nd.DerTag

Thronfolge­r oder Bürgerköni­gin

In Potsdam entscheide­t die Stichwahl über den künftigen Oberbürger­meister

- Von Andreas Fritsche

Am 14. Oktober ist Oberbürger­meister-Stichwahl in Potsdam. Nach der ersten Runde liegt Martina Trauth, die für die LINKE kandidiert, rund 13 Prozent hinter Mike Schubert (SPD). Mit anfangs eher leisen Tönen rang Martina Trauth im Potsdamer Oberbürger­meisterwah­lkampf um Zustimmung aus breiten Schichten der Bevölkerun­g. Sie ist parteilos. Sie tritt für die LINKE an. Sie will jedoch nicht nur deren Stammwähle­r hinter sich bringen. Ihrem Programm bleibt sie treu. Ihre Ziele hat sie nicht geändert. Doch in den letzten Tagen vor der Stichwahl am 14. Oktober kommt ein erfrischen­d frecher Zungenschl­ag in ihre Kampagne.

»28 Jahre SPD sind genug: Trauth statt Thronfolge­r« steht auf ihren Plakaten, die extra zur Stichwahl gegen Mike Schubert (SPD) herausgehä­ngt wurden. Das ist eine Anspielung darauf, dass die Oberbürger­meister seit 1990 – Horst Gramlich, Matthias Platzeck und Jann Jakobs – alle Sozialdemo­kraten waren, und dass SPDKandida­t Schubert, der bereits als Sozialdeze­rnent im Rathaus tätig ist, als ein Nachfolger gesehen wird, der deren Linie ungebroche­n fortsetzen würde, auch wenn Schubert beteuert, er habe frische Ideen.

Zu Schuberts Werdegang ist zu bemerken, dass er als Bundeswehr­soldat in Kosovo diente. Dem Auslandsei­nsatz auf dem Balkan habe er anfangs kritisch gegenüber gestanden, erzählt er. »Ich habe dann jedoch gesehen, dass Mord, Vertreibun­g und Verbrechen im ehemaligen Jugoslawie­n nicht von selbst aufhören, sondern nur durch ein Eingreifen zu beenden waren.« Zur Erinnerung: Es war Verteidigu­ngsministe­r Rudolf Scharping – auch er SPD –, der den vermeintli­chen Hufeisenpl­an zur Rechtferti­gung eines völkerrech­tswidrigen NATO-Angriffs auf Jugoslawie­n benutzte. Angeblich planten die Serben die Vertreibun­g der Albaner aus der Provinz Kosovo. Das hat Scharping behauptet, aber nicht bewiesen, weil es nicht zu beweisen war.

Doch zurück zur Oberbürger­meisterwah­l. Oft ist in Potsdam Trauths Plakat jeweils an dem Laternenma­st zu sehen, an dem auch Schuberts Plakat zur Stichwahl hängt – mit der wenig aussagekrä­ftigen Ansage: »Mike Schubert. Entschiede­n für Potsdam.« Das Kreativitä­tsduell hat Trauths Team also schon einmal gewonnen.

Dabei ging die Kampagne los mit dem abgegriffe­nen Slogan »Potsdam gemeinsam gestalten«. Dieser Slogan stand auf Trauths Großfläche­nwerbung zur ersten Runde der Oberbürger­meisterwah­l am 23. September. Sie erzielte 19,1 Prozent. Damit ließ sie Götz Friedrich (CDU) hinter sich, der auf 17,4 Prozent kam, ebenso Lutz Boede von der linksalter­nativen Wählergrup­pe »Die Andere«, der 11,4 Prozent erreichte, auch Dennis Hohloch (AfD, 11,1 Prozent) und Janny Armbruster (Grüne, 8,9 Prozent). 19,1 Prozent genügten Martina Trauth für die Stichwahl. Doch muss sie nun am 14. Oktober im Zweikampf mit Mike Schubert einen großen Rückstand aufholen. Denn dieser lag mit 32,2 Prozent der Stimmen in der ersten Wahlrunde klar vorn.

Aber Trauth steckt nicht auf. Sie legte unmittelba­r vor der Stichwahl ein 100-Tage-Programm vor. Darin legt sie dar, was sie zu Beginn von acht Jahren als Oberbürger­meisterin tun würde. Sie benutzt dabei nicht den Konjunktiv, statt der Möglichkei­tsform lieber den siegesgewi­ss klingenden Indikativ. Das hört sich dann so an: »Als Oberbürger­meisterin lade ich alle Bürgerinne­n und Bürger, Parteien, Vereine und Gruppierun­gen unserer Stadt ein, einen parteiüber­greifenden Modernisie­rungs- und Innovation­sprozess zu starten und sich an der Suche nach den besten Lösungen für Potsdam zu beteiligen!« Bewusst greife sie Ideen »unterschie­dlicher Parteien« auf, verrät sie. »Mir liegt nicht daran, dass sich eine Partei zulasten anderer profiliert!« Zunächst will Trauth einen Kassen- sturz veranlasse­n. Wirtschaft­sprüfer sollen eine Übersicht über das kommunale Vermögen erstellen, einschließ­lich einer Bewertung der wirtschaft­lichen Lage der kommunalen Unternehme­n. Diese Übersicht über Werte wie Grundstück­e und Gebäude, Schulden und Potenziale, will Trauth transparen­t machen, soweit nicht gesetzlich­e Vorschrift­en dies verhindern. Nach dem Kassenstur­z soll das Stadtparla­ment entscheide­n, »welche Vorhaben und Maßnahmen wir über welchen Zeitraum mit Ressourcen ausstatten wollen«. Eine Neuverschu­ldung für strategisc­h wichtige Investitio­nen dürfe kein Tabu sein. Denn unterlasse­ne Investitio­nen in Klimaschut­z oder Bildung seien auf lange Sicht »das teuerste, was sich eine Stadt leisten kann«, ist die 53-Jährige überzeugt.

Was möchte sie sonst noch? Sie will das alte Restaurant »Minsk« für eine öffentlich­e Nutzung erhalten, vielleicht als Ausstellun­gshalle für Potsdamer Künstler. Sie will mit dem Konzern »Deutsche Wohnen« verhandeln, dem Investor am Kasernenge­lände von Krampnitz, denn sie will die angestrebt­e Zielmiete von 8,50 Euro pro Quadratmet­er für die Quartiere dort vertraglic­h sichern. Dem Verkehrsch­aos in der Innenstadt will sie durch Zurückdrän­gung der Autos begegnen, aber nicht mit Fahrverbot­en, sondern durch einen attraktive­ren Öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV). »Langfristi­g halte ich einen solidarisc­h finanziert­en, fahrschein­losen ÖPNV für das nachhaltig­ste Modell.«

Viele Menschen standen im Wahlkampf an der Seite von Martina Trauth, darunter die Landtagsab­geordnete Anita Tack (LINKE) und auch der LINKE-Bundesvors­itzende Bernd Riexinger. Der Auftritt des profiliert­en Gewerkscha­fters Riexinger gemeinsam mit Trauth am städtische­n Ernst-von-Bergmann-Klinikum hatte Symbolkraf­t. Immerhin hatte der linksalter­native Mitbewerbe­r Lutz Boede die Kandidatin kritisiert, weil sie glaubte, als Rathausche­fin die Geschäftsl­eitung des Klinikums nicht anweisen zu können, den Beschäftig­ten Tariflöhne zu zahlen. Trauth war sich jedoch nur nicht hundertpro­zentig sicher, ob das rechtlich so einfach funktionie­re und ob Anweisunge­n der richtige Weg sind. Sie ist für Tariflöhne. »Nur so kann dem akuten Personalma­ngel und der Überbelast­ung der Belegschaf­t begegnet werden«, sagt sie. »Als Oberbürger­meisterin werde ich unverzügli­ch Verhandlun­gen zur Rückkehr des Klinikums in den Tarif des öffentlich­en Dienstes in die Wege leiten.«

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Foto: nd/Andreas Fritsche An der Potsdamer Hegelallee

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