Sexismus bleibt meist straflos
Domscheit-Berg: »Letztes Aufbäumen des Patriarchats« gegen #MeToo
Berlin. Ein Jahr nach Beginn der #MeTooBewegung, bei der Betroffene sexuelle Übergriffe öffentlich machen, kritisiert die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg das Versagen von Polizei und Justiz. Eine der Reaktionen auf #MeToo sei sexistische Hassrede im Internet, so die LINKE-Abgeordnete gegenüber »neues deutschland«. Deshalb fordert sie eine spezielle Behörde mit geschultem Personal. »Ich habe schon Anzeigen gestellt, aber keine einzige davon ist bisher vor Gericht gelandet«, so die die Netzfeministin. Laut Domscheit-Berg folgt sexistischer Hass im Internet einem »klassischen Dreiklang: Erstens wird Frauen ihre Kompetenz abgesprochen. Zweitens gibt es Erniedrigungen zum Thema Körper und Aussehen. Und drittens kommt dann etwas, das mit Sexualität und Gewalt zu tun hat.« Doch weder im Internet noch in der Realwelt dürften Frauen sich aus öffentlichen Räumen verdrängen lassen. Diese Versuche seien ein letztes Aufbäumen des Patriarchats. Dieses fühle sich von #MeToo zu Recht herausgefordert.
Ein Jahr nach dem ersten Beitrag unter dem Hashtag #MeToo ist umstritten, was das Veröffentlichen sexueller Gewalterfahrungen gebracht hat. Die Folgen reichen von Solidarität bis hin zu gesteigertem Hass gegen Frauen.
Letzte Woche wurde die ehemalige Abgeordnete Sigrid Maurer in Österreich für das Öffentlichmachen von Sexismus zu einer Geldstrafe verurteilt (»ndaktuell« berichtete). Was sagt das über den Stand der #MeToo-Bewegung?
Das Urteil gegen Sigi war ein Schlag ins Gesicht für #MeToo und alle Frauen. Der sexisische Hass in Facebook-Nachrichten, den sie aushalten musste, ist Teil eines Kontinuums. Das fängt an mit Anzüglichkeiten, Beleidigungen oder Bedrohungen, geht weiter mit Brust-Angrabbeln oder Unter-den-Rock-Fassen, bis hin zur Vergewaltigung. Das muss möglichst früh unterbrochen werden. Eine Verteidigung ist, das öffentlich zu machen, um damit nicht alleine zu sein. Dass Sigi nun Tausende von Euro Schadenersatz an ihren Beleidiger zahlen soll, ist eine Kampfansage an #MeToo: Frauen, schluckt es runter, haltet die Klappe und lasst es euch gefallen, wir wollen euch weiter belästigen können.
Worin sehen Sie weitere Rückwärtsentwicklungen?
Definitiv in der Ernennung von Brett Kavanaugh zum Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Davor hieß es: Wir glauben der Frau nicht. Die Darstellung der betroffenen Christine Blasey Ford ist aber so glaubwürdig, dass daran kaum gezweifelt werden kann. Jetzt glaubt man vielleicht, dass die Übergriffe stattgefunden haben. Dafür heißt es neuerdings: Das war aber jemand anders. Das ist doch absurd. Für die meisten bleibt so die Botschaft zurück: Wir wissen, dass es sexuelle Übergriffe gibt, aber es ist uns egal. Und das ist eigentlich noch schlimmer als das Schweigen vorher.
Was bedeutet das für uns hier?
Der Präsident der USA bläst in das uralte Horn, dass die Vorwürfe nur ein Mittel der Frauen seien, um Männer zu schädigen. Denselben Quatsch höre ich in Deutschland auch. Angesichts der Tatsache, dass maximal acht Prozent aller Vergewaltigungsfälle mit einer Verurteilung enden, also 92 Prozent der Täter einfach davon kommen, sollten wir uns mit anderen Dingen befassen als der marginalen Zahl an Falschbeschuldigungen. Diese Rhetorik ist ein Versuch, das Pendel wieder zurückzuschlagen in Richtung alter Zeiten. Sie ist so pandemisch wie der Sexismus selbst. Wie sieht im Vergleich zu Donald Trumps alter Rhetorik moderner Antifeminismus aus?
Ich persönlich erlebe den Hass in Wellen, zuerst 2013 nach #Aufschrei, dann 2016 nach Silvester in Köln, als ich mich klar feministisch positioniert habe. Dass bei uns seit Jahren alle paar Tage eine Frau von ihrem Ex umgebracht wird, hat nichts mit Geflüchteten zu tun. Das zu behaupten ist ebenfalls antifeministisch, denn es lenkt vom Leid der Mehrheit der Frauen ab.
Der antifeministische Hass im Netz folgt dabei einem klassischen Dreiklang: Erstens wird Frauen ihre Kompetenz abgesprochen. Zweitens gibt es Erniedrigungen zum Thema Körper und Aussehen. Und drittens kommt dann etwas, das mit Sexualität und Gewalt zu tun hat. In einer EMail an mich stand, ich solle »zu Tode gefickt werden«. Hassrede erleben auch Männer, insbesondere Schwule, Migranten und Linke. Aber dieser Dreiklang ist trifft vor allem Frauen.
Haben Sie Tipps für die OnlineSelbstverteidigung?
Ich mache das von meinem emotionalen Zustand abhängig. Wenn ich gut drauf bin und eine Art Teflonschicht habe, an der alles abperlt, kann der schlimmste Hater kommen und ich mache ihn auf eine ironische, lustige Art runter. Wichtig dabei ist, die Hasstrolls nicht zu verlinken, damit sie nicht noch mehr Klicks und Besucher bekommen. Eine andere Strategie, ist, dass den Hasskommentar jemand Drittes solidarisch beantwortet: »Hey, was soll das? Hör auf damit!«. Daraufhin schreibe ich dann dem Dritten: »Ach, verschwende mit dem nicht deine Zeit, das ist doch nur ein Bot, gar kein echter Mensch.« Darüber regen sich diese Hater super auf. An schlechten Tagen hilft es, die Accounts zuerst von einer Vertrauensperson lesen zu lassen, die die schlimmsten Sachen herausfiltert, damit man keine Alpträume bekommt.
Wofür gibt es eigentlich Polizei und Justiz?
Ich habe schon Anzeigen gestellt, etwa gegen einen Mann, der mir geschrieben hat, mich sollen »Horden von Negern tot ficken«, ich sei »unwertes Leben« und mein Name solle »die Liste deutscher Opfer« erweitern. Keine einzige meiner Anzeigen ist bisher vor Gericht gelandet, schon gar nicht mit einem Urteil. Rassismus und Sexismus in der digitalen Welt ist zwar strafbar, bleibt meist aber straflos. Polizei und Justiz versagen da im Moment komplett. Einmal hat mich ein Polizist gefragt, was der Unterschied zwischen Facebook und Twitter ist. Deshalb fordere ich eine spezielle Behörde mit geschultem Personal, wo Anzeigen gestellt und bearbeitet werden können.
Ich finde es nicht sinnvoll, wenn Polizisten Frauen sagen: »Geh besser nicht im dunklen Park joggen!«, »Steig nachts im Bus vorne ein!« oder »Wenn du auf Facebook angegriffen wirst, geh doch besser nicht auf diese Seite!«. Das sagen sie Männern nicht. Indem wir solche Verhaltensregeln befolgen, schränken wir unsere Freiräume ein.
Facebook und Twitter sind genauso wie dunkle Parks öffentliche Räume und die müssen wir Frauen verteidigen. Das betrifft Meinungsfreiheit, Repräsentation und Demokratie. Dass Frauen verdrängt werden, indem man uns das Leben zur Hölle macht, können und dürfen wir nicht einfach hinnehmen.
»Facebook und Twitter sind genauso wie dunkle Parks öffentliche Räume und die müssen wir Frauen verteidigen.« Anke Domscheit-Berg
Wie geht es weiter?
Das Patriarchat hat durch #MeToo Angst bekommen und die ist völlig berechtigt. Die derzeitigen Backlashs sind ein letztes Aufbäumen. Natürlich ist noch nicht gesagt, wer sich durchsetzt. Ich glaube aber, dass wir, also weibliche und männliche Feministen, gewinnen werden.