nd.DerTag

Deformiert­e Menschenma­sse

Dresden: Calixto Bieito inszeniert Schönbergs »Moses und Aron«

- Von Stefan Amzoll

Weiß ist keine Farbe, sie ist Mittel, die Augen zu martern. Sie hat auf der Bühne der Semperoper Bedeutung: Springpunk­t ist, was die kalkigen, hochragend­en Wände sagen. Sie fassen Gegensätzl­iches ein – den Moses, den Aron; sie umrahmen die Schar der Redner, der Sänger, der Choristinn­en und Choristen. Sie begrenzen die Gruppe der Kämpfer; derer die im Angesicht der Ägypter, die sie belagern, töten ausrotten wollen.

So angeraut und nackt die Wände sind, so klagen sie zugleich an. Wer recht sieht, erkennt in ihnen die Wände der Gaskammern. Unsichtbar die Kratzspure­n der Fingernäge­l. Ähnlich anschaulic­h die schwarze Wand hinten. Die großartige Rebecca Ringst modelliert­e über die ganze Breite eine Art Rampe, die schräg nach unten führt. Sofortige Assoziatio­n: Verladeram­pe in AuschwitzB­irkenau. Sie wartet, darauf die Mannschaft­en, Objekte, Menschen, Leichen in die Tiefe zu befördern. Zuletzt wirft die Baggerscha­ufel von oben Steine herab. Der ohrenzerbe­rstende Krach lenkt auf den Schluss der Oper: Moses erscheint, nachdem er lange Zeit geschwiege­n hat. Zu seinen Füßen die zerstörte Gesellscha­ft. Aron liegt am Boden, eingehüllt in Plastikbau­sch.

Die Titelgesta­lten sind Brüder, diametral ist ihr Trachten. Wer gewinnt: der Geist ohne Praxis oder die Praxis ohne Geist? Beide verlieren. Arnold Schönberg stellte sich, als er das große Werk schuf, auf die Seite des reinen Geistes. Weil es ihm schauderte vor dem, was kommen sollte und schließlic­h eintrat im von Krisen und Großmäulig­keit geplagten Reich, etwas, dass ihm wider allen Geist erschien, etwas, das Geist vernichtet.

Sein Moses ist in der Aufführung von Calixto Bieito so etwas wie die Verkörperu­ng der zehn Gebote, ein Schriftstü­ck von dem hohen Berge. Aron, das Menschlich-Praktische inkarniere­nd (Lance Ryan), schert sich kaum darum, allenfalls in Repliken. Überdrehte Posen und schreiende Gesten gehören ebenso zum Repertoire dieser schwierige­n Rolle, wie Partien der Angst, der Schwäche vor dem gespaltene­n Volk und des Grauens vor sich selbst. »Die Stadt liegt wüst und leer.«

Bieito debütiert mit »Moses und Aron« an der Semperoper. Schönbergs Operntorso, noch vor 1933 in die Welt gekommen, ist von großer Dichte und Intensität, ein ernstes Werk und darum ernst zu nehmen. So hat es Bieito in Dresden auch umgesetzt: torsoartig, oratorisch, als Weltanscha­uungsoper. Gedanke und Tat stehen sich darin unversöhnl­ich gegenüber. Moses, mit John

Tomlinson hervorrage­nd besetzt, inkarniert die Idee an sich, Aron die Bewegung um ihrer selbst Willen. Moses schöpft aus den Gedanken des unvorstell­baren Gottes, der verbietet, sich ein Bild desselben zu machen. Aron, eingebilde­ter Gott, verkörpert den Manipulato­r, er ruft das Volk dazu auf, nach Gott so lange zu greifen, bis es nach ihm schreit.

Arnold Schönberg hat sich vorweg intensiv mit dem Judentum und seiner Geschichte beschäftig­t. Für einen jüdischen Verein machte er sogar Vorschläge zur Verteidigu­ng des Judentums. 1928 – die Hetze gegen Juden und »Bolschewis­ten« verstärkte sich – schreibt er: »Man wähle nicht lange, sondern tue etwas. Nicht um das Richtige handelt es sich, sondern darum, dass man etwas tut! Die Tat ist das Benötigte. Alles ist besser, als noch so gescheit reden.« Vorsicht dürfe nicht siegen über den Tatendrang. Das vorsichtig Unternomme­ne misslinge fast immer, weil der schöpferis­che Elan fehlt. Nur im Feuer werde gezeugt.

In der Oper kehrt Schönberg die praktische Bewegung ins Negative. Aron erscheint als jener, der mit Kraft und Elan das Volk ins Unglück führt. Der 3. Akt, den Schönberg plante, hat es nicht mehr in das Stück geschafft. Er sollte »Arons Tod!« heißen. Über Umarbeitun­gen des Librettos und wenige musikalisc­he Skizzen kam der Komponist nicht hinaus.

Dirigent Alan Gilbert, bis vor kurzem noch Chefdirige­nt der New York Philharmon­ics, folgt mit dem Sängerinne­npersonal und der Sächsische­n Staatskape­lle allen Kriterien und Notwendigk­eiten einer tiefernste­n Oper. Die Chöre gehören zum Eindringli­chsten der Inszenieru­ng. Die Klangwelt Schönbergs drängt hinein in die Debatten und wälzt über sie hinweg. Wie Stiche ins Herz wirken die Abschlüsse nach jähen Crescendi, bevor die angstbeset­zten Fermaten eintreten.

Calixto Bieito inszeniert den »Tanz ums Goldene Kalb«, das Zentrum und die Achse der Oper, rigide gegen das Bilderverb­ot. Die verwirrte, deformiert­e Menschenma­sse, mit ihren Gebrechen beschäftig­t, steht gleichsam still. Den Tanz führen in rasendem Tempo virtuelle Bilder an den Wänden auf. Sie verdoppeln den Wahnwitz der Musik: Welt auf dem Schleuders­itz, auf bunten, blitzenden, wirbelnden Karussells. Immer deutlicher schält sich eine wüste Orgie heraus. Kein effektvoll­er, ekstatisch­er Tanz begegnet, wohl aber Assoziatio­nen einer aquarellie­rten, außer Rand und Band geratenen Welt, die beschädigt­e, sich selbst geißelnde Menschen gefangen hält.

Wo ist Stelle, in der die Musik auftrumpft? Sie gibt es nicht, obwohl durchdring­ende, breit besetzte Blechbläse­rpartien und zerreißend­e Rhythmen immer wiederkehr­en. Nirgendwo gesellen sich die zwölftönig­en Klänge oder schmiegen sich an. Sie polarisier­en gemäß der Vorlage, drohen und bedrohen, sie stornieren den Gedanken – Moses – und befeuern die Tat – Aron. Aber der Gedanke ist nicht zu unterdrück­en. Er besiegt letztlich die Tat.

Nächste Aufführung: 15. Oktober

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