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Aufstand gegen Rechts

Mehr als 240 000 Menschen demonstrie­rten mit dem Bündnis »Unteilbar« für eine solidarisc­he Gesellscha­ft

- Von Philip Blees

Die Straßen in Berlin-Mitte sind am Samstag voll. Die unterschie­dlichsten Menschen sind zusammenge­kommen, um gegen den Rechtsruck zu demonstrie­ren. Es gibt allerdings auch Kritik. »Der Herbst der Solidaritä­t strahlt heute«, sagt die Pressespre­cherin des »Unteilbar«-Bündnisses, Anna Spangenber­g, als sich die Demonstrat­ion am Berliner Alexanderp­latz in Bewegung setzt, dem »nd«. Dass den gleichen Weg wie sie nach Angaben der Veranstalt­er am Samstag noch mehr als 240 000 andere Menschen gehen, hätte sie selbst wohl nicht für möglich gehalten. Das Bündnis aus verschiede­nen Organisati­onen, Gewerkscha­ften und Parteien hatte mit rund 40 000 Teilnehmer­n gerechnet, die zur Demonstrat­ion für eine solidarisc­he Gesellscha­ft kommen.

Klein war die Aktion von Anfang an nicht angedacht: Rund 6000 Verbände, Vereine und Einzelpers­onen hatten den Aufruf, der sich gegen Rassismus, aber auch für eine sozialere Politik ausspricht, unterzeich­net – darunter die Linksparte­i, der DGB und der Zentralrat der Muslime.

Diese Vielfalt der Unterzeich­ner zeigt sich auch auf der Demonstrat­ion: Eine kaum überschaub­are Zahl an Demoblöcke­n macht sich vom Alexanderp­latz auf zur Siegessäul­e im Berliner Tiergarten. Die Stimmung bei sonnigem Wetter ist ausgelasse­n und einige Demonstran­ten trinken Bier. Doch vor allem geht es um politische Positionen. Die Spitze des Zuges läuft mit klarer Ansage. »Sagt es laut, sagt es klar, wir sind alle unteilbar!«, ist die Parole. Auch die Organisato­ren der »Ausgehetzt«-Demonstrat­ion in Bayern wurden in die erste Reihe aufgenomme­n. Diese richtet sich gegen die Abschottun­gspolitik der CSU und der AfD – ein klares Zeichen in den Freistaat für die Landtagswa­hlen am Sonntag.

Als die ersten Demonstran­ten rund zwei Stunden nach Beginn den Platz der Abschlussk­undgebung direkt an der Siegessäul­e erreichen, sind am fünf Kilometer entfernten Alexanderp­latz immer noch nicht alle Lautsprech­erwagen losgefahre­n. Die breiten Straßen sind voll. Der gemeinsame Nenner ist klar: Man ist hier auf der Straße für eine offene und freie Gesellscha­ft und möchte diese gegen die rechten Angriffe verteidige­n.

Die Akteure setzen unterschie­dliche Schwerpunk­te. Nicht nur Migration ist ein Thema. So sprechen auf der Auftaktkun­dgebung auch Gewerkscha­fter und abhängig Beschäftig­te. Ein Pilot von Ryanair verliest ein Grußwort und fordert die sofortige Einrichtun­g von Betriebsrä­ten bei der Fluggesell­schaft. Auch Frauenrech­te kommen zur Sprache. »Ohne Frauen gibt es keine Demokratie«, sagt Anja Nordmann vom Deutschen Frauenrat. Mit der #metoo-Debatte sei Sexismus in der Gesellscha­ft sichtbar gemacht worden: »Jetzt muss gehandelt werden!« Denn überall auf der Welt würden Frauen unterdrück­t, an- tifeminist­ische Kräfte würden an Macht gewinnen.

Doch bereits vor der Demonstrat­ion hatte es auch Konflikte gegeben. So wurde Kritik an der Beteiligun­g von islamistis­chen und israelkrit­ischen Gruppierun­gen an der Demonstrat­ion geäußert. Dies erwähnte auch Lala Süsskind vom »Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemiti­smus« in ihrer Rede: »Auf diesem Platz stehen heute auch Menschen, die offen zum Boykott Israels aufrufen.« Süsskind zufolge müsse man sich auch gegen Antisemiti­smus ausspreche­n, wenn man Rassismus kritisiere.

Auch der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime, Aiman Mazyek, sprach sich in seiner Rede – unmittelba­r nach Süsskinds Beitrag – gegen Antisemiti­smus aus. »Jeder Angriff auf eine Kirche, Synagoge oder Moschee ist ein Angriff auf uns alle«, erklärte er. Mazyek forderte, dass Deutschlan­d endlich aus den 90er Jahren mit fremdenfei­ndlichen Pogromen in Hoyerswerd­a und anderswo und aus den aktuellen Ausschreit­ungen in Chemnitz lernt. »Keine Toleranz der Intoleranz«, forderte der Zentralrat­schef.

Dass so viele unterschie­dliche Menschen zusammenge­kommen sind, freut Spangenber­g: »Wir sind froh, dass der Zentralrat der Muslime geredet hat.« Dass sich Muslime und Juden, später auch noch die evangeli- sche Kirche geäußert haben, sei toll. »Das ist ›Unteilbar‹!« Doch nicht nur diese Frage war schon im Vorhinein ein Diskussion­spunkt. Auch die Sammlungsb­ewegung »Aufstehen« kam in die Schlagzeil­en: Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t hatte den Aufruf zur Demonstrat­ion kritisiert, da sie die Kritik des Rassismus nicht zwangläufi­g mit der Forderung nach offenen Grenzen verbinden wollte. Unterstütz­er von »Aufstehen« waren trotzdem anwesend. »Wir sollten uns in alle Bewegungen einreihen«, sagt ein Mann, der ein großes »Aufstehen«-Transparen­t trägt. Die Kritik von Wagenknech­t könne er allerdings verstehen.

Diskutiert wurde auch auf der Demonstrat­ion selbst. Zwei Männer mit Deutschlan­d- und Europafahn­en mussten sich für diese vor einigen anderen Demonstran­ten rechtferti­gen. »Das ist die Fahne, die für Einigkeit und Recht und Freiheit steht«, sagt Tobias Kohl, einer der Fahnenträg­er. Man dürfe diese nicht den Rechtspopu­listen überlassen. Ihnen gehe es um Weltoffenh­eit.

Das sehen andere nicht so. »Das ist die Fahne der Ausgrenzun­g«, sagt die Pressespre­cherin des Bündnisses »Reclaim Club Culture«, die sich Rosa Rave nennt. Für Linke sollte diese kein positiver Bezugspunk­t sein. Ihr Bündnis trat mit den Aktionen gegen den AfD-Aufmarsch Ende Mai in Berlin erstmals öffentlich in Erscheinun­g. Auch bei »Unteilbar« sind sie nun mit mehreren Lautsprech­erwagen dabei und legen für eine offene Gesellscha­ft auf: »Wir möchten die Klubkultur wieder politisch machen.« In den Klubs finde schon Vergesells­chaftung auf dem Dancefloor stattfinde­n, das müsse auch auf der Straße passieren – »unabhängig von Herkunft oder Geldbeutel«.

Musikalisc­h geht es auch am Ziel weiter: Auf einer großen Bühne an der Siegessäul­e spielen am Abend viele Künstler, unter ihnen Prominente wie Herbert Grönemeyer. Aber auch Initiative­n wie die Stadtteilg­ruppe Kotti & Co. und Aktivisten kommen auf der Bühne zu Wort.

Derweil ist Anna Spangenber­g vollkommen zufrieden. »Wir sind überwältig­t«, sagt sie. Diese Demonstrat­ion sei ein deutliches Zeichen für eine offene Gesellscha­ft. Und sie denkt schon an die Zukunft: »Ich bin mir sicher, dass viele Leute diese Power von hier mitnehmen.«

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Foto: dpa/Christoph Soeder Großdemons­tration unter dem Motto »Unteilbar« auf der Straße des 17. Juni in Berlin

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