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Aus Thälmanns Schatten

Die Gedenkstät­te Bautzen erinnert endlich auch an Haftschick­sale während der NS-Diktatur

- Von Hendrik Lasch, Bautzen

Nach langer Verzögerun­g gibt es in der Gedenkstät­te Bautzen einen Ausstellun­gsabschnit­t, der an Häftlingss­chicksale während der NS-Zeit erinnert. Es ist zu wünschen, dass er die nötige Aufmerksam­keit erhält. Rudolf Hemprich saß zweimal im Gefängnis in Bautzen ein. Die erste Haftstrafe trug dem Elektriker die Tatsache ein, dass er die britische BBC gehört hatte. In einer Zeit, in der das NSRegime ganz Europa mit Krieg überzog, galt das als schweres Vergehen. Hemprich wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Ende des Krieges wurde er daher als Opfer des Faschismus anerkannt. Den Status ebenso wie seine Arbeitsste­lle bei der Stadt Zittau verlor er freilich, als herauskam, dass er Mitglied in SA und NSDAP war, bevor er 1935 aus beiden herausflog. Der Elektriker schrieb böse Beschwerde­briefe, die ihm sechs Monate Haft wegen Beleidigun­g eintrugen. Er verbüßte sie ab 1952 – in der Haftanstal­t Bautzen II.

Als Haftort ist die Stadt in der Lausitz weithin bekannt. Wenn indes vom »Gelben Elend« die Rede ist, der wegen der Farbe ihrer Backsteinm­auern so genannten Haftanstal­t Bautzen I, sowie dem zeitweilig­en »Stasi-Knast« Bautzen II, dann geht es um die Zeit der sowjetisch­en Besatzungs­zone und der DDR. Bautzen stehe »wie keine andere Stadt in Deutschlan­d (...) in der öffentlich­en Wahrnehmun­g als Synonym für die Verfolgung Andersdenk­ender vor allem in der DDR«, sagt Sachsens Kunst- und Wissenscha­ftsministe­rin Eva-Maria Stange (SPD). Kaum bekannt ist, dass beide der zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts errichtete­n und zunächst reformorie­ntiert betriebene­n Anstalten auch in der NSDiktatur dazu dienten, politische Gegner und andere Missliebig­e zu drangsalie­ren und schikanier­en. Ein entspreche­nder Abschnitt in der Dauerausst­ellung war seit Langem in Aussicht gestellt, ließ aber auf sich warten. Zuletzt wurden Termine für die Eröffnung mehrfach verschoben. Unter anderem sei der Forschungs­aufwand »überrasche­nd hoch« gewesen, auch weil es keine Zeitzeugen mehr gebe, begründete Stange die Verzögerun­g. Kritiker hatten diese immer wieder als Beleg für eine unausgewog­ene Erinnerung­spolitik in Sachsen herangezog­en.

Seit einigen Wochen aber ist die Dauerausst­ellung um ein neues Kapitel ergänzt: »Haft unterm Hakenkreuz. Bautzen I und Bautzen II 1933 bis 1945«. In zwei benachbart­en Räumen wird anhand von rund 30 Einzelschi­cksalen über Opfer und Täter informiert und die Rolle der Bautzener Anstalten wie von Gefängniss­en generell im NS-Staat erklärt. Es geht um Zwangsarbe­it und Todesmärsc­he, Kontinuitä­ten und Brüche und nicht zuletzt um ein eher einseitige­s Erinnern auch in den Jahren der DDR.

Damals wurde vor allem an zwei prominente Insassen der Gefängniss­e in Bautzen erinnert: Ernst Thälmann und Julius Fučik. Der KPD-Führer saß 1943/44 als Schutzhäft­ling in strikter Einzelhaft in Bautzen, bevor er in das KZ Buchenwald überstellt und ermordet wurde; der tschechosl­owakische Autor kam im Mai 1943 aus dem Prager Gefängnis Pankrác, wo er seine »Reportage unter dem Strang geschriebe­n« verfasst hatte, für drei Monate nach Bautzen, bevor er am 8. September 1943 in Berlin-Plötzensee ermordet wurde. An Fučik erinnert eine 1979 angebracht­e Porträtpla­kette im Eingangsbe­reich von Bautzen II, an Thälmann ein seit 1952 bestehende­r Gedenkort in seiner einstigen Zelle in Bautzen I, der auch in der dort heute befindlich­en Justizvoll­zugsanstal­t weiter besteht.

Nicht erinnert wurde bis jetzt dagegen an Menschen wie Fučiks Landsfrau Milada Marešová, eine Künstlerin, die nach der Besetzung ihres Heimatland­es Titelblätt­er für eine Untergrund­zeitschrif­t gestaltete und dafür inhaftiert wurde. Sie zeichnete den Gefängnisa­lltag auch in Bautzen. Ver- gessen waren Menschen wie der Bibliothek­ar Peter Heinze, der 1937 wegen »widernatür­licher Unzucht« verurteilt und in Bautzen inhaftiert wurde, nachdem er als »Schwulbrud­er« erpresst worden war. Nur in der Region bekannt sein dürfte der sorbische Künstler Martin Neumann, der ins Gefängnis kam, nachdem er in einem Beitrag für die Zeitung »Serbske Nowiny« die deutsche Sprache mit dem Quaken von Teichfrösc­hen verglichen hatte und dem die Nazis daraufhin »Tschechoph­ilie und antideutsc­he Gesinnung« vorwarfen. Sein Artikel diente als Vorwand, um die Zeitung für acht Tage zu schließen.

Die neue Ausstellun­g schildert anhand von Fotografie­n, Briefen und amtlichen Dokumenten diese und weitere Schicksale. Zu sehen sind auch Objekte wie ein in einem Außenlager in Zwangsarbe­it hergestell­ter Elektroapp­arat. Die Schau schließt aber nicht nur eine gravierend­e Lücke in der Geschichts­schreibung für die Haftanstal­ten, sondern holt weitere NS-Opfer und Opfergrupp­en gewisserma­ßen auch aus Thälmanns Schatten. Zu wünschen wäre der ansprechen­d gestaltete­n Schau, dass ihr nun auch die verdiente Aufmerksam­keit zukommt. An einem Oktobertag drei Wochen nach Eröffnung lotste ein Ausstellun­gsführer seine Gäste an dem Raum indes vorbei, weil dafür leider die Zeit fehle. Nur so viel erfuhren sie: Der prominente­ste NS-Häftling in Bautzen war Ernst Thälmann. Alle anderen Opfer blieben im Schatten.

Kritiker sahen die Lücke in der Bautzener Ausstellun­g als Beleg für eine unausgewog­ene Erinnerung­spolitik in Sachsen.

 ?? Abbildung: Sächsische­s Hauptstaat­sarchiv Dresden ?? Das Torhaus von Bautzen I im Jahr 1935: In diesem Komplex hielt das NS-Regime vornehmlic­h politische Gegner gefangen.
Abbildung: Sächsische­s Hauptstaat­sarchiv Dresden Das Torhaus von Bautzen I im Jahr 1935: In diesem Komplex hielt das NS-Regime vornehmlic­h politische Gegner gefangen.
 ?? Foto: dpa ?? Gedenkstät­tenleiteri­n Silke Klewin zeigt die Haftakte von Julius Bändel. Vorgeworfe­n wurde ihm die »Nichtanmel­dung des jüdischen Zusatzname­ns«.
Foto: dpa Gedenkstät­tenleiteri­n Silke Klewin zeigt die Haftakte von Julius Bändel. Vorgeworfe­n wurde ihm die »Nichtanmel­dung des jüdischen Zusatzname­ns«.

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