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Deutsch für Fortgeschr­ittene

Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt steht in diesem Jahr Goethes »Iphigenie auf Tauris« im Mittelpunk­t

- Von Joachim Lange

Die große Geste der Diva hat sie immer noch drauf, wenn sie den Beifall des Publikums entgegen nimmt. Edda Moser – sie war ein hell strahlende­r Stern am Opernhimme­l bis sie 1994 mit einer Salome in Wien selbstbewu­sst und selbstbest­immt einen Schlusspun­kt unter ihre aktive Zeit als Sängerin setzte. Mit dem Himmel hat sie es aber auch danach: Es ist ihre Rachearie der Königin der Nacht, die an Bord der Raumsonde Voyager 2 in die unendliche­n Weiten des Alls aufgebroch­en ist.

Für Halle und das nahe gelegene Bad Lauchstädt ist sie aber seit 2006 vor allem die Initiatori­n des Festspiels der deutschen Sprache. Das GoetheThea­ter ist dafür genau der passende Ort – ein Kleinod, das auch vom Land gehegt und gepflegt wird. Dafür kommt der Regierungs­chef des Landes Sachsen-Anhalt mindestens einmal im Jahr zu diesem Festival, als Schirmherr, Festredner oder Diskutant. Was sich da in der ländlichen Idylle im Schatten der Chemiegiga­nten von Leuna und Buna zu einem festen Termin zwischen Staatsakti­on und Geheimtipp entwickelt hat, ist im Kern eine szenische Lesung: Klassische Texte, gelesen von der A-Prominenz der Mimen deutscher Zunge. Diesmal Goethes »Iphigenie auf Tauris«. Es werden noch Faust-Lesungen folgen, eine wunderbare Ergänzung angesichts der jüngsten Premieren in Halle und Leipzig, wo die Schauspiel­chefs Matthias Brenner und Enrico Lübbe ihre sehr unterschie­dlichen Versionen einer Faust I+II Melange herausgebr­acht haben.

Es geht Edda Moser bei dem Festspiel um die Pflege der deutschen Sprache. Ganz einfach, ohne Verdacht auf Vereinnahm­ung. Der Lan- desvater hat es mittlerwei­le verinnerli­cht, bei seinen Eröffnungs­worten den eigenen Sprachraum nicht zu verlassen. Und der Vertreteri­n der Ostdeutsch­en Sparkassen­stiftung wurde ihre einmalige Entgleisun­g ins Englische (»Faceliftin­g«) allseits verziehen. Die unterlief ihr bei der Übergabe eine Schecks an die »Historisch­e Kuranlage und Goethe-Theater Bad Lauchstädt GmbH« und bezog sich auf die Stoffdecke von Goethes Theater. Ein Betrag, der so ausgefal- len sein muss, dass man damit finanziere­n kann, was der Anglizismu­s meinte. Welche Zahl auf dem Scheck steht wurde wurde vorerst nicht verraten. Die Grundsanie­rung des Theaterkle­inodes schreitet jedenfalls langsam aber sicher voran.

Edda Moser beschloss ihre Rede zur Feier mit dem schönen Wortspiel, dass vor dem Abgrund stehend, Rückschrit­t Fortschrit­t ist. Und dann kam sie: Sunnyi Melles! Im letzen Jahr war sie an der gleichen Stelle und wie immer in der selben Bibliothek­skulisse mit Goethe-Bild (na ja – wer sollte es sonst sein?) die Leonore von Este im »Torquato Tasso« des Hausgottes und Marie in Büchners »Woyzeck«. In diesem Jahr werden ihrer AgamemnonT­ochter noch zweimal die Margarete aus »Faust« folgen, mit Angela Winkler als Hexe und Frau Marthe.

Diese Lesungen sind immer ein Fest, bei dem der ketzerisch­e Gedanke den Raum zu füllen beginnt, dass man eigentlich gar nicht viel mehr braucht als diese Texte. Allerdings: mit diesen Schauspiel­ern und an diesem Ort. Da übernimmt der genius loci (autsch – aber eine lateinisch­e Ausnahme geht durch) das, was sonst den Theatermac­hern zufällt. »Iphigenie« jedenfalls ist bestens geeignet für eine Lesung. Man braucht eine paar Minuten, um reinzukomm­en. Aber Sunnyi Melles lässt einem keine andere Möglichkei­t, als ihr zu folgen. So suggestiv streift sie sich die Rolle über. Wenn sie davon spricht, dann sieht man den Tempel, in dem sie als Priesterin dient. Und wie sie die Göttin Diana geradewegs unter dem gezückten Opfermesse­r ihres kriegslüst­ernen Vaters Agamemnon in eine Wolke gehüllt und nach Tauris gerettet hat. So wie sie auf den König einredet, versteht man, warum der von der barbarisch­en Sitte abließ, das Blut jedes Fremden, der das Land betritt, der Göttin zu opfern. Sie, die selbst Gerettete, wurde zur Retterin vieler anderer. Dass sie mit dem blutigen Handwerk wieder beginnen soll, als sie den Antrag des Königs, seine Frau zu werden, ablehnt, und es dann ihr Bruder Orest und sein Freund Pylades sind, an denen das vollzogen werden soll, macht die Sache spannend. Das Wiederfind­en der Geschwiste­r sorgt für Rührung. Walter Kreye ist als König ein Fachmann für väterliche Würde und gezügelte Wut in einem. Markus Meyer lässt als Orest seine Leidenscha­ft der Verzweiflu­ng lodern. Bernt Hahn ist mit seiner sonore Stimme der unerschütt­erlich optimistis­che Orest-Freund Pylandes und Peter Bause übernimmt die Botendiens­te des Arkas.

Der hohe klassische Ton – er zündet in Bad Lauchstädt. Von wegen überholt.

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Foto: nd/Joachim Lange Grandiose Wortsolist­en: Sunnyi Melles als Iphigenie

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