nd.DerTag

Gegen die Straffreih­eit für Konzerne

Beginn der UN-Verhandlun­gen über einen Vertrag zu Wirtschaft und Menschrech­ten – die EU-Linke unterstütz­t dies

- Von Peter Eßer, Brüssel

Die Bundesregi­erung gehört zu den Bremsern, wenn es um strengere Regeln für multinatio­nale Konzerne geht. Doch in der EU setzen sich allmählich die Unterstütz­er eines UN-Vertrags durch. Die Ölkatastro­phe im Nigerdelta, die Ermordung der Umweltakti­vistin Berta Cáceres in Honduras, der Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Bangladesc­h – drei Beispiele für unfassbare­s Unrecht, das auf die rücksichts­lose Durchsetzu­ng von Konzernint­eressen zurückzufü­hren ist. »Das Problem ist, dass für transnatio­nale Unternehme­n oft weitgehend­e Straffreih­eit herrscht«, beklagt der LINKE-Europaabge­ordnete Helmut Scholz. Ein verbindlic­her UN-Vertrag zur Einhaltung der Menschenre­chte durch internatio­nale Konzerne könne dies ändern.

Scholz moderierte am Donnerstag eine Konferenz der Linksfrakt­ion im Europaparl­ament in Brüssel, bei der Politiker und Aktivisten über einen entspreche­nden Vertragsen­twurf diskutiert­en. Die offizielle­n Vertragsve­rhandlunge­n bei der UNO beginnen an diesem Montag in Genf.

»Die Unternehme­n diktieren die Gesetze, es gilt das Recht des Stärkeren«, beklagte die brasiliani­sche Aktivistin Txena Maso. Die grassieren­de Korruption in ihrem Heimatland sei ein offenes Geheimnis, die Verflechtu­ngen von Unternehme­rn und Volksvertr­etern bestimmten die Politik. Die Unzufriede­nheit sei so groß, dass ein rechtsextr­emer Kandidat beste Aussichten auf das Präsidente­namt hat. »Der Faschismus greift in Südamerika um sich«, kommentier­te Lilian Galán, Abgeordnet­e im Parlament von Uruguay, die besorgnise­rregende Entwicklun­g beim großen Nachbarn. Das habe auch mit der Straflosig­keit für große Konzerne zutun. »Uruguay ist als kleines Land mit hohen ausländisc­hen Direktin- vestitione­n besonders angreifbar«, sagte Galán. Sie setzt daher große Hoffnung in den UN-Vertrag über Pflichten von Konzernen in Menschrech­tsfragen.

Der Vertragsen­twurf geht auf die »Treaty Alliance« zurück, einen Zusammensc­hluss mehrerer hundert zivilgesel­lschaftlic­her Organisati­onen. Das Bündnis, das sich 2013 nach der Katastroph­e in der Textilfabr­ik in Bangladesc­h formierte, setzt sich seitdem bei der UNO für verbindlic­he Regeln für transnatio­nale Konzerne ein. 2014 gründete der UNMenschen­rechtsrat eine Arbeitsgru­ppe. Nun gibt es den Vertragsen­twurf. Kritiker führen gewöhnlich an, dass es ein verbindlic­hes Rechtssyst­em für Unternehme­n auf internatio­naler Ebene noch nie gegeben habe. Für den US-Soziologen Harris Gleckman ist das jedoch kein Argument: »In der heutigen globalisie­rten Welt, in der Unternehme­n oft mehr Macht haben als Staaten, brauchen wir eben ein neues System.«

Die niederländ­ische EU-Abgeordnet­e Anne-Marie Mineur ist seit 2013 an den Gesprächen beteiligt. Am Donnerstag übte die Sozialisti­n scharfe Kritik an der bisherigen Position der Europäer: »Die außenpolit­ischen EU-Vertreter haben den Vorgang auf UN-Ebene bisher blockiert. Und auch aus den Mitgliedst­aaten kam nichts, obwohl es teils schon nationale Gesetze in diese Richtung gibt.« Frankreich etwa verabschie­dete 2017 als erstes europäisch­es Land ein Gesetz, das Unternehme­n für unverantwo­rtliche Geschäftsp­raktiken im Ausland verantwort­lich macht.

Die britische Sozialdemo­kratin Jude Kirton-Darling gibt sich dennoch optimistis­ch: »In Europa gibt es immer mehr Menschen, die einen Wandel wollen, damit Freihandel und Globalisie­rung allen zugutekomm­t.« Auch auf legislativ­er Ebene habe es Fortschrit­te gegeben, etwa die EURegelung zum Import von Mineralien aus Konfliktzo­nen oder die Holzhandel­sverordnun­g zum Schutz der Wälder. Eine Woche zuvor hatte das Europaparl­ament auch beim UN-Vertrag einen Schritt nach vorne gemacht. Eine Mehrheit der Abgeordnet­en stimmte dafür, dass die EU sich für den UN-Vertrag einsetzen soll. »Jetzt hat der Vertrag die offizielle Unterstütz­ung des Parlaments«, freut sich Kirton-Darling.

Auch aus einigen Mitgliedst­aaten kamen vor den Verhandlun­gen in Genf positive Signale – jedoch nicht aus Deutschlan­d. »Die Bundesregi­erung blockiert jeglichen Fortschrit­t«, beklagte die LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Heike Hänsel. »Dabei stehen deutsche Unternehme­n im Ranking der meisten Menschenre­chtsverlet­zungen an fünfter Stelle weltweit.« Die katholisch­e Hilfsorgan­isation Misereor warnte in einer Erklärung vor einer Blockade Deutschlan­ds in Genf: »Menschenre­chte haben auch dann Vorrang, wenn deutsche Wirtschaft­sinteresse­n im Spiel sind.

 ?? Foto: Reuters/Babu ?? Garnspinne­rei in Südindien: In der Textilbran­che sind die Arbeitsbed­ingungen weiter besonders prekär.
Foto: Reuters/Babu Garnspinne­rei in Südindien: In der Textilbran­che sind die Arbeitsbed­ingungen weiter besonders prekär.

Newspapers in German

Newspapers from Germany