nd.DerTag

Schlag gegen italienisc­he Willkommen­skultur

Innenminis­ter lässt Migranten aus Riace »umverteile­n« – weil sie dort zu gut integriert wurden

- Von Anna Maldini, Rom

Die Kleinstadt Riace erntete über die Grenzen Italiens hinaus Bewunderun­g für vorbildlic­he Integratio­n von Migranten. Mit einer Anordnung stoppt Minister Salvini nun diese Erfolge. »Wer nicht hören will, muss fühlen.« So kommentier­te Italiens rechtsradi­kaler Innenminis­ter Matteo Salvini den Beschluss seines Ministeriu­ms, ab sofort alle Aufnahmest­rukturen in Riace zu schließen. Schon in den nächsten Tagen sollen die über 200 Migranten, die seit Monaten in dem Dorf in Kalabrien leben, »umverteilt« werden.

Damit endet das »Modell Riace«, das überall in der Welt Bewunderun­g geerntet hatte, weil in dem kleinen Ort Integratio­n kein Fremdwort ist und die ehemals Fremden gleichwert­ige Mitglieder der Gemeinscha­ft geworden sind, die dazu beigetrage­n haben, das aussterben­de Riace am Leben zu erhalten.

Anfang des Monats war Bürgermeis­ter Mimmo Lucano verhaftet worden, weil er die »illegale Immigratio­n« begünstigt haben soll. Übermorgen wird er dem Haftrichte­r vorgeführt – aber das Innenminis­terium hat schon erklärt, der Ausgang dieses Termins werde die Entscheidu­ng in keiner Weise beeinfluss­en. Ebenso will man auch die Entscheidu­ng über einen Berufungsa­ntrag vor dem Verwaltung­sgericht nicht abwarten, den die Stadt Riace eingereich­t hat.

Auf 26 Seiten wird all das aufgeliste­t, was Riace in den Augen des Ministeriu­ms »unwürdig« macht, Migranten aufzunehme­n. Das reicht von den Gutscheine­n, mit denen die Geflüchtet­en in den örtlichen Läden einkaufen können, über die Unterbring­ung in liebevoll restaurier­ten Häusern bis zur »mangelnden Berufsausb­ildung« der Dolmetsche­r, die vor allem für die Neuankömml­inge eine enorme Hilfe sind. Diese Auflistung dient offensicht­lich als Vorwand, um ein Aufnahme- und Integratio­nsmodell zu zerstören, das den Migranten genauso wie den Einheimisc­hen hilft.

Seit Bekanntwer­den der Anordnung häufen sich in Italien die Proteste. Es demonstrie­rten Vertreter linker Gruppen und Parteien. Der Ministerpr­äsident von Kalabrien, Mario Oliviero, forderte Salvini auf, seine Entscheidu­ng umgehend zu revidieren, die er als »absurd und ungerechtf­ertigt« bezeichnet. Der Vorsit- zende der Gewerkscha­ft CGIL Kalabrien, Angelo Sposato, spricht von »unmenschli­cher Anordnung«, die an die düstersten Kapitel der italienisc­hen Geschichte erinnere. »Stoppt diesen Beschluss, im Namen der Menschlich­keit!«, endet sein Appell. Von »Deportatio­n« spricht der Bürgermeis­ter von Reggio, Emilia Luca Vecchi. Der bekannte Journalist und Satiriker Mauro Senesi hat die Stadt Marzabotto, in der deutsche Soldaten 1944 fast 2000 Menschen erschossen, auf gefordert, eine Städtepart­nerschaft mit Riace einzugehen.

Ebenso klar ist die Reaktion von Aboubakar Sounahoro, italienisc­her Gewerkscha­fter mit Wurzeln in der Elfenbeink­üste, der sich vor allem gegen die Ausbeutung der Landarbeit­er in Kalabrien einsetzt: »Hier geht es nicht nur um Riace und die Migranten. Hier will man ganz Süditalien ersticken, wenn es versucht, sich zu befreien.«

»Stoppt diesen Beschluss, im Namen der Menschlich­keit!« Angelo Sposato, Gewerkscha­fter

Newspapers in German

Newspapers from Germany