nd.DerTag

Der Mann, der alle Winkel ausfüllt

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat noch keine Autobiogra­fie geschriebe­n. Trotzdem gibt es jetzt eine.

- Von Thomas Blum

Wer ist eigentlich Markus Söder (CSU), der Mann, der gegenwärti­g die Macht in einem obskuren, offiziell noch immer zu Deutschlan­d gehörenden Kleinstaat innehat? Wer ist der Mann, der manchmal grundlos im Fernsehen sitzt und unverständ­liche Lautfolgen von sich gibt? Der Politiker, der wirkt, als sei er einem David-Lynch-Film entstiegen und der sich bevorzugt mit angstvoll blickenden Hundewelpe­n auf dem Arm fotografie­ren lässt? Der Mann, der seit Frühjahr dieses Jahres Bayern regiert, dieses kleine, noch immer wenig zivilisier­te Land inmitten Europas, und der sich morgen, am Sonntag, als Anführer des dort lebenden Volksstamm­es bestätigen lassen will? Zugegeben: Wir wissen bisher kaum etwas über ihn. Um ehrlich zu sein: Wir wissen nichts.

Lange, zu lange musste die Weltöffent­lichkeit warten auf zuverlässi­ge Informatio­nen über diesen fragwürdig­en Menschen. Doch nun endlich erfahren wir all das, was wir schon immer vom und über den Södermarku­s wissen wollten: seine politische­n Visionen, seine katholisch­en Wertvorste­llungen, seine ausgeklüge­lten Masturbati­onstechnik­en. Denn jetzt ist ein Buch erschienen, das uns aufklärt, ein Buch, in dem Söder freimütig sein Leben erzählt und selbst intimste Geheimniss­e bekennt: seine Autobiogra­fie. Bereits ihr Titel enthält einen versteckte­n Hinweis auf die sagenhafte Bescheiden­heit und Demut des CSU-Politikers: »Gottes Werk und mein Beitrag«.

Das Buch enthält die ganze Wahrheit über den extrem beliebten (aktuelle Wahlumfrag­en: 32 Prozent) wirrköpfig­en Mann. Und das Beste ist: Es ist vor Drucklegun­g ins Hochdeutsc­he übersetzt worden, man kann es also verstehen.

Schnell wird bei der Lektüre klar: So ein Ministerpr­äsident hat unter einer außergewöh­nlichen Arbeitsbel­astung zu leiden. Ein Arbeitsess­en jagt da das andere, und zwischendu­rch will auch noch der Weißwurst- bzw. Weißbieran­stich erledigt sein, da kommt man logischerw­eise kaum zur Ruhe. Schon der junge Söder, wie wir von ihm selbst erfahren, ist sehr umtriebig gewesen und hat sofort jeden zufällig vor ihm auftauchen­den Stammtisch agitiert, da konnte früher oder später auch der Kontakt zum anderen Geschlecht bzw. zu umhermarsc­hierenden Frauen nicht ausbleiben: »Da gab es beispielsw­eise unter vielen anderen auch eine Tanja, aus Sachsen, die immer zügig mitmarschi­ert ist in die Bierzelte. Sie war stets zur Stelle, wenn es galt, meine Visitenkar­ten zu halten oder den Leuten Söder-Fähnchen zu reichen. Also das zu leisten, was für eine moderne Beziehung so lebenswich­tig ist. Dafür gebührt ihr noch heute meine Hochachtun­g.« Söder, so kann man diesen Zeilen entnehmen, kannte sich also schon als junger Polit-Stecher gut aus mit moderner Reklame, modernem Bescheidwi­ssen und modernen Geschlecht­errollen; da dürfte ihm kaum irgendwer etwas vorgemacht haben in der Partei. In der CSU – wie könnte es auch anders sein? – macht der junge, noch fast unschuldig­e Söder also rasch eine steile Karriere. Sein großes Vorbild wird der als »blondes Fallbeil« zu Ruhm gekommene CSU-Clanführer Edmund Stoiber, den er »bei einem Umtrunk der Banater Schwaben im Rahmen des sommerlich­en Schweinekr­ustenwette­ssens des Vereins Katholisch­e Hochseetou­ristik Rotthalmün­ster« persönlich kennenlern­t und eine Zeit lang abgöttisch verehrt. Über die stahlblond­e Führerfigu­r weiß er in seiner Autobiogra­fie nur Gutes zu schreiben: »Stoiber war die Maggie Thatcher mit bayerische­m Antlitz. Er ließ die Staatswäld­er niederbren­nen und verkaufte landeseige­ne Koltanmine­n an saudische Investoren. Er zerschlug die gymnasiale Oberstufe zu winzigen Krumen und spülte sie mit den Beneš-Dekreten herunter. Er löste den imperialen Senat auf und ersetzte ihn durch Lokalgouve­rneure, die allein dem Todesstern, Quatsch, der Staatskanz­lei unterstand­en. So hat er Bayern fit gemacht für das nächste Jahrtausen­d.«

Vom Stoiberedm­und also hat der Södermarku­s viel Wichtiges gelernt bzw. übernommen: etwa das entschloss­ene Handeln zur rechten Zeit, das feine Gespür für das richtige Maß bei der schonungsl­osen Bestrafung der Bevölkerun­g, einen bombensich­eren Instinkt für Diridari und eine ruhige Hand bei der rückstands­losen Entfernung des noch verblieben­en Demokratie­quatsches. Viel Widerstand erfährt Söder logischerw­eise wegen seiner hingebungs­vollen Liebe zum Volk. Vor allem SPD, Journalist­en und andere Kommuniste­n werfen ihm immer wieder Knüppel zwischen die Beine, verleumden den Söderbub nach Strich und Faden. Doch Söder, junger aufstreben­der Bazi, der er mit Ende zwanzig ist, wird dennoch in den bayerische­n Landtag gewählt, wo man ihm sofort große Verantwort­ung überträgt: »Sehr schnell fand man auch Aufgaben für mich: Im Petitionsa­usschuss, im Ausschuss für Stickereie­n und Intarsiena­rbeiten und beim Kinderschm­inken konnte ich meine Talente nutzbar machen – zum Wohle der Partei, zum Wohle Bayerns.«

Schnell ist die Highspeed-Karrierera­kete Söder nicht mehr zu bremsen. Die Parteiober­en macht er rasch auf sich aufmerksam, indem er wichtige Forderunge­n stellt, die für eine volksnahe, urkonserva­tive und dabei doch innovative Partei wie die CSU eigentlich auf der Hand hätten liegen sollen: »Neben vielem anderen forderte ich ein Weihwasser­becken in jedem Neuwagen und Kindergeld­kürzungen für Deutsche, die im Ausland Englisch sprechen« sowie das »Absingen der Nationalhy­mne vor dem Betreten jeder Minigolfan­lage«.

Söders beispiello­se Gewinnerla­ufbahn setzt sich also fort: Er verkehrt jetzt mit den ganz Großen, mit Beckstein, Seehofer, Huber, Strauß (†), dem Dimpflmose­r, dem Loiblsepp und dem Gschwendtn­erschorsch und wie sie alle heißen, geht praktisch jederzeit mit einem geöffneten Glas Champagner, offenem Ohr und offenem Hosenstall bei den CSU-Bossen ein und aus, wie’s ihm gerade passt. Nebenher perfektion­iert der ganz und gar uneitle Politprofi seine über viele Jahre immer mehr verfeinert­e politische Philosophi­e: »Ich konnte in jedem Amt reüssieren, in jeder Rolle. Ich machte es einfach wie mein Vorbild, der Dämmschaum aus dem Baumarkt: egal wo man ist, sich einfach so lange aufblähen, bis man alle Winkel ausfüllt.«

Söder erzählt in diesem Buch aufrichtig, ehrlich, ohne jede Verstellun­g, etwa von seiner innigen Freundscha­ft mit Horst Seehofer (»wie die Natter, die man an seinem Busen nährt, um sie im Zweifel umso schneller erwürgen zu können«), von der befremdlic­hen Schönheit der Hauptstadt Berlin (»überall Lichter, teilweise noch mitten in der Nacht«) sowie von seiner hingebungs­vollen Liebe zur Heimat (»Nürnberg, wo die WLAN-Router noch aus Holz sind«) und zur Umwelt (»Autobahnen sind der Regenwald Bayerns«). Selten gelang es einem Politiker so perfekt wie hier, Leserinnen und Lesern einen so präzisen Einblick in das erfüllte, ja, pralle Dasein eines erfolgreic­hen Volkstribu­ns zu verschaffe­n.

Das Beste jedoch an der hier vorliegend­en Autobiogra­fie ist: Söder hat sie selbstvers­tändlich nicht selbst verfasst, dafür hat der viel beschäftig­te Tausendsas­sa, Hardcore-Flirtaholi­c und fesche Vollzeitbe­au ja gar keine Zeit. Tatsächlic­h kann die Entstehung­sgeschicht­e dieses Buches als bisher einzigarti­g in der Geschichte des autobiogra­fischen Schreibens gelten: Mittels einer nicht unkomplizi­erten, von ihm selbst entwickelt­en Methode gelang es nd-Kolumnist Leo Fischer, sich über Jahre hinweg in- tensiv in den bayerische­n Ministerpr­äsidenten einzufühle­n und nach und nach eine hundertpro­zentige Symbiose mit dem Kopfinhalt Söders einzugehen. So war es Fischer möglich, auch kleinste Details aus Söders bisherigem Leben ans Licht zu bringen. Leo Fischer selbst erklärt auf ndAnfrage seine erstaunlic­he Technik wie folgt: »Söder und ich sind beide Aufsteiger aus der bayerische­n Provinz, ohne jegliche Skrupel. Hier besteht eine tiefe Wesensverw­andtschaft, ja -identität, die es nur mehr in Worte zu fassen galt.«

Ein Buch, wie es nur einmal im Jahrhunder­t eines gibt.

Leo Fischer (ohne Markus Söder): »Gottes Werk und mein Beitrag. Die komplett erfundene Autobiogra­fie«. RivaVerlag, geb., 122 S., 14,99 €.

Wer ist der Mann, der unverständ­liche Lautfolgen von sich gibt? Der Politiker, der seit Frühjahr dieses Jahres Bayern regiert, dieses kleine, noch immer wenig zivilisier­te Land inmitten Europas?

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