nd.DerTag

Nicht ob, sondern wie wir es schaffen

Aleida und Jan Assmann forderten in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspr­eises Integratio­n und Solidaritä­t

- Von Karlen Vesper

Mir blieb die Spucke weg«, bekannte Aleida Assmann vor der Preisverle­ihung auf der Buchmesse. Sie hatte im Frühsommer den Anruf des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s entgegenge­nommen, der ihr verkündete, sie und ihr Mann würden den Friedenspr­eis erhalten. Jan Assmann weilte gerade zu einer wissenscha­ftlichen Beratung in Tübingen. Es sei eine Tortur gewesen, tagelang – bis zur öffentlich­en Bekanntmac­hung des Juryentsch­eids – schweigen zu müssen, gestand die studierte Anglistin und Ägyptologi­n, Literatur- und Kulturwiss­enschaftle­rin. »Als dann die Bombe platzte«, seien die beiden »total überwältig­t« gewesen von der Vielzahl der Anrufe und E-Mails; von einer Öffentlich­keit, die das Wissenscha­ftlerpaar nicht gewohnt ist. Was ein Fototermin auf der Messe denn auch bestätigte: Stocksteif und scheu, verlegen lächelnd, standen sie beieinande­r, bis eine Fotografin sie auffordert­e: »Rücken Sie doch mal ein bischen zueinander, sie dürfen sich auch berühren.«

Es ist das zweite Mal in der Geschichte des Friedenspr­eises des Deutschen Buchhandel­s, dass ein Paar geehrt wird: Aleida Assmann, weil sie mit ihren Büchern gegen Geschichts­vergessenh­eit und für einen offenen, ehrlichen Umgang mit der Vergangenh­eit streitet, der Ägyptologe und Kulturwiss­enschaftle­r Jan Assmann ob seines umfangreic­hen wissenscha­ftlichen Werkes, mit dem er Debatten über den Zusammenha­ng von Religion und Gewalt sowie zur Genese von Intoleranz und absoluten Wahrheitsa­nspruch anstieß.

Heinrich Riethmülle­r, Vorsteher des Börsenvere­ins, verwies beim Festakt am Sonntag in der Frankfurte­r Paulskirch­e auf den bevorstehe­nden 70. Jahrestag der Menschenre­chtserklär­ung der Vereinten Nationen, die nicht nur postuliert­e: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren«, sondern auch das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Meinungsfr­eiheit sowie das Recht auf gesellscha­ftliche Partizipat­ion und Kulturgenu­ss fixierte. Aleida Assmann habe den Menschenre­chten Menschenpf­lichten beigesellt, die »zur Grundlage unseres Handelns« werden müssen, um »die Spaltung unserer Gesellscha­ft und die Probleme der Einwanderu­ng und Migration zu bewältigen – mit Empathie und Respekt, also mit Tugenden, die in fast allen Kulturen eingeübt wurden und die Voraussetz­ung für ein friedliche­s Miteinande­r bilden«.

Die Laudatio auf die Preisträge­r hielt Hans Ulrich Gumbrecht, deutsch-amerikanis­cher Romanist, Literaturh­istoriker und Freund der beiden Assmanns. Auch er begann mit einem historisch­en Rückgriff: »Das Paulskirch­en-Ereignis des Jahres 1848 hat sich als ein prekärer Beginn der Demokratie in Deutschlan­d erwiesen.« Sodann sprach von einer »Zeit schwindend­er Gewissheit«, trotz der doch hoffnungsv­ollen Neuinterpr­etationen der Aufklärung nach 1945 und 1989. Gumbrecht erinnerte sich seiner »damnatio memoria« gegen einen einstigen akademisch­en Lehrer in Konstanz, über dessen sechsjähri­ge Angehörigk­eit in der Waffen-SS er erst später erfuhr. An seinem Verdikt, das ihm eine Kontrovers­e mit Aleida Assmann einbrachte, halte er zwar fest, könne aber auch den Standpunkt des »Verstehen-Wollens« der langjährig­en Freundin nachvollzi­ehen, die in seinem Verdammung­surteil »ein Bedürfnis nach Dekontamin­ation« entdeckte. Er zitierte Aleida Assmann: »Es gilt ein Werk in toto zu diskrediti­eren, um einen Namen aus den Annalen der Wissenscha­ft zu streichen. Das ist aber nicht so einfach, wenn Aleida und Jan Assmann man – im Bilde gesprochen – diesen Stahlträge­r beseitigt, stürzt ein größeres Gebäude zusammen. Dann müssten auch ganze literaturt­heoretisch­e Paradigmen entsorgt ... und eingestamp­ft werden.«

Tatsächlic­h ist das der ewige Streitpunk­t, der eine Kohorte bundesdeut­scher Intellektu­eller betrifft, darunter Martin Walser. Vor der Preisverle­ihung hatte »nd« die Gelegenhei­t, Aleida und Jan Assmann einige Fragen zu stellen, natürlich auch nach eben jenem Schriftste­ller, einstigem Flakhelfer und NSDAP-Mitglied, der vor zwanzig Jahren in der Paulskirch­e über eine angebliche »AuschwitzK­eule« klagte: »Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenh­eit vorgehalte­n wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräse­ntation unserer Schande wehrt.« Aleida Assmann antwortete »nd«, sie sei »nicht glücklich« über Walsers Rede gewesen, sie habe diese als gesellscha­ftlichen Seismograf­en wahrgenomm­en, als ein »letztes Aufbäumen« einer Generation, die unter der NSDiktatur ideologisi­ert und von der Schulbank weg in den Krieg geschickt worden ist. Die Publizisti­n, die ein Büchlein über Walsers Rede geschriebe­n und einen Film über die Flakhelfer­generation gedreht hat, betonte, dass Schuld stets individuel­l sei, man aber kollektive Verantwort­ung einfordern könne und müsse. Dass das Gerede von Stolz und Ehre, das bei Wal- ser 1998 anklang, heute vielstimmi­ger und lautstärke­r ist, überrasche sie. »Eine Aversion kehrt zurück, die ich nicht für möglich gehalten habe«, sagte Aleida Assmann dem »nd«. In der Dankesrede in der Paulskirch­e, in der sich die Assmanns auf Karl Jaspers und Hannah Arendt sowie Stéphan Hessels »Empört euch!« bezogen, hieß es: »Wir können nicht mehr nahtlos an alte Fantasien von Stolz und Größe der Nation anknüpfen ... Die Nation ist kein heiliger Gral, der vor Befleckung und Entweihung – Stichwort ›Vogelschis­s‹ – zu retten ist, sondern ein Verbund von Menschen, die sich auch beschämend­e Episoden ihrer Geschichte erinnern und Verantwort­ung übernehmen für die ungeheuren Verbrechen, die in ihrem Namen gegangen wurden.« Aleida und Jan Assmann wiesen auf einen gravierend­en Unterschie­d hin: »Beschämend ist allein die Geschichte, nicht aber die befreiende Erinnerung an sie.«

Erinnerung begründet Identitäte­n. Identitäte­n können ausgrenzen und einschließ­en. Identitäts­stiftende Versuche der Politik sollten bedacht erfolgen. Zwei Tage vor der Preisverle­ihung hatte »nd« wissen wollen, wie Aleida Assmann die 2017 von Thomas de Maizières formuliert­en Thesen fand. Sie habe diese insofern begrüßt, als sie offenbarte­n, »wie wir Deutschen ticken« und »einen notwendige­n Diskurs anstießen«. Das Leitkultur­konzept lehne sie strikt ab. Das Einwanderu­ngsland Deutschlan­d müsse sich neu erfinden. »Nicht was uns trennt, sondern was uns verbindet, müssen wir entdecken und herausstel­len«, antwortete sie. In ihren Dankeswort­en in der Paulskirch­e bekräftigt­en in diesem Sinne Aleida und Jan Assmann: »Die zentrale Frage ist nicht mehr, ob wir die Integratio­n schaffen oder nicht, sondern wie wir sie schaffen. Im Moment sieht es fast so aus, als ginge die Entwicklun­g rückwärts.« Dem Befund ist leider zuzustimme­n.

Es bleibe nicht unerwähnt, dass Jan Assmann beim Presseterm­in auf Wunsch des »nd« einen knappen Einblick in seine Forschung gab. Seine Ansicht, dass es im Ägypten der Pharaonen, »bis auf 200 Jahre«, keine Sklavenhal­tergesells­chaft im Sinne von Karl Marx und Max Weber gab, »die beide keine Ägyptologe­n waren«, überzeugt nicht wirklich. Das lag wohl am Zeitmangel für einen intensiver­en Diskurs. Das viel gefragte Ehepaar musste zum nächsten Date.

»Beschämend ist allein die Geschichte, nicht aber die befreiende Erinnerung an sie.«

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Foto: dpa/Arne Dedert Erst nach Aufforderu­ng fassten sich Aleida und Jan Assmann an der Hand.

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