nd.DerTag

Mit Helm und Atemmaske

Nach einen Berufungsu­rteil können Demonstrat­ions-Sanitäter wieder mit Schutzklei­dung auf Einsätze gehen

- Von Johanna Treblin

Demo-Sanitäter*innen sind auf fast allen linken Demonstrat­ionen dabei, auf denen sie gebraucht werden könnten. Am liebsten halten sie sich im Hintergrun­d – auch die Riot Medics Berlin. Mitten im Tiergarten steigt plötzlich ein riesiges Bild von Abdullah Öcalan in die Höhe. Es ist an sehr großen Luftballon­s befestigt, einer gelb, einer grün. Der rote hatte sich schon früher vom Bild gelöst. Gelb, rot und grün sind die Farben der kurdischen Bewegungen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist an diesem Freitag in Berlin, linke und kurdische Gruppen haben zur Demonstrat­ion gegen den Staatsbesu­ch aufgerufen. 7500 Menschen sind auf der Straße, unter ihnen ein paar wenige in Orange. Sie tragen Warnwesten und rote Rucksäcke, an denen Helme baumeln. Wer sich in den vergangene­n Monaten bewusst auf Demonstrat­ionen umgeschaut oder sich mit Versammlun­gsrecht befasst hat, weiß: Das ist nicht selbstvers­tändlich. Viele andere wissen wahrschein­lich nicht einmal, dass es sie gibt: Demonstrat­ions-Sanitäter*innen.

Dabei sind sie auf fast allen linken Demonstrat­ionen dabei. Meist stehen sie in Dreiergrup­pen am Rande von Kundgebung­en oder laufen einer hinter dem anderen neben dem Demonstrat­ionszug her. Sie heißen Left-wing Demonstrat­ion Medics oder Riot Medics Berlin, Demosanis Süd oder Sanitätsgr­uppe Süd-West. Manche haben eine Homepage, über die sie mit einem Klick gebucht werden können, andere kündigen ihre Anwesenhei­t auf Demonstrat­ionen per Twitter an, wieder andere haben gar keinen öffentlich­en Auftritt. Demo-Sanitäter*innen sind da, wo sie gebraucht werden könnten und halten sich am liebsten im Hintergrun­d. Auch die »Demo-Sanis« von den Riot Medics Berlin bleiben lieber unerkannt und wollen ihre bürgerlich­en Namen nicht nennen. Sie heißen hier wie auf der Straße: Kiko, Ria und Jack.

Am Tag der Erdoğan-Demo sammeln sie sich kurz vor dem Start auf dem Potsdamer Platz neben einem Pappmaché-Panzer. Die Kundgebung hat bereits begonnen, Hakan Taş von der Berliner LINKEN hält eine Rede. »Erdoğan ist ein Terrorist. Erdoğan ist ein Diktator«, sagt er. »Er gehört nicht auf den roten Teppich. Er gehört nach Den Haag.« Die Menge jubelt. Kiko, Ria und Jack hören zu, rauchen, grüßen Bekannte. Kiko pflügt sich durch die eng stehenden Menschen. Wer seine leuchtende Weste sieht, macht Platz oder zieht im Weg Stehende zur Seite. Kiko ist auf dem Weg zur Bühne. Er sucht den Veranstalt­er, um Bescheid zu sagen, dass die Riot Medics vor Ort sind. »Die Ordner wissen jetzt, dass Demo-Sanis da sind, und können uns schnell Bescheid geben, wenn etwas passiert.« Auf dem Rückweg zu seiner Gruppe macht er sich über den »Tetra-Pak-Rucksack« eines PolizeiSan­itäters lustig. »Da passt doch kaum was rein.« Sein eigener Rucksack wiegt bis zu 25 Kilogramm.

Schon bei den 68ern Demo-Sanitäter*innen gab es schon auf den Demonstrat­ionen der 68er und der Berliner Autonomen in den 90ern. In den vergangene­n zehn Jahren hat ihre Zahl zugenommen. Sie sind Ersthelfer*innen, Sanitäter*innen oder Ärzt*innen. Ihre Arbeit ist ehrenamtli­ch, niemand bezahlt sie dafür, sie handeln in keinem Auftrag. Sie sehen sich nicht als Konkurrenz zum regulären Rettungsdi­enst, sondern als Ergänzung: Bei Demonstrat­ionen gibt es keine Pflicht, Sanitätsdi­enste zu buchen, und deshalb sind Johanniter, ASB und Co. normalerwe­ise auch nicht dabei. Häufig sind ihnen die Einsätze auch zu gefährlich. Denn gebraucht werden Sanitäter*innen auf Demonstrat­ionen normalerwe­ise nicht, weil jemand gestolpert ist und sich den Knöchel verstaucht hat, sondern bei Auseinande­rsetzungen zwischen Demonstran­t*innen und der Polizei.

Auseinande­rsetzungen zwischen Sanitäter*innen und Polizei gibt es hingegen in der Regel nicht. Vor etwa einem Jahr wurde allerdings ein solcher – mutmaßlich­er – Fall vor Gericht verhandelt. Mit dem Urteil änderte sich für Demo-Sanitäter*innen alles.

Gilt das Vermummung­sverbot?

Die Richterin am Berliner Amtsgerich­t sah es als erwiesen an, dass ein Mitglied der Riot Medics bei einer Demonstrat­ion einen Polizisten gestoßen und damit eine Festnahme vereitelt hätte. Sie erklärte darüber hinaus Sanitäter*innen zu »Teilnehmer­n der Demonstrat­ion« und verbot ihnen in dem Zuge, Atemmasken und Helme zu tragen. Das verstoße nämlich gegen das bei Demonstrat­ionsteilne­hmer*innen geltende Vermummung­s- und Schutzwaff­enverbot.

Die Anwältin des Angeklagte­n argumentie­rte hingegen, Sanitäter*innen nähmen an Demonstrat­ionen nicht teil, um ihre Meinung kundzutun. Sie seien gleichzuse­tzen mit Verkäufer*innen bei Ständen am Rande von Protestver­anstaltung­en, mit Journalist*innen, die über Demonstrat­ionen berichten und mit Polizist*innen, für die das Vermummung­sverbot ja auch nicht gelte.

Natürlich gingen sie nicht auf jede Kundgebung, erklären die Riot Medics. »Wir gehen zu Demonstrat­ionen, die sich für Demokratie und Menschenre­chte einsetzen«, sagt Ria.

Der Betroffene legte Berufung ein. Bis der Fall neu verhandelt wurde, verging ein Dreivierte­ljahr – in dem sich kaum ein*e Sanitäter*in mehr traute, einen Helm mit zu Demonstrat­ionen zu nehmen. Obwohl das Urteil an einem Berliner Gericht gefällt wurde, waren Demo-Sanitäter*innen bundesweit betroffen. Kiko und Ria erzählen, dass sich Polizisten auf Demonstrat­ionen immer wieder auf das Urteil berufen haben. Das bestätigt auch Katrin Hawickhors­t, die Anwältin des Angeklagte­n. »Polizeidie­nststellen aus dem ganzen Bundesgebi­et haben das Urteil angeforder­t«, sagt sie dem »nd«. Sie sei froh, dass der Richter in zweiter Instanz nun anders entschiede­n habe. Beim Prozesster­min am 14. September 2018 vor dem Landgerich­t Berlin gab der Richter dem Sanitäter Recht: Auf dem Video, das Beweis für die Gefangenen­befreiung sein sollte, sei stattdesse­n erkennbar, dass der Polizist in den Sanitäter hineingest­olpert war. Der Richter sprach den Sanitäter frei. Er urteilte darüber hinaus, es sei unerheblic­h, ob der Angeklagte ein Demonstrat­ionsteilne­hmer sei. Die Sanitäter*innen gäben sich durch ihre Rettungswe­sten deutlich zu erkennen. Es sei offensicht­lich, dass Helm und Co. nicht dazu dienten, sich unkenntlic­h zu machen, sondern der Arbeit nachzugehe­n. Die Staatsanwa­ltschaft hat Rechtsmitt­el gegen das Urteil eingelegt.

Zwei Wochen später auf der Erdoğan-Demonstrat­ion. Auf die Frage, was das Urteil für sie bedeute, tippt Kiko auf seinen Helm. »Den haben wir jetzt wieder dabei«, sagt er.

Der Demonstrat­ionszug setzt sich in Bewegung. Kiko, Ria und Jack schauen sich noch einmal auf dem Handy die Route an und überlegen, wo sie besonders aufpassen müssen, weil die Straßen eng oder anderweiti­g unübersich­tlich sind. Jack stopft sich Ohropax ins Ohr. Dann gehen auch sie los, hintereina­nder aufgereiht, immer am Rand der Menschenme­nge entlang. Kiko läuft hinten. Wenn es eng wird, greift Kiko schnell nach Jacks Rucksack, sodass er nicht abgedrängt werden kann. Bleibt der Zug stehen, bleiben auch die Sanitäter stehen. An Straßenkre­uzungen stellen sie sich Rücken an Rücken. »So behalten wir den Überblick«, sagt Kiko.

Auf der Kurfürsten­straße knallt es plötzlich, vor dem Varieté-Theater Wintergart­en färbt sich die Luft orange. Ria greift instinktiv nach ihrem Helm. Die Polizei stellt sich dicht um den Schwarzen Block herum auf, geht aber nicht mitten hinein. Ria lässt ihre Hand wieder sinken. Ohne Zwischenfä­lle geht es weiter. Ein Demonstran­t kommt, fragt nach einem Feuerzeug. Kiko reicht ihm eines. »Aber rauchen ist ungesund«, sagt er dazu. Verletzung­en behandeln die Demo-Sanitäter*innen heute keine. »Wir haben etwa bei einem von acht Einsätzen Patient*innen zu behandeln – dann aber gleich mehrere«, schätzt Kiko. »Wenn wir Patient*innen haben, ist es das Wichtigste, sie in Sicherheit zu bringen.« Wenn möglich, holen sie sie aus dem Geschehen raus, ansonsten versuchen sie, sie abzuschirm­en. Für eine Behandlung werden meistens zwei Personen benötigt.

Auf zur Sitzblocka­de

Wenige Tage später protestier­t eine Anwohner*inneniniti­ative »gegen den Nazi-Aufmarsch durch unseren Kiez«. Die Seitenstra­ße, in der sie ihre Kundgebung abhalten, ist schmal. Ganz hinten, wo die Riot Medics ihre Rucksäcke auf dem Boden abgestellt haben, sieht und hört man wenig vom eigentlich­en Geschehen. Die Polizei hat die Strecke der rechtsextr­emen »Wir für Deutschlan­d«-Demonstrat­ion mit Gittern abgesperrt, die beiden Gruppen werden sich nur kurz zu Gesicht bekommen, noch ist die Demonstrat­ion der Rechtsextr­emen allerdings nicht gestartet. Auf Twitter liest Jack, dass in der Torstraße nicht weit vom Kundgebung­splatz eine Sitzblocka­de von der Polizei aufgelöst wird. Die Riot Medics sind heute zu viert. Fine und Jack laufen hin: Wenn die Polizei eine Blockade auflöst, kann es zu Verletzung­en kommen. Als die Demo-Sanitäter*innen die Stelle erreichen, sitzen nur noch etwa 15 junge Menschen auf der Straße, die einzeln weggetrage­n werden. Die Sanitäter*innen stellen sich an den Rand, beobachten, schauen, ob sie Verletzung­en erkennen können, und warten darauf, ob sie jemand anspricht und Hilfe braucht. Ein Mann – der Einzige mit dunkler Haut – wird festgenomm­en und in einen Mannschaft­swagen gesetzt. Fine bittet die Polizisten, ihn untersuche­n zu können, wird aber abgewiesen.

Der Rest des Nachmittag­s bleibt ruhig. Für den Abend haben Linke zu einer »Demo gegen die Einheitsfe­ier« am Mauerpark aufgerufen. Auch dort sind die Demo-Sanitäter*innen dabei. Kiko schreibt später eine Nachricht: »Wir hatten mehrere Behandlung­en. Gut, dass wir Ärztinnen dabei hatten.«

Auf der Kurfürsten­straße knallt es plötzlich, vor dem Varieté-Theater Wintergart­en färbt sich die Luft orange. Ria greift instinktiv nach ihrem Helm.

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Foto: RubyImages/Florian Boillot Kiko (l.) und Jack begleiten linke Demonstrat­ionen als ehrenamtli­che Sanitäter.

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