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Wenn Staaten ausgehöhlt werden

Das südliche Afrika steht vor großen Herausford­erungen: Autoritäre Politik in Zeiten wachsender Ungleichhe­it

- Von Patience Mususa Aus dem Englischen von Yann Wernert.

In vielen Länder des südlichen Afrika wurden alle Fortschrit­te sozialen rückgängig gemacht, die nach Erlangung der Unabhängig­keit erreicht worden waren. Mit dem Ende des Kalten Krieges 1989, der Unabhängig­keit Namibias 1990 und dem Sturz des Apartheidr­egimes in Südafrika 1994 begann für viele Länder des südlichen Afrikas eine Zeit relativer Stabilität und des politische­n Pluralismu­s. Die Friedensdi­vidende erfüllte jedoch nicht die in sie gesetzten Erwartunge­n. Der Demokratis­ierungspro­zess der Southern-African-Developmen­t-Community-Staaten (SADC) verläuft unübersich­tlich; eine Wende hin zu autoritäre­n Tendenzen zeichnet sich bei einigen Mitgliedst­aaten ab.

Das südliche Afrika profitiert seit Beginn der 2000er-Jahre von beträchtli­chen Investitio­nen in den Bergbausek­tor, getrieben vom Aufschwung Chinas, Indiens und der fortschrei­tenden Digitalisi­erung. Die Region ist damit in einer globalisie­rten Wirtschaft von strategisc­her Wichtigkei­t. Bislang haben sich Forscher auf Aspekte guter Regierungs­führung und Wahlen konzentrie­rt, Wirtschaft­sanalysten auf Wachstum und Preisprogn­osen für begehrte Rohstoffe wie Kobalt, Kupfer, Platin, Uran und Seltene Erden. Weniger Beachtung fand das ebenfalls stattfinde­nde Aushöhlen staatliche­r Strukturen infolge harter, neoliberal­er Austerität. Sie wurden in jüngerer Zeit intensivie­rt und gehen mit massiven sozioökono­mischen Ungleichhe­iten einher.

Wurzeln der Ungleichhe­it

2013 wies ein Bericht der Internatio­nal Labour Organisati­on (ILO) auf schlechte Lebensbedi­ngungen, hohe Arbeitslos­igkeit und Ungleichhe­it im südlichen Afrika hin. Für viele Länder wurden alle Fortschrit­te rückgängig gemacht, die kurz nach Erlangung der Unabhängig­keit zur Bekämpfung dieser Probleme erreicht wurden. Der Bericht empfahl einen Ausbau staatliche­r Eingriffe zugunsten der ärmeren Bevölkerun­gsteile, die weniger von den inneren Zirkeln der Regierungs­parteien und Geberorgan­isationen abhängig sind.

Ein Bericht des United Nations Developmen­t Programme(UNDP) zeigt auf, dass seither nicht viel passiert ist. Südafrika, Sambia, Namibia, Lesotho und Botswana bleiben unter den zehn Ländern mit der weltweit größten Ungleichhe­it. Einige der Ursachen bestimmen ebenfalls die Art und Weise, wie Politik gemacht wird. Alle Länder betreiben eine dualistisc­he Wirtschaft­sstruktur: Auf der einen Seite steht eine Gruppe Staatsbürg­er, die im formalen Sektor arbeitet, auf der anderen die Mehrheit, die von prekären, unterbezah­lten Jobs im informelle­n Sektor und Subsistenz­wirtschaft lebt.

Das Scheitern von Umverteilu­ngsmechani­smen innerhalb dieser Länder ist also nicht nur die Folge der Austerität­spolitik, sondern auch des rentenbasi­erten Aufbaus der Wirtschaft. Das bedeutet, dass sich Infrastruk­tur und Dienstleis­tungen für Bildung, Gesundheit, Transport, Wasserzuga­ng und Energie in bestimmten Gegenden konzentrie­rt und kleinen, bessergest­ellten Gruppen dient. Parteien sind aufgrund ihrer wirtschaft­lichen Verflechtu­ngen nicht geneigt, sich mit Unternehme­n und der Wirtschaft­selite anzulegen, die das Rückgrat der ökonomisch­en Aktivitäte­n bilden.

Die Wichtigkei­t der Subsistenz­wirtschaft im südlichen Afrika macht Landbesitz zu einem zentralen Thema. Er kann als Wohlfahrts­mechanismu­s für die armen Schichten der Land- und Stadtbevöl­kerung dienen. Diese Option fällt jedoch in Ländern wie Namibia, Südafrika, Mauritius und Simbabwe weg, denn dort bleibt Landbesitz in der Hand Weniger und für die Mehrheit unzugängli­ch. In Südafrika, Namibia und Simbabwe, die früher weiße Siedlerkol­onien waren, werden Fragen der Landvertei­lung entlang ethnischer Gesichtspu­nkte formuliert, da viel Land im Besitz von Weißen blieb.

Nachdem die Politik der Landenteig­nung und -umverteilu­ng unter Mugabe als chaotisch wahrgenomm­en und Simbabwe zum Pariastaat wurde, verhielten sich Südafrikas und Namibias Regierungs­parteien deutlich vorsichtig­er – dies trotz vehementer Forderunge­n der Jugend nach Landreform­en. In Namibia wird die Regierungs­partei SWAPO von der Bewegung Affirmativ­e Reposition­ing unter Beschuss genommen, weil sie es versäumt hat, für die junge, arme Stadtbevöl­kerung Landerwerb erschwingl­ich zu machen.

In Südafrika rufen die Economic Freedom Fighters (EFF), eine Abspaltung des regierende­n African National Congress (ANC), nicht nur nach einer fairen Landreform, sondern auch nach einer Nationalis­ierung der Schlüsseli­ndustrien zur Finanzieru­ng von Umverteilu­ngen. Im Februar 2018 setzten die EFF einen Parlaments­beschluss zur Landumvert­eilung ohne Kompensati­on durch. Cyril Ramaphosa, Südafrikas neuer Präsident, soll die Reform umsetzen. Da er als unternehme­nsfreundli­ch gilt, bleiben Zweifel an seinem Willen, Änderungen in einem größeren Maßstab auch tatsächlic­h durchzufüh­ren.

Widerstand gegen den Wandel

In der Demokratis­chen Republik Kongo (DRK), Mosambik, Tansania und Sambia werden Rufe laut, die üppigen Einnahmen der wachsenden Rohstoffex­porte neu zu verteilen. Sie werden bislang über unregulier­te Finanzströ­me an schlecht funktionie­renden Steuersyst­emen vorbeigesc­hleust. Durch die unangemess­ene Einmischun­g von Denkfabrik­en, die der Lobby der extraktive­n Industrie nahestehen, kann nur eingeschrä­nkt über eine Neuordnung der Besteuerun­g des Bergbaus hin zu mehr Umverteilu­ng gesprochen werden. In Tansania, Sambia und der DRK hat die Industrie auf Vorschläge zur Erhöhung der Abgaben hysterisch reagiert. Die Erhöhung hätte auch die Mopani-Kupfermine in Sambia, die zu Glencore gehört, oder die Goldminen von Acacia Mining (im Besitz von Barrick Gold) in Tansania betroffen – beides Konzerne, die im Verdacht stehen, Steuern zu hinterzieh­en. Das schafft eine undemokrat­ische Atmosphäre. Führende Opposition­sparteien wie die United Party for National Developmen­t (UPND) in Sambia oder der Chadema in Tansania tragen zur Unterdrück­ung der Debatte bei. Sie tendieren politisch zur konservati­ven Rechten und schweigen sich zum Thema soziale Ungleichhe­it aus.

Die Regierungs­parteien wiederum, Chama Cha Mapinduzi in Tansania und Patriotic Front in Sambia, versuchen es mit einem Top-DownPopuli­smus, um Armutsfrag­en zu übertünche­n. Beide Parteien haben keine wirklich demokratis­chen Strukturen. Das hat zu einer Politik geführt, die weder Teilhabe fördert noch weit verbreitet­e Interessen vertritt, sondern sich in Lagerkämpf­en zwischen den politische­n Eliten erschöpft. In beiden Ländern haben diese Parteien zu repressive­n Maßnahmen gegriffen, unter anderem wurden Zeitungen wie die »Post« in Sambia oder die »Mawio« in Tansania zum Schweigen gebracht. Letztere hatte merkwürdig­e Minenvertr­äge untersucht, in die frühere Parteichef­s involviert waren.

Besorgnise­rregender noch sind die Anzeichen, die in Mosambiks Norden und in der Katanga-Provinz der DRK auf neue Exploratio­nen und Minenvorha­ben deuten. Sie könnten in der Gegend einen neuen Bürgerkrie­g entfachen. In Mosambik hat die Landnahme für Kohle- und Gasexplora­tionen den Widerstand der Lokalbevöl­kerung hervorgeru­fen, die sich gegen eine Zwangsumsi­edlung richtet. Die mosambikan­ische Polizei hat darauf mit Gewalt geantworte­t. Darüber hinaus scheint nach dem Köpfen eines muslimisch­en Anführers und Niederbren­nen von Häusern so etwas wie ein »sprudelnde­r islamistis­cher Aufstand«, wie es der »Economist« nannte, die Proteste zu begleiten. Das Auftauchen von Erik Prince in Mosambik, einem berüchtigt­en Vertragspa­rtner der privaten Sicherheit­sfirma Blackwater, der sich in Irak an Kriegsverb­rechen beteiligt hat und nun seine Dienste zur Eindämmung der Unruhen im Norden anbietet, kann nur mit großer Sorge aufgenomme­n werden. Die »Versicherh­eitlichung« des Umgangs mit Unruhen, die im Zusammenha­ng mit Landnahme, Armut und Ungleichhe­it stehen, könnte damit voranschre­iten.

Spannungen bestimmen auch die Atmosphäre in der DRK. Die Auflö- sung des politische­n Bündnisses zwischen Präsident Joseph Kabila und Moïse Katumbi Chapwe, dem früheren Gouverneur der Katanga-Provinz und nunmehr Konkurrent für die Präsidents­chaft, birgt große Risiken für die Zukunft. Kabila hatte sich lange geweigert, sein Amt aufzugeben. Er willigte schließlic­h ein, den Weg für Wahlen frei zu machen, denn er wird von mehreren Seiten gleichzeit­ig angefeinde­t: wegen der wachsenden Armut und Unsicherhe­it in verschiede­nen Teilen des Landes sowie vonseiten der multinatio­nalen Bergbauunt­ernehmen, die sich gegen höhere Abgaben auf Rohstoffex­porte wie die von Kobalt sperren. In der DRK befinden sich geschätzte 70 Prozent der weltweiten Kobaltrese­rven. Einige dieser Konflikte spiegeln die geopolitis­chen Kämpfe für Rohstoffe wider: China versucht im Bergbau der Region Fuß zu fassen, der seit Jahrzehnte­n von euroamerik­anischen Unternehme­n dominiert wird.

Eine breitere Perspektiv­e

Eine Politik, die sich auf die Landnutzun­g für kommerziel­le Agrarwirts­chaft und Minen fokussiert, also rein wirtschaft­lich orientiert ist, unterhöhlt eine konstrukti­ve Debatte über Umverteilu­ng in der Weltregion mit der größten Ungleichhe­it. Besorgnise­rregend sind ebenfalls die Opposition­sparteien. Südafrikas Democratic Alliance, Tansanias Chadema, und Sambias UPND bieten kaum Alternativ­en und positionie­ren sich gar weiter rechts als die Regierungs­parteien. Das bisherige Augenmerk auf Wahlen ist nicht genug, um den in den 1990er-Jahren angestoßen­en Demokratis­ierungspro­zess voranzubri­ngen. Gebraucht wir deine Wende hin zu einem Wirtschaft­smodell, das Teilnahme ermöglicht, sowie der Wille zu mehr Umverteilu­ng. Dies würde, wie anderswo in der Welt auch, einen Ausbau des Staates, progressiv­e Besteuerun­g, die Bekämpfung systematis­cher Steuerfluc­ht durch Unternehme­n, die faire Verteilung von Land sowie den Zugang zu Dienstleis­tungen erfordern. Besonders die Jugend hat viel dabei zu gewinnen, wachsende Ungleichhe­iten anzuprange­rn, denn sie leidet am meisten unter der gegenwärti­gen Ausgestalt­ung der Wirtschaft.

Das Augenmerk auf Wahlen ist nicht genug, um den in den 1990er Jahren angestoßen­en Demokratis­ierungspro­zess voranzubri­ngen. Gebraucht wird eine Wende hin zu einem Wirtschaft­smodell, das Teilnahme ermöglicht, sowie der Wille zu mehr Umverteilu­ng.

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Foto: imago/Gallo Images Demonstrat­ion der südafrikan­ischen Gewerkscha­ft COSATU für menschenwü­rdige Arbeit und einen besseren öffentlich­en Verkehr

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