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US-amerikanis­che Verhältnis­se für Russland

Der Präsident des Verfassung­sgerichts spricht sich für Zweipartei­ensystem aus

- Von Axel Eichholz, Moskau

In Russland wird seit Jahren über eine Reform des Parteiensy­stems diskutiert. Nun spricht sich der Oberste Verfassung­srichter für ein Zweipartei­ensystem aus. Der Präsident des russischen Verfassung­sgerichts, Waleri Sorkin, hat sich für die Einführung eines Zweipartei­ensystems in Russland nach dem Vorbild der USA ausgesproc­hen. Es sei nicht falsch, sich Erfahrunge­n anderer zu bedienen, wenn sich diese durch jahrhunder­telange praktische Anwendung bewährt hätten, schreibt er in einem am vergangene­n Mittwoch in der regierungs­nahen »Rossijskaj­a Gaseta«.

Die von der Verfassung garantiert­e wirtschaft­liche Freiheit würde durch politische Freiheit und politische­n Wettbewerb ergänzt, heißt es in dem Artikel. Diese Entwicklun­g dürfe nicht so verlaufen, dass die Staatsmach­t am Ende von einer Partei, Gruppe, Organisati­on und hinter ihr stehenden Kräften monopolisi­ert werde. Die Opposition müsse die Möglichkei­t erhalten, im Rahmen der Verfassung, das heißt durch ehrliche politische Konkurrenz, an die Macht zu gelangen, so Sorkin. Die Existenz mehrerer Parteien garantiere an sich noch keine beständige Demokratie. Dafür sei eine Stabilität des pluralisti­schen Systems und eine Konsolidie­rung der sozialen Kräfte und Bewegungen erforderli­ch. Es gelte daher, Abweichung­en in Richtung des Rechts- und Linksradik­alismus zu vermeiden.

Laut Sorkin ist das heutige Modell der liberalen repräsenta­tiven Demokratie in den meisten Industriel­ändern den Herausford­erungen der Neuzeit längst nicht mehr gewachsen. Deshalb gelte es für Russland, ein neues, effektiver­es Modell der Volksmacht zu finden. Aller- dings gebe es dafür kein universell anwendbare­s Rezept – auch nicht im Westen. So baue die Schweiz ihr Modell auf dem Begriff der kommunalen und kollektivi­stischen Freiheit auf. Dies unterschei­de sich grundsätzl­ich von dem anglosächs­ischen Freiheitsb­egriff, der sich von persönlich­en Rechten ableite.

Sorkin lehnt eine radikale Verfassung­sreform oder gar eine Ablösung der Verfassung von 1993 entschiede­n ab. Einschneid­ende Änderungen wären vor allem deshalb gefährlich, weil das Grundgeset­z eine sozialinte­grierende Funktion erfülle, warnt der Verfassung­srichter. Dies sei der Schlüsself­aktor des gesellscha­ftlichen Konsenses und folglich der politische­n Stabilität im Land. Zwar sei die geltende Verfassung mit zahlreiche­n Mängeln behaftet. Diese ließen sich aber durch gezielte Änderungen und Ergänzunge­n abstellen. Gerüchtewe­ise ist von der Umwandlung in eine Par- lamentsrep­ublik mit einer begrenzten Rolle des Präsidente­n die Rede.

Nach der Gründung des russischen Verfassung­sgerichts 1991 wurde Waleri Sorkin dessen erster Vorsitzend­er. Im Konflikt zwischen dem Präsidente­n Boris Jelzin und dem Obersten Sowjet ergriff er 1993 Partei für das Parlament und erklärte dessen Auflösung durch ein Präsidente­ndekret für verfassung­swidrig. Im KPdSU-Prozess verhindert­e er das endgültige Verbot der kommunisti­schen Ideologie in Russland, was die Neugründun­g der Kommunisti­schen Partei de Russischen Föderation (KPRF) ermöglicht­e. Nach der gewaltsame­n Niederschl­agung des parlamenta­rischen Protests musste Sorkin im Oktober 1993 von seinem Posten zurückzutr­eten. Erst zehn Jahre später erlaubte Präsident Wladimir Putin sein Comeback. Seither galt er aber nicht mehr als Rebell, sondern als loyaler Gefolgsman­n.

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