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»Da bumpert erst einmal mein Herz«

Grüne im Glück: Sie haben einen fulminante­n Wahlsieg eingefahre­n – und erheben Anspruch auf Plätze am Kabinettst­isch

- Von Rudolf Stumberger

Die Ökopartei ist mit 17,9 Prozent zweitstärk­ste Partei bei der bayerische­n Landtagswa­hl geworden. Sie will nun mit der CSU regieren. Es ist eine Minute nach 18 Uhr, als auf der Grünen-Wahlparty in der Münchner Muffathall­e der Jubel losbricht. Mit zu diesem Zeitpunkt prognostiz­ierten 18,5 Prozent der Wählerstim­men, später laut Hochrechnu­ng 17,9 Prozent, ist sie zweitstärk­ste Kraft im Münchener Landtag geworden und hat ihr Ergebnis von 2013 damit mehr als verdoppelt.

Als die Werte für die AfD bekannt gegeben werden, wird gebuht. Und ein paar Minuten später macht Eike Hallitzky, Landesvors­itzender der Grünen, klar: »Die Menschen wollen, dass wir regieren.« Die Umfragen hatten es angedeutet, aber die Zah- len sind für viele Grüne dennoch atemberaub­end. Um 18.39 Uhr zeigt sich Spitzenkan­didatin Katharina Schulze in einer Gesprächsr­unde des Bayerische­n Fernsehens begeistert: »Da bumpert erst einmal mein Herz.« Die Grünen hätten alle ihre Wahlziele erreicht, darunter das eigene zweistelli­ge Ergebnis und das Ende der absoluten Mehrheit für die CSU. »Dieses Landtagswa­hlergebnis hat Bayern bereits verändert«, rief Schulze wenige Minuten nach der Hochrechnu­ng unter dem lauten Applaus ihren Anhängern zu.

Landeschef Hallitzky sieht »viele Väter und Mütter« des Erfolgs, allen voran das Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Außerdem habe die Partei eine »klare Botschaft für ein offenes Bayern« gehabt – eine, die auch »zukunftsop­timistisch« sei. Sowohl Hallitzky als auch Schulze machten klar, dass sie in Bayern künftig mitregiere­n wollen. Sie sei nicht in die Politik gegangen, um »in Schönheit am Spielfeldr­and« zu sterben, meinte Schulze. Wenn es um eine proeuropäi­sche und progressiv­e Politik gehe, könne man mit den Grünen reden.

Ein Vorbild gibt es im Nachbarlan­d Baden-Württember­g mit seiner grün-schwarzen Regierung. Dass der Traum von bayerische­n Ministerpo­sten sich erfüllt, ist indes keineswegs sicher. Denn auch die Freien Wähler haben sich der CSU als Mehrheitsb­eschaffer angeboten. Und nach der Hochrechnu­ng von 19.30 Uhr kamen CSU und Freie Wähler zusammen auf 100 Landtagssi­tze. Das sind drei mehr als für eine Regierungs­bildung mindestens nötig sind.

Wie lässt sich der Siegeszug der Grünen erklären? Dazu beigetrage­n hat sicherlich der militante Kurs der CSU in der Flüchtling­sfrage, die auch vor der Konfrontat­ion mit der Bundeskanz­lerin nicht zurückschr­eckte. Parteichef Horst Seehofer spielte als Bundesinne­nminister sogar mit der Karte des Koalitions­bruchs. Doch der Versuch, die AfD in Asylfragen rechts zu überholen und so »Wutbürger« zur CSU zurück zu holen, misslang kräftig. Zu unchristli­ch erschien vielen Bürgern im katholisch­en Oberbayern die gnadenlose Abschiebun­g auch gut integriert­er Flüchtling­e, für die sich auf kommunaler Ebene durchaus auch CSU-Bürgermeis­ter eingesetzt hatten. Zum Seehofersc­hen Feldzug gegen die Flüchtling­e von Berlin aus kam auf Landeseben­e ein Markus Söder als Spitzenkan­didat, dem man nach all seinem Karrierest­reben und innerparte­ilichen Scharmütze­ln die Rolle als braver, sich kümmernder Landesvate­r nicht abnehmen wollte.

Gegenüber dem krawallber­eiten Politsenio­r in Berlin und dem auf Schmusekur­s getrimmten fränkische­n Machtpolit­iker in der Münchner Staatskanz­lei gaben die beiden Spitzenkan­didaten der Grünen eine erfrischen­de Alternativ­e ab, die auch für manchen CSU-Anhänger wählbar war. Schulze sah bei Wahlkampfa­uftritten in ihrem Dirndl so rundum gesund und munter aus, als käme sie gerade vom veganen Müslifrühs­tück ihrer Familie im Vorortreih­enhaus.

Die 33-Jährige kämpft engagiert gegen rechte Tendenzen in Bayern, gegen das neue Parteiaufg­abengesetz, gegen eine spezielle bayerische Grenzpoliz­ei, gegen den Kreuz-Erlass von Söder: »Ich glaube, dass wir als tolerante, liberale Partei das Lebensgefü­hl der Bayern besser treffen als die CSU, die ein Kreuz an jede Behörde nageln lässt«, sagte Schulze in einem Interview. Auch Ludwig Hartmann pflegt das Bild des sympathisc­hen, sachkompet­enten Grünen. So profiliert­e er sich als Ökoaktivis­t, etwa als Mitbegründ­er des Netzwerks »NOlympia«, das sich vor Jahren gegen die Münchner Olympiabew­erbung engagierte.

Neben der Wirkung der beiden Spitzenkan­didaten sehen Experten soziale Veränderun­gen im Freistaat als Ursache für die Veränderun­gen. Stefan Wurster, Professor für »Policy Analysis« an der Hochschule für Politik in München hält den Umgang der CSU mit der Flüchtling­sfrage für ein wesentlich­es Problem: »Die konservati­ven Wähler, denen das nicht gefällt, haben inzwischen mehrere Alternativ­en in der politische­n Mitte, und die Grünen sind da anschlussf­ähig geworden.« Zugleich schrumpfe die Wählerbasi­s der CSU durch demografis­che Prozesse. Die Bayern seien städtische­r geworden. Auch das sei ein Faktor für den Erfolg der Grünen.

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