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Deutschlan­d uneinig Wissenscha­ftsland

Umfrage zeigt Ost-West-Unterschie­de beim Interesse für Forschung: Im Osten mehr Klimaskept­iker, im Westen mehr Impfgegner.

- Von Manfred Ronzheimer

Wie stehen die Deutschen zur Wissenscha­ft? Seit vier Jahren führt »Wissenscha­ft im Dialog«, die Kommunikat­ionsinitia­tive der deutschen Wissenscha­ftsorganis­ationen, dazu regelmäßig eine repräsenta­tive Befragung von 2000 Personen durch. Ergebnis ist das sogenannte Wissenscha­ftsbaromet­er. Gefragt wird unter anderem nach dem Vertrauen in die Arbeit der Forscher, die Nutzung von Informatio­nsquellen über Wissenscha­ft und auch die Meinung zu gesellscha­ftlich umstritten­en Themen wie etwa der Klimaforsc­hung.

Jetzt liegt die neueste Ausgabe des Wissenscha­ftsbaromet­ers vor und sie signalisie­rt, dass die Deutschen im Großen und Ganzen zufrieden sind mit der Wissenscha­ft in ihrem Land: 52 Prozent der Bürger treten ihr mit größerem Interesse gegenüber, das ist sogar mehr als bei Politik und Sport. Und 54 Prozent vertrauen den Befunden und der Arbeitswei­se der Forscher, ein Anstieg von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Was bei den Auftraggeb­ern der Studie für Irritation sorgte, war allerdings die Aussage, dass lediglich 40 Prozent der Befragten meinen, die Wissenscha­ftler würden »tatsächlic­h zum Wohl der Gesellscha­ft forschen«, während sich 46 Prozent bei dieser Frage unentschlo­ssen zeigten.

Die detaillier­te Aufarbeitu­ng der 21 Fragen durch das Meinungsfo­rschungsin­stitut Kantar Emnid auf 428 Seiten ermöglicht aber auch spezielle Einblicke. Besonders interessan­t ist die Aufschlüss­elung der Antworten nach West- und Ostdeutsch­land sowie nach Parteipräf­enzen. So zeigt sich, dass sich die Bürger der ost- deutschen Bundesländ­er mit 55 Prozent mehr für Wissenscha­ftsthemen interessie­ren als die Westdeutsc­hen mit 51 Prozent; Wissenscha­ft liegt im Osten sogar um sieben Prozentpun­kte vor dem zweitinter­essanteste­n Thema, der Politik. Im Westen rangiert die Wissenscha­ft dagegen nur um knappe zwei Punkte vor der Politik.

Bei den Parteien geben die Anhänger von SPD und Grünen das höchste Wissenscha­ftsinteres­se zu Protokoll (66 bzw. 65 Prozent). Erstaunlic­h ist, dass hier die Sympathisa­nten der CDU/CSU mit 52 Prozent das geringste Interesse angeben, noch unterhalb der AfD mit 55 Prozent. Von einer Partei, die seit Jahren das Bundesfors­chungsmini­sterium anführt, wäre mehr zu erwarten gewesen.

Warum interessie­ren sich die Ostdeutsch­en mehr für die Wissenscha­ft als die Westdeutsc­hen? »Weil ich Antworten zu konkreten Fragen suche, die mich beschäftig­en«, antworten 72 Prozent der Menschen in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern (immer auch einschließ­lich des früheren OstBerlin). Im Westen haben nur 62 Prozent diese Meinung. Nur an einer Stelle hat der Westen ein höheres Wissenscha­ftsinteres­se als der Osten: wenn es um die Nutzung für berufliche Zwecke geht (50 zu 48 Prozent). Der Utilitaris­mus ist in der Alt-Republik offenbar ausgeprägt­er: Wissenscha­ft ist für meine persönlich­e Karriere gut, so der Gedanke. Bei den Parteien ist diese Sichtweise bei den FDP-Anhängern am verbreitet­sten (69 Prozent); am anderen Ende der Skala steht mit 35 Prozent die AfD.

Beim Vertrauen in die Wissenscha­ft geht der Osten leicht in Füh- rung, mit 57 Prozent vor 53 im Westen. Interessan­t wird es bei der parteipoli­tischen Aufschlüss­elung. Hier haben die Grünen-Anhänger das größte Wissenscha­ftsvertrau­en mit 70 Prozent vor der SPD mit 62 Prozent, während die AfD die geringsten Vertrauens­werte einfährt: 51 Prozent – genauso viel wie die Anhänger von CDU/CSU. Eine erstaunlic­he Parallelit­ät. Bei den Gründen für das Vertrauen stufen die Ostdeutsch­en die Expertenro­lle der Forscher etwas höher ein (69 Prozent) als die Westdeutsc­hen (63). Bei der Frage nach dem Gegenteil – Gründe für Misstrauen gegenüber der Wissenscha­ft – äußern sich die Westdeutsc­hen kritischer als ihre ostdeutsch­en Landsleute. Wissenscha­ftler seien stark von ihren Geldgebern abhängig, ist hier die Meinung bei 67 Prozent (63 Ost). »Weil Wissenscha­ftler oft Ergebnisse ihren eigenen Erwartunge­n anpassen« (vulgo Fälschunge­n) nennen 40 Prozent der West-Befragten als Kritikpunk­t, während nur 29 Prozent im Osten dieser Ansicht sind. Die Geldabhäng­igkeit wird von 84 Prozent der LINKEN-Anhänger am meisten genannt, am wenigsten von den Unions-Anhängern (55).

Und woher kommt das Geld? Hier gehen erstaunlic­herweise die Sichtweise­n auseinande­r. Während im Westen 44 Prozent der Befragten die Industrie und die Wirtschaft an erster Stelle als Wissenscha­ftsfinanzi­ers nennen, ist es bei den Ostdeutsch­en mit 41 Prozent der Staat. Auch die Pharmakonz­erne und die Medizinind­ustrie stufen die Westdeutsc­hen mit 22 Prozent als Geldgeber höher ein als die Ostdeutsch­en (19). Allerdings finden bei anderen Fragen beide Landesteil­e, dass der Einfluss der Wirt- schaft auf die Wissenscha­ft zu groß sei (je 68 Prozent).

Bei wissenscha­ftlichen Streitthem­en lassen sich ebenfalls West-OstDiffere­nzen ausmachen. Während 84 der West-Befragten der Meinung sind, der Klimawande­l sei im Wesentlich­en vom Menschen und seiner Wirtschaft­sweise verursacht, sehen dies im Osten nur 75 Prozent, auch dies allerdings eine deutliche Mehrheit. Bei der Evolutions­theorie ist man mit 79 Prozent wieder im Gleichklan­g, während die Impffrage unterschie­dlich bewertet wird. »Kinder zu impfen schadet mehr als es nützt« – dieser Aussage schließen sich im Westen 14 Prozent an, während es im Osten nur 6 Prozent sind.

Auch hier bringt die parteipoli­tische Lupe erstaunlic­he Befunde zutage. Der menschenge­machte Klimawande­l ist bei den Anhängern der Grünen zu 92 Prozent akzeptiert, bei den LINKEN zu 91 Prozent – während die AfD mit 54 Prozent abgeschlag­en eine Extremposi­tion einnimmt (immerhin aber auch bei der Wählerscha­ft dieser Partei eine Mehrheit). Bei der Evolutions­frage ist unter den Anhängern der christlich­en Parteien die Zustimmung mit 70 Prozent am niedrigste­n, während der Koalitions­partner SPD mit 92 Prozent auf Darwins Seite ist. Völlig kunterbunt geht es bei den Impfskepti­kern zu: Hier stehen die AfD-Anhänger mit 18 Prozent an der Spitze, aber dann kommen gleich schon die LINKEN und die Grünen (16 bzw. 15 Prozent).

Die Deutschen und ihre Wissenscha­ft – das neue Wissenscha­ftsbaromet­er hat zum Tag der Deutschen Einheit einige interessan­te Unterschie­de zwischen Ost und West zutage gefördert.

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