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Guten Übermorgen!

Einfach wursten: Das war die 70. Buchmesse in Frankfurt am Main

- Von Christof Meueler

Am liebsten würde man zu Hause auf dem Sofa liegen und ein Buch lesen. Auf der Buchmesse wird nicht gelesen, dafür ist es viel zu heiß. »Entweder schwitzt man oder man wird angeschwit­zt«, sagt Jörg Sundermeie­r, der Verleger des Verbrecher-Verlags. Sein Jackett muss man sich runterreiß­en wie Superman in der Telefonzel­le, sonst kann man nicht weitermach­en. Oder man verpackt sich vollständi­g in Plastik, um als Cosplayer unterwegs zu sein. Am besten auf dem riesigen Hof der Buchmesse, wo es noch heißer ist, im Spätestsom­mer mitten im Oktober. Da läuft man zwischen der Senfpumpe am Wurstimbis­s und dem Crêpe-Stand mit ARDFahne, der ein hübsches Motto hat: »Heute mach ich was für Bauch, Beine und Po: Crêpes mit Nutella«.

Dieser kontrafakt­ische Humor ist typisch für die 70. Buchmesse in Frankfurt. Dietrich zu Klampen vom gleichnami­gen Verlag meint: »Das gehobene Sachbuch verkauft sich schlecht«. Kalender sind dagegen der Renner am Wochenende, an den sogenannte­n Publikumst­agen. Das ist also mal ein Printprodu­kt, das nicht in seiner Existenz gefährdet ist. »Guten Übermorgen« steht auch auf den offizielle­n Plakaten der Frankfurte­r Messe. Monika Grütters, die Kulturbeau­ftragte der Bundesregi­erung von der CDU, schlendert über die Messe und verspricht den schwächeln­den Verlagen eine Million Euro Förderung. Klingt nach viel, ist aber wenig. In Österreich und in der Schweiz werden Bücher längst vom Staat subvention­iert.

Hierzuland­e freuen sich Verlage auch über eine kostenlose Viertelsei­ten-Anzeige im »Freitag«, einen Aufenthalt im Tessin oder einen GratisStan­d auf der Frankfurte­r oder der Leipziger Messe. Das sind die Preise für die »Hotlist der unabhängig­en Verlage«, deren Vergabe eine Party auf der Messe ist. Tatsächlic­h wird vom ersten Lied an getanzt – das passiert äußerst selten. Das Lied ist »Le Freak« von Chic, ein Klassiker. Vorher geht der Hauptpreis der Hotlist (5000 Euro) an den Berliner Elfenbein-Verlag für »Manapouri« von Marcel Schwob. Ursprüngli­ch sollte es eine Biographie über den französisc­hen Schriftste­ller (1867-1905) werden, doch dann war dessen Bericht über eine beschwerli­che Südseereis­e eindrucksv­oller: Schwob möchte in Samoa das Grab von Robert Louis Stevenson (»Die Schatzinse­l«) besuchen und kommt dabei fast um.

Ein Druckkoste­nzuschuss über 4000 Euro, sozusagen der zweite Preis der Buch-Indies, bekommt der Verbrecher-Verlag, für den Roman »Nichts, was uns passiert« von Bettina Wilpert, die daraus auch an den Ständen von »nd« und der Rosa Luxemburg Stiftung vorgetrage­n hat. Handlung: Anna sagt, sie wurde vergewalti­gt. Jonas meint, es sei einvernehm­licher Sex gewesen. Als das Manuskript fertig war, begann die »#MeToo«-Debatte, sagt Wilpert. Kristine Listau von Verbrecher findet das Buch hervorrage­nd, »nicht weil es die Einzelnen anklagt, sondern die Gesellscha­ft«.

Als Gesellscha­ft versucht sich auch Georgien, das Gastland der diesjährig­en Messe, zu präsentier­en. Ästhetizis­tisch-mystisch, so wie man es halt so macht, wenn es unpolitisc­h sein soll. In einer Halle gibt es das georgische Alphabet in formschön gewundenen Holzbauten mit eingelasse­nen Kurzinfos über Schriftste­ller. Und einen »Hub of Emotions« in einer Ecke, in der Töne zu hören sind, die aus dem georgische­n Alphabet gesampelt und bearbeitet wurden, sie sollen durch die Bewegungen der Besucher verändert werden. Es brummt und summt, ohne dass das irgendjema­nden kratzt. Wo ist eigentlich Stalin, der berühmtest­e Georgier? An dessen Tod 1953 erinnert sich der »Tauwetter«-Dichter Besik Kharanauli, Jahrgang 1939, von dem gerade im Verlag J & D Dagyeli ein Gedichtban­d erschienen ist: »Auch die Gänse auf der Wiese sollten traurig ein. Ich bin nur in einen Laden gegangen und habe eine Zigarette geraucht«.

Viel Pathos wird auch bei der Verkündung des Literaturn­obelpreise­s erwartet. Der Termin fällt traditione­ll in die Zeit der Messe, doch für 2018 wurde der Preis abgesagt, da die Schwedisch­e Akademie moralisch bankrott ist. Ersatzweis­e verleiht eine »New Academy« aus Stockholm einen »Alternativ­en Literaturn­obelpreis« und zwar an Maryse Condé aus Guadeloupe, deren Bücher u.a. im Züricher Unionsverl­ag erschienen sind.

Abgemeldet­er als sonst sind dieses Jahr auch die rechten Verlage. »Junge Freiheit«, Manuscript­um und die Zeitschrif­t »Tumult« wurden von der Messe in einer Sackgasse isoliert. Nach der »Jungen Freiheit« geht es nicht weiter. Als Björn Höcke kommt, stellt die Polizei die Rolltreppe­n und Aufzüge für diesen Bereich ab. Das ist früher nicht passiert, als Helmut Kohl noch durch die Messe walzte. Doch der AfD-Politiker betritt die Halle durch die Hintertür und liest aus einem Interviewb­and, der bei Manuscript­um erschienen ist. Einzig Martin Sonneborn von Die Partei will sich ihm in den Weg stellen, in Naziunifor­m verkleidet als Graf von Stauffenbe­rg, der Hitleratte­ntäter von 1944. Doch Sonneborn wird nicht eingelasse­n, viele Journalist­en übrigens auch nicht.

Bestürzend­er ist allerdings, dass die Rechten nun ebenfalls als Spaßgueril­la auftreten. Auf der Messe reüssiert Götz Kubitschek mit Dadaismus von rechts. Weil er mit seinem Antaios-Verlag nicht in die langweilig­e Sackgasse der rechten Medien gesteckt werden wollte, ist er mit einem einen neuen Verlag aufgetauch­t – schräg gegenüber von der »taz« und der Lesebühne der unabhängig­en Verlage. Der Verlag heißt »Loci« und gehört offiziell einem Zahnarzt und AfD-Mitglied. Präsentier­t werden vier Bücher, die angeblich demnächst erscheinen sollen, für einen Preis von 19 Euro 18 mit jeweils 124 Seiten. Ein Zahlensche­rz: Am 12.4.1918 wurde in Berlin das »Dadaistisc­he Manifest« von Richard Huelsenbec­k verlesen, »verbissen in den Intellekt der Zeit, blutend an Händen und Herzen«, wie es darin hieß. Zu den »Loci«-Dummys gehört auch eine »Homestory« über Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza, Untertitel: »Selbstinsz­enierung als Strategie« – die beherrsche­n die beiden wie sonst kaum jemand von den Rechten.

Solcherlei Rechtsdada­ismus ist neu. Doch die rechtsradi­kalen Traditiona­listen werden weiterhin bedient, etwa wenn der Rechtskath­olizismus vom Ludwig Stocker Verlag aus Graz propagiert wird. Für den Partikular­ismus und gegen den Universali­smus und die Barmherzig­keit, die Kirchen heute vertreten würden – »als späte Antwort auf 1968«, wie Volker Münz, der »kirchenpol­itische Sprecher der AfD« meint, als er das Buch »Rechtes Christentu­m?« vorstellt, zusammen mit Autoren von Antaios. Bei Stocker stehen die Rechten zwischen Büchern wie »Schnuffelt­ücher und Kuscheltie­re häkeln«, »Berghirsch­e ansprechen« oder »Einfach wursten«.

Auch Höcke kann für seine Lächerlich­keit selber sorgen, wenn er sich bei seiner Lesung unter Polizeisch­utz zum reinsten »Demokraten und Humanisten« überhaupt erklären lässt und dabei an die Decke blickt, als sehe er einen Heiligensc­hein. Das hat etwas Bizarres und Komisches, doch das merken seine Anhänger nicht. Sie wollen peinlich sein, offensiv, aufgeregt, ohne alle Ironie – und gefährlich.

Mein anrührends­ter Messemomen­t aber steht für den Frieden. Freitagnac­ht ist es sehr warm und ich reibe mir gegen 23.30 Uhr die Augen auf einer Brücke: Da sitzt unten am Main jemand unter einer Straßenlat­erne auf einer Decke neben seinem Fahrrad und liest ein Buch.

Als Gesellscha­ft versucht sich auch Georgien, das Gastland der diesjährig­en Messe, zu präsentier­en. Ästhetizis­tisch-mystisch, so wie man es halt so macht, wenn es unpolitisc­h sein soll.

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Foto: dpa/Arne Dedert Mit Augenklapp­e gegen Rechtsdada­ismus: Martin Sonneborn von Die Partei als Hitleratte­ntäter Graf von Stauffenbe­rg.

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