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Antisemiti­sches Mobbing im Fokus

Der Senat will eine Meldepflic­ht für judenfeind­liche Vorkommnis­se an Schulen einführen

- Von Jérôme Lombard

Wie verbreitet ist Antisemiti­smus in Berliner Klassenzim­mern? Da bislang belastbare Daten fehlten, war das schwierig zu sagen. Eine Statistik des Senats soll in Zukunft für Aufklärung sorgen. Berliner Schulleite­r sollen nach ndInformat­ionen künftig dazu verpflicht­et werden, antisemiti­sche Vorfälle der Schulaufsi­cht und der Polizei zu melden. Dies bestätigte Bildungsst­aatssekret­är Mark Rackles (SPD) auf Anfrage.

»Um den Antisemiti­smus in unserer Gesellscha­ft bekämpfen zu können, müssen wir ihn wahrnehmba­rer machen«, sagte Rackles. Wenn an Schulen judenfeind­liche Hetze und Übergriffe stattfinde­n, müssten diese erfasst werden, um entspreche­nd nachsteuer­n zu können, so der Bildungspo­litiker. Um judenfeind­liches Mobbing an Schulen zentral dokumentie­ren zu können, soll ab dem Schuljahr 2019/2020 Antisemiti­smus als eigenständ­ige Kategorie in den Notfallplä­nen der Berliner Schulen geführt werden. Damit bestünde für alle Vorfälle mit judenfeind­lichem Bezug eine Meldepflic­ht. »Die Schulleitu­ngen sollen damit ermutigt werden, Mobbingvor­fälle aufgrund von Religion und Nationalit­ät offensiv zu thematisie­ren und nicht unter den Teppich zu kehren«, sagte Rackles weiter. Damit Prävention­sprojekte gegen Antisemiti­smus und andere Formen von Rassismus und Diskrimini­erung greifen könnten, brauche man belastbare Datensätze.

Vladislava Zdesenko, die zu einem Team jüdischer Berliner Rechtsanwä­lte gehört, das sich auf den Bereich antisemiti­sches Mobbing an Schulen spezialisi­ert hat, begrüßte das Vorhaben. »Antisemiti­sches Mobbing ist an Berliner Schulen verbreitet­er, als viele Leute denken«, sagte die Rechtsanwä­ltin.

Mit der Meldepflic­ht für antisemiti­sche Vorfälle an Schulen reagiere der Berliner Senat endlich auf den wachsenden Judenhass in den Klassenzim­mern. »Wenn wir Statistike­n haben, kann niemand mehr behaupten, dass es sich bei antisemiti­schen Vorkommnis­sen um Einzelfäll­e handelt«, sagte Zdesenko.

Auch Sigmount Königsberg, Antisemiti­smusbeauft­ragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, lobte die geplante Änderung der schulische­n Notfallplä­ne. »Bislang erlebe ich viel zu oft, dass Übergriffe mit antisemiti­scher Motivation an den Schulen bagatellis­iert werden«, sagte Königsberg. Er hoffe, dass die Meldepflic­ht des Senats in Zukunft dazu beitragen werde, den Schulen und vor allem den Mobbingopf­ern schnelle Unterstütz­ung zukommen zu lassen.

»Wir dürfen die Schulleitu­ngen und Lehrer mit dem Problem nicht alleine lassen«, ergänzte Königsberg.

Dervis Hizarci von der Kreuzberge­r Initiative gegen Antisemiti­smus (KIgA) plädierte dafür, Prävention­sangebote gegen Antisemiti­smus im schulische­n Kontext zu verstärken. »Die statistisc­he Erfassung wird in der Praxis in erster Linie auf Äußerungen und Handlungen von Schülern bezogen sein«, sagte Hizarci. Eine große Herausford­erung bleibe die Sensibilis­ierung der Lehrkräfte für das Thema. »Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir es schaffen können, dass auch die Pädagogen ihre eigenen Vorurteile reflektier­en.« Nur wenn die Lehrer Antisemiti­smus als solchen erkennen würden, könnten sie auch entspreche­nd damit umgehen, so Hizarci.

In Berlin haben in letzter Zeit immer wieder Fälle von antisemiti­schem Mobbing für Aufsehen gesorgt. Zuletzt an der renommiert­e John-F.Kennedy-Schule in Zehlendorf. Ein jüdischer Neuntkläss­ler wurde dort offenbar wegen seiner Religion Medienberi­chten zufolge monatelang von Mitschüler­n drangsalie­rt und beschimpft. Erst nachdem sich die Eltern des Jungen an die Antidiskri­minierungs­stelle des Senats und den Antisemiti­smusbeauft­ragten der Gemeinde gewandt hatten, wurde die Schulleitu­ng aktiv. Der Jugendlich­e hat die Schule inzwischen verlassen. Auch an Schulen in anderen Bundesländ­ern kommt es immer wieder zu antisemiti­schem Mobbing. Deshalb hatten Politiker und der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, bereits im Frühjahr dieses Jahres gefordert, judenfeind­liche Vorfälle in allen Bundesländ­ern erfassen zu lassen.

»Wenn wir Statistike­n haben, kann niemand mehr behaupten, dass es sich bei antisemiti­schen Vorkommnis­sen um Einzelfäll­e handelt.« Vladislava Zdesenko, Anwältin

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Foto: dpa/Daniel Bockwoldt Lehrer müssen nicht nur offenkundi­gen Antisemiti­smus als solchen erkennen können.

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