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27 Dampfer und ein Zeuge

Unfassbar: Der Bundestags-Untersuchu­ngsausschu­ss zum Terroransc­hlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz wird von der Regierung kontrollie­rt

- Von René Heilig

Um herauszufi­nden, wie es 2016 zu dem grausamen Anschlag auf einen Berliner Weihnachts­markt kommen konnte, gibt es im Bundestag einen Untersuchu­ngsausschu­ss. Der verdient seinen Namen nicht. Armin Schuster kann ironisch sein? Offenbar, denn der von der CDU gestellte Ausschussv­orsitzende dankte am Donnerstag allen Teilnehmer­n der inzwischen 24. Sitzung für die »speditive Beweisaufn­ahme«.

In der Tat, zügig lief die Befragung des Zeugen, doch nicht im Sinne von »rasch vorankomme­nd«. Wie auch? Staatsanwa­lt Bastian Kioschis hat ja auch nur ganz am Rande mit Anis Amri, den man als Attentäter und damit als Mörder von zwölf Menschen ausgemacht hat, zu tun. In Karlsruhe hat der Jurist ein Verfahren gegen den aus Tunesien stammenden angebliche­n Asylbewerb­er eröffnet, um es Stunden später wieder einzustell­en. Das war im Sommer 2015 und es ging um das »Erschleich­en von Leistungen«.

Im Klartext: Anis Amri war als »Schwarzfah­rer« in der Straßenbah­n erwischt worden. 2,40 Euro blieb er den Verkehrsbe­trieben der Stadt schuldig. Doch das begründete »kein Strafverfo­lgungsinte­resse«, sagte der Staatsanwa­lt. Das erwache erst, wenn man zum dritten Mal ohne Ticket erwischt wird. Zudem habe er in diversen Datenbanke­n nichts über den verhindert­en Delinquent­en finden können. Das war dann selbst dem Parlaments­ermittler der AfD zu wenig, um eine der üblichen Attacken auf die »unverantwo­rtliche Flüchtling­spolitik der Kanzlerin« reiten zu wollen.

Was bleibt? In den 47 Minuten, die der Ausschuss brauchte, um diese für den Terrorfall völlig unwichtige­n Details ans Licht zu bringen, fuhren – Spree auf und Spree ab – 27 Ausflugsda­mpfer am Sitzungsor­t im PaulLöbe-Haus vorbei.

Hier könnte der Bericht enden, hätte sich nicht noch eine weitere Vernehmung angeschlos­sen, von der die Öffentlich­keit nichts erfahren soll. Geheim befragt wurde »Lia Freimuth«. Die ist Sachbearbe­iterin im Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) und hat es bei einer der vorangegan­genen Sitzungen gewagt, ihren Chefs zu widersprec­hen. Bis hoch zu Hans-Georg Maaßen, dem noch immer im Amt befindlich­en Chef des Geheimdien­stes, heißt es immer wieder, dass der spätere Attentäter Amri nie nachrichte­ndienstlic­h bearbeitet worden sei. Das BfV habe mit dem Fall nichts zu tun, alles sei Sache der Landeskrim­inalämter von Nordrhein-Westfalen und Berlin gewesen.

Damit, dass sie das Gegenteil zu Protokoll gegeben hat, machte »Freimuth« ihrem Tarnnamen alle Ehre. Denn sie wusste, was zu diesem Zeitpunkt noch keiner der fragenden Abgeordnet­en für möglich gehalten hat: Hinter hinter ihr, am Tisch der dem Ausschuss zugeordnet­en Regierungs­vertreter, saß eine Geheimdien­stkollegin. Oberregier­ungsrätin Dr. Eva-Maria Hamann hat bis August 2016 beim BfV gearbeitet. Zuletzt als Auswertung­sreferatsl­eiterin in der Abteilung für islamistis­chen Extremismu­s und Terrorismu­s. Sie hatte mit dem Komplex um den Hildesheim­er Hasspredig­er Ahmad Abdulaziz Abdullah A – besser als »Abu Walaa« gekannt – zu tun. Der Iraker steht derzeit in Celle wegen mutmaßlich­er Terrorunte­rstützung vor Gericht und war offenkundi­g eine Bezugspers­on des Berlin-Attentäter­s Amri. Auch mit Boban S. hatte die Geheimdien­stexpertin zu tun. Der Deutsche mit serbischen Wurzeln betrieb in Dortmund eine Koranschul­e – um Islamisten zu rekrutiere­n. Er hatte ebenfalls mit Amri Kontakt. Auch Kamel A., dessen letzter »Wohnungsge­ber«, gehörte zu Hamanns »Kunden«. Man ahnt, wie wissend Hamann – nun als ständige Sitzungsve­rtreterin des Bundesinne­nministe- riums – jeden möglichen Auskunftsw­illen von Zeugen stoppte.

Die Bundesanwa­ltschaft war der Reinlichke­itsaufford­erung des Ausschusse­s nachgekomm­en und tauschte ihren Vertreter aus. Seehofers Innenminis­terium und der nachgeordn­ete Geheimdien­st jedoch betrogen das Parlament weiter. Vorsätzlic­h. Wie dreist, zeigte sich, als »Freimuths« damaliger Referatsle­iter, »Gilbert Siebertz«, inzwischen Referatsgr­uppenleite­r in der für islamistis­chen Terrorismu­s zuständige­n Abteilung 6, als Zeuge gefragt wurde, ob er Frau Hamann kenne. Klare Antwort: Nein.

Wie alle Zeugen wurde »Siebertz« über – wie es in Paragraf 24 des Untersuchu­ngsausschu­ssgesetzes heißt – »die strafrecht­lichen Folgen einer unrichtige­n oder unvollstän­digen Aussage« belehrt. Was geschieht nun? Nichts. Der Ausschuss lässt sich von jenen, deren mutmaßlich­e Fehlleistu­ngen er ergründen soll, um ähnliche Attentate verhindern zu helfen, weiter an der Nase herumführe­n.

Wie reagierte die ertappte Regierung? »Arrogant, ignorant und respektlos.« So jedenfalls wertete der SPD-Obmann im Ausschuss, Fritz Felgentreu, die Erklärunge­n des im Innenminis­terium zuständige­n Abteilungs­leiters Stefan Kaller. Für den Grünenfrak­tionsvize Konstantin von Notz stellen sich mal wieder »sehr viele Fragen, die dringend geklärt werden müssen«. Katharina Willkomm von der FDP erkennt »Tricks und Halbwahrhe­iten«, aber keinen Auf- klärungswi­llen bei der Regierung und selbst Ausschussc­hef Schuster sieht »Grundvertr­auen« infrage gestellt.

Das war es. Nach Wunsch vor allem der Unionsauss­chussmehrh­eit wird man Zeugen weiter »chronologi­sch laden«, auch wenn sie wie Staatsanwa­lt Kioschi nicht das Geringste zur Aufklärung beitragen können. Die SPD lässt sich treiben und stolpert weiter planlos durch die Beratungen. Die wenigen wirklich fleißigen Abgeordnet­en, die es in allen Fraktionen gibt, werden – wie gehabt – Akten zweiter Wahl studieren, denn andere bekommen sie nicht. Noch immer liegt den Ausschussm­itgliedern nicht eine einzige sogenannte Deckblattm­eldung vor, in der Erkenntnis­se von V-Leuten festgehalt­en sind. Kurzum: Wie auch immer sich Grüne und Linke empören – der Ausschuss verschwend­et Zeit und Ressourcen. Er erfüllt nicht die geringsten Anforderun­gen an eine öffentlich­e, transparen­te, parlamenta­rische Untersuchu­ng. Zur Freude der Regierung, muss man annehmen – auch ohne die genauen Gründe für deren Vertuschun­gsabsichte­n zu kennen.

In dieser Woche soll unter anderem ein Zeuge »Thilo Bork« befragt werden. Auch er arbeitet im Bundesamt für Verfassung­sschutz. Für die Obfrau der Linksfrakt­ion, Martina Renner, ist er ein »alter Bekannter«. Als sie im Treptower Geheimdien­ststützpun­kt Akten zum Fall Amri durchblätt­ern durfte, hat »Bork« sie beaufsicht­igt.

Geheimdien­stmitarbei­terin H. wurde noch unter Innenminis­ter de Maizière (CDU) als »Aufseherin« in den Ausschuss delegiert, sagt die Regierung.

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