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Reden ist Silber, Macht ist Gold

Durch die #MeToo-Bewegung sind Räume sexueller Gewalt angreifbar geworden. Und Feministin­nen haben bereits weitere Ideen

- Von Lotte Laloire

Heute vor einem Jahr forderte die Schauspiel­erin Alyssa Milano: »Wenn du sexuell belästigt oder angegriffe­n wurdest, schreibe ›Me too‹ als Antwort auf diesen Tweet«. Was ist seitdem passiert? Über 500 000 Menschen kamen der Aufforderu­ng von Alyssa Milano auf Twitter nach. Auf Facebook haben laut Forbes in nur 24 Stunden 4,7 Millionen Menschen 12 Millionen Beiträge verfasst. Bis heute erscheinen unter dem Schlagwort täglich mindestens 14 500 Beiträge, wie dpa Buzzrank, ein Portal zur Analyse Sozialer Medien, zeigt. Durch #MeToo trauen Frauen sich, über ihre Erfahrunge­n zu sprechen und ermutigen dadurch andere. Neben der Solidaritä­t vergrößern sich mit jedem weiteren Fall auch Empörung und Wut.

Empört haben sich auch Männer. Viele von ihnen sind jetzt verunsiche­rt. Und genau darin besteht der Erfolg von #MeToo, meint die Feministin Dagmar Comtesse, die in politische­r Philosophi­e habilitier­t wurde, im Gespräch mit »nd«. »In Räume, in denen sich Männer bisher extrem sicher gefühlt haben, ob im Büro, im Aufzug oder im Hotelzimme­r, hat durch #MeToo eine kommunikat­ive Macht Einzug gehalten«, so Comtesse, die auch Frauenbeau­ftragte ihres Fachbereic­hs an der Goethe-Universitä­t Frankfurt war. Durch #MeToo träfen Männer heute andere »Wahrschein­lichkeitse­rwägungen«. Denn sie wüssten nun, dass Machträume angreifbar sind. Gerade weil sexuelle Übergriffe oft fernab von Kameras passieren und juristisch schwer beweisbar sind, hält Comptesse diese neue, fluide Macht der Frauen für extrem wertvoll.

Einige institutio­nelle Folgen gab es auch. So hat in Berlin Anfang Oktober eine Vertrauens­stelle für Beschäftig­te aus Film, Fernsehen und Theater, genannt »Themis«, eröffnet. Eine Psychologi­n und eine Juristin bieten allen, die in dieser Branche sexuelle Belästigun­g und Gewalt erfahren haben, Beratung in einem geschützte­n Raum. Wie eine Mitarbeite­rin »nd« mitteilte, ist Themis auf drei Jahre angelegt und die Staatsmini­sterin für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), stelle ein jährliches Budget in Höhe von 100 000 Euro bereit.

Auf Anfrage des »nd«, inwiefern auf #MeToo reagiert wurde, hat das Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Liste mit Zielen geschickt. Eines davon lautet, stereotype Rollenbild­er zu bekämpfen. Zu diesem Zweck fördere man ein Projekt der Kampagne Pinkstinks Hamburg gegen sexistisch­e Werbung. Ähnliches versucht die junge Organisati­on »Gender Equality Media«, die Forderunge­n und Tipps für Journalist­en gegen Sexismus in der Berichters­tattung vorgelegt hat.

Das Ministeriu­m hat im September auch einen »Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen«, eingericht­et, der Frauenhäus­er unterstütz­en soll (»nd« berichtete). Angelika Schwarz, die in einem Frauenhaus in Braunschwe­ig arbeitet, findet, zum echten Schutz von Frauen müsste sich noch viel mehr verändern. »Um ein Beratungsa­ngebot nutzen zu können, braucht eine Frau mit Kind zum Beispiel erst einmal einen Kita-Platz«, erklärt Schwarz. Eine Mitarbeite­rin von »Wildwasser«, einer Beratungss­telle zu sexueller Gewalt, sagt »nd«: »Alles, was durch #MeToo im Aufwind ist, wird von der Frauenbewe­gung seit Jahrzehnte­n gefordert und aufgrund mangelnder Unterstütz­ung zur Not eigenständ­ig umgesetzt.«

Einer der Gründe, dass aus der Politik nicht viel kam, könnte sein, dass etwa der Bundestag ein #MeToofreie­r Raum ist. Keine der weiblichen Abgeordnet­en hat bisher selbst unter dem Hashtag #MeToo übergriffi­ge Kollegen benannt. Und das, obwohl es im Bundestag angeblich sogar schon Reime mit Namen der notorische­n Sexisten gibt, die gesummt werden, um andere Frauen zu warnen. Bei einer Öffentlich­machung würde diesen Frauen unterstell­t werden, dass sie damit politische Gegner schwächen wollten, fürchtet eine der Feministin­nen. Sie sieht deshalb nur eine Lösung: Parlamenta­rierinnen müssten sich fraktionsü­bergreifen­d absprechen und exakt im gleichen Moment die schwarzen Schafe aus ihrem jeweiligen Umfeld benennen. Der Aufwand dafür dürfte überschaub­ar sein, schließlic­h ist der Frauenante­il nach der letzten Wahl um rund sechs Prozent auf 31 Prozent gesunken.

Ob im Bundestag, der Kunst oder der Wissenscha­ft, für die Philosophi­n Comtesse ist durch #MeToo wieder einmal deutlich geworden, dass wir Geschlecht­erquoten brauchen, »zumindest, wenn wir wirklich etwas an den Machtstruk­turen in der Gesellscha­ft ändern wollen«. Das müsse der nächste Schritt sein, denn bei #MeToo ging es weniger um Sex als um Macht, so Comtesse.

»Bei #MeToo ging es weniger um Sex als um Macht.« Dagmar Comtesse, politische Philosophi­n

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