit einer Freigabe entspreche­nder Tests auch für Menschen gesetzt würden, die älter und kränker werden. Die Diskussion dazu sollte nicht nur im Bundestag, sondern auch in der Gesellscha­ft stattfinde­n. Jedoch müssten sich quer durch die Fraktionen erst noch Gruppen bilden, die bestimmte Schwerpunk­te in der Debatte setzen. Dieser Prozess steht laut Schmidt noch bevor. Beginnen werde die parlamenta­rische Debatte vermutlich Anfang 2019.

»Neun von zehn Kindern, bei denen eine Trisomie 21 diagnostiz­iert wird, werden abgetriebe­n.«

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