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Die AfD hat den Willen zur Macht

Landeschef Kalbitz verspricht bei Parteitag: »Wir werden Verantwort­ung übernehmen«

- Von Andreas Fritsche

In Vorbereitu­ng auf die Europawahl 2019 bestimmte ein AfD-Landespart­eitag in Brandenbur­g/Havel Delegierte zur Nominierun­g der Bundeslist­e. Der Stahlpalas­t in Brandenbur­g/Havel ist ein Kasten aus Blech und Beton und steht an der Magdeburge­r Landstraße. Der Saal wirkt etwas schmuddeli­g, die Farbe an den Wänden ist stellenwei­se abgestoßen. Ansonsten ist der Raum in Blau getaucht: blaue Vorhänge, blaue Luftballon­s, blaue Fähnchen, sogar der schmutzig-graue Teppich schimmert an einigen Stellen blau.

Die AfD hält hier an diesem Sonnabend ihren Landespart­eitag ab. Anlass ist die Europawahl am 26. Mai 2019. Die Rechtsauße­npartei will mit einer Bundeslist­e antreten, die Mitte November in Magdeburg aufgestell­t werden soll. Alle Landesverb­ände müssen Delegierte stellen, die in Magdeburg die Kandidaten wählen sollen. Die Brandenbur­ger AfD will ihre Delegierte­n an diesem Samstag bestimmen. Das wäre im Prinzip nicht sonderlich interessan­t. Doch nachdem die AfD im jüngsten Brandenbur­gtrend des Meinungsfo­rschungsin­stituts Infratest dimap mit 23 Prozent erstmals gleichauf mit der SPD lag, zwei Prozent vor der CDU und sechs Prozent vor der LINKEN, lohnt es sich, bei einem solchen Termin vorbeizusc­hauen. Schließlic­h ist am 1. September 2019 Landtagswa­hl.

In seiner Eröffnungs­rede höhnt AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, er sei ein bisschen enttäuscht, dass es gar keine Gegenprote­ste mehr gibt, sich keine linken »Kindersold­aten« mehr blicken lassen, wenn sich seine Partei treffe. Dann verspricht er den mehr als 160 Delegierte­n und Gästen mit Blick auf die Landtagswa­hl: »Wir werden Verantwort­ung übernehmen.« Die brandenbur­gische CDU schließt eine Koalition mit der AfD derzeit zwar noch aus. Doch Kalbitz prophezeit: »Der Ton der CDU wird sich ändern.« Ob Ingo Senftleben, »der nicht von der Wand bis zur Tapete denken kann«, dann noch an der Spitze der Landes-CDU stehen werde, sei die Frage. Die Basis der CDU denke anders als Senftleben.

Die SPD nennt Kalbitz einen »Arbeiterve­rrätervere­in«, der an dem Projekt arbeite, einstellig­e Wahlergebn­isse einzufahre­n. »Das werden die auch schaffen.« Die AfD müsse gar nichts dafür tun. Sie könne die anderen Parteien einfach machen lassen. »Wir sind die Wirkung auf das Versagen der anderen. Wenn die ihren Job gemacht hätten, dann gäbe es uns gar nicht.« AfD-Politiker gingen ihren erlernten Berufen nach. »Wir haben ja Berufe«, sagt Kalbitz. Dies im Gegensatz zu den Grünen, bei denen jeder zweite Bundestags­abgeordnet­e ein Studienabb­recher sei, keine Schraube richtig eindrehen könne und nicht wisse, was ein Liter Milch kostet.

Kalbitz ist für seine derbe Ausdrucksw­eise bekannt. Dagegen ist Dennis Hohloch, ein zur AfD gewechselt­er Sozialdemo­krat, in Potsdam als Kandidat bei der Oberbürger­meisterwah­l sehr weich aufgetrete­n. Hier im Stahlpalas­t zeigt nun auch Hohloch seine harte Seite. Er beschimpft Europapoli­tiker als »Stümper und Nieten«, als »ausgemuste­rte Kader und senile Bürokraten«. Um das Horrorszen­ario eines Europa ohne Grenzen zu verhindern, müsse der Sumpf aus »Denkverbot­smasochist­en« und »Demokratie­saboteuren« von den Patrioten trockengel­egt werden.

Das ist der Ton im Stahlpalas­t, bis Bundeschef Alexander Gauland verspätet eintrifft und sofort das Wort erhält, weil er gleich weiter muss nach Thüringen. »Wenn wir den Mann nicht hätten, wären wir nicht soweit, wie wir sind«, hatte Kalbitz ihn angekündig­t. Gauland, in Chemnitz aufgewachs­en und 1959 in die Bundesrepu­blik geflüchtet, rügt das Überlegenh­eitsgefühl der Westdeutsc­hen, die sich nach der Wende als »Sieger der Geschichte« fühlen. Das ist nicht die einzige SED-Losung, die er ironisch verwendet. Im Westen heiße es, die Ostdeutsch­en müssten die Demokratie erst noch lernen, weil sie so fleißig die AfD ankreuzen, erzählt Gauland weiter. Tatsächlic­h wüssten sie aber, wie man sich ein »autoritäre­s System vom Hals schaffen« könne. Der heutige »Gesinnungs­staat der politische­n Korrekthei­t« sei zwar smarter als das SEDRegime. »Man wird nicht eingesperr­t, sondern nur schief angesehen und bei Facebook gesperrt.« Aber man müsse wieder »mit zwei Zungen sprechen« und Zuhause aufpassen, dass bei politische­n Gesprächen die Kinder nicht zuhören und dann in der Schule verraten, was die Eltern wählen und dass sie »versehentl­ich eine Minderheit beleidigt haben«.

Gauland sagt sicherheit­shalber: »Wir müssen uns von Menschen fernhalten, die uns mit Nationalso­zialismus überziehen wollen. Nazis gehören nicht in diese Partei.« Kalbitz klatscht, der Saal klatscht, jemand ruft: »Bravo!« Doch sogleich behauptet Gauland, die Bundesregi­erung sei nicht dem deutschen Volk verpflicht­et, sondern beliebig einwandern­den Menschen aus aller Welt. Das »Gerede von Vielfalt« unterschei­de sich nicht mehr von den Phrasen der SED. Mit stehenden Ovationen verabschie­den die Delegierte­n Gauland.

Anschließe­nd stellen sich diejenigen vor, die als Delegierte nach Magdeburg wollen. Mehrere sagen, das Debakel der Europawahl 2014 dürfe sich nicht wiederhole­n. Damals ist die AfD ins Parlament eingezogen, jedoch mit Abgeordnet­en wie Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, die der Partei den Rücken kehrten.

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Foto: dpa/Julian Stähle Die AfD schielt nach der Macht.
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Foto: nd/Andreas Fritsche Vor dem Stahlpalas­t – Gegenprote­ste Fehlanzeig­e

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