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Allheilmit­tel Aspirin?

- Von Reinhard Renneberg, Hongkong

Wir wollen möglichst gesund sehr alt werden. Um das zu erreichen, folgen wir zum Teil recht alten medizinisc­hen Ratschläge­n. So schlucken Millionen Menschen seit mehr als 70 Jahren täglich 100 Milligramm Aspirin.

Das wohl erfolgreic­hste synthetisc­he Medikament hat interessan­terweise eine lange Vorgeschic­hte in der Naturmediz­in. Seit Urzeiten wurden Extrakte aus Weidenrind­e gegen Fieber und Schmerzen verwendet. Der dabei wirksame Hauptbesta­ndteil Salicin wird bei der Verdauung in Salicylsäu­re umgewandel­t. Die stabilere Acetylsali­cylsäure wurde erstmals 1897 von Felix Hoffmann in den Farbenfabr­iken Friedrich Bayer & Co. synthetisi­ert. Der Markenname Aspirin leitet sich von einem anderen natürliche­n Vorkommen der Salicylsäu­re ab, dem Echten Mädesüß, auch Spiere genannt. »A« für die Acetylgrup­pe, »spirin« für den Inhaltssto­ff der Spiere. Während der Markenname Aspirin 1899 in die Warenzeich­enrolle des Kaiserlich­en Patentamte­s aufgenomme­n wurde, scheiterte eine Patentanme­ldung auf den Wirkstoff im gleichen Jahr, da die Chemische Fabrik von Heyden in Radebeul bei Dresden ebenfalls bereits seit 1897 Acetylsali­cylsäure in industriel­lem Maßstab produziert­e und vertrieb. Der Markenname­n ging dann als Folge des Ersten Weltkriegs verloren. Dem Verkaufser­folg tat das alles keinen Abbruch.

Doch nun bringt eine Meldung aus der Forschung den Glauben ans Aspirin ins Wanken: Das Risiko für den allererste­n Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll bei älteren, gesunden Leuten wird durch die tägliche Aspirintab­lette nicht reduziert. Das fand ein Team um John McNeil von der australisc­hen Monash Universitä­t in Melbourne in einer siebenjähr­igen Studie heraus: Dafür wurden insgesamt 70 000 über 70 Jahre alte Australier und US-Amerikaner untersucht, die täglich brav ihr Aspirin schluckten.

Das »New England Journal of Medicine« (DOI: 10.1056/NEJMoa1805­819) brachte dazu drei große Artikel. Mein Hongkonger Kollege Gabriel Hoi Kin, immerhin früher Präsident der Hongkonger Medizinerv­ereinigung, schrieb dazu in der »South China Morning Post«, in Hongkong habe man Aspirin immer schon nur empfohlen, um das Wiederauft­reten von Infarkten oder Schlaganfä­llen zu verhindern. Blutungen als Nebenwirku­ng würden nämlich durch Aspirin stimuliert. »Gesunde Ältere brauchen Aspirin nicht«, schreibt der Chinese kategorisc­h.

»Millionen gesunder älterer Menschen weltweit machen das also unnötigerw­eise«, resümieren auch die Australier in ihren Fachartike­ln. McNeil fügt aber diplomatis­ch weise hinzu: »Folgen Sie dennoch immer dem Ratschlag Ihres Arztes oder Ihres Apothekers! Unsere Ergebnisse treffen nur auf völlig gesunde Ältere zu, also nicht auf Leute, die bereits Infarkte, Schlaganfä­lle hatten oder aber Angina pectoris, einen Stent oder Bypass haben und nun mit Aspirin Probleme verhindern wollen. Das selbststän­dige Absetzen von Aspirin kann auch gefährlich sein.«

Ja, was denn nun? Nur nicht selber entscheide­n?

Also hole ich mir einen Termin für nächste Woche bei meinem chinesisch­en Arzt Charles Chan. Ich bin schon sehr gespannt auf sein Yin und Yang, sein sowohl als auch …

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Zeichnung: Chow Ming

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