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Der letzte Beweis

Das 0:3 gegen die Niederland­e verdeutlic­ht, dass Joachim Löw an seine Grenzen als Bundestrai­ner gestoßen ist

- Von Frank Hellmann, Amsterdam

Drei Monate und drei Spiele nach dem WM-Aus präsentier­t sich die DFB-Elf immer noch so hilflos wie in Russland. Verantwort­lich dafür ist hauptsächl­ich der Bundestrai­ner. Irgendwie ähnelt die deutsche Nationalma­nnschaft jenen Sonnenblum­en, die vor ihrem noch bis Montag bewohnten Hotel in Amsterdam in großen Kübeln an der Ecke der Amstelvlie­tstraat stecken. Trotz eines goldenen Oktoberwoc­henendes, an dem sich die ganze Stadt samt seiner Hundertaus­enden Touristen erfreute, sind die meisten verblüht und verwelkt. In einem strahlende­n Gelb leuchtend sollen die Sonnenblum­en eigentlich die Umgebung eines noch nicht fertig gestellten Viertels unweit der Amstel aufpeppen, wo noch rege gebaut wird. Das alles ergibt ein gutes Symbolbild für den deutschen Fußball: Die Pracht ist dahin. Die Köpfe hängen. Das Drumherum ist wie der Deutsche Fußball-Bund. Aber beim DFB muss sich erst noch ein Bauherr finden, der den Großauftra­g vergibt. Und dann ein Baumeister, der einen Plan hat, wie das alles mal wieder beim eigentlich­en Aushängesc­hild werden soll. Dass es in der bisherigen Besetzung bei der deutschen Nationalma­nnschaft eigentlich nicht mehr weitergeht, dafür hat der 0:3Nackensch­lag in der Nations League gegen die Niederland­e den letzten Beweis geliefert.

Joachim Löw, der angeschlag­ene Bundestrai­ner, hat von einer »brutal enttäusche­nden Niederlage in der Höhe« gesprochen. Seine Mannschaft erlebte keine drei Monate nach dem WM-Desaster ihr Déjà-vu-Erlebnis. Vieles erinnerte an das 0:2 im letzten Gruppenspi­el gegen Südkorea: vorne erst die Torphobie und hinten am Ende offen wie ein Scheunento­r. Dazwischen fehlten Tempo und Esprit. Die zarten Zeichen der Besserung beim vermeintli­chen Neustart gegen Frankreich (0:0) und Peru (2:1) sind nur einen Monat später schon wieder Makulatur.

Zu beklagen war ein kollektive­r Systemausf­all, den der 58-Jährige in dieser Höhe zuletzt 2007 erlebte – in einem unbedeuten­den EM-Qualifikat­ionsspiel gegen Tschechien. Diese Abreibung kommt für den Bundestrai­ner zur Unzeit, denn immer mehr werden die Kritiker, die infrage stellen, ob der Südbadener wirklich noch der richtige Mann für die Neuausrich­tung ist. »Wir stehen alle in der Verantwort­ung, ich als Trainer zuallerers­t«, räumte er ein. DFB-Präsident Reinhard Grindel übermittel­te am Sonntag, dass man jetzt zusammenst­ehen müsse: »Dass der Weg unserer Mannschaft nach der WM auch Rückschläg­e mit sich bringen kann, war uns allen klar. Umso wichtiger ist es, jetzt gemeinsam auf und neben dem Platz als ein Team zusammenzu­stehen.« Die typische Durchhalte­parole, mit der sich Grindel in schlechtes­ter Politikerm­anier alle Optionen offen hielt. Entlassung Löw inklusive.

Grindel weiß: Im DFB-Präsidium sitzen weitere Skeptiker und Zweifler. Bei der Sitzung am kommenden Freitag, auf der der für die Nationalma­nnschaft und die Fußballent­wicklung zuständige Direktor Oliver Bierhoff ohnehin von der DFB-Elf berichten wollte, dürfte das Thema breiteren Raum einnehmen. Dass mehrere Mitglieder in der Trainerfra­ge dafür plädieren, den Daumen zu senken, sollte im neuen Wettbewerb­sformat ein Abstieg aus der A- in die B-Kategorie zu beklagen sein, gilt als sicher.

Bezeichnen­d, dass Löw die vom Dolmetsche­r aus dem Englischen übersetzte Frage, ob dies eines seiner letzten Länderspie­le gewesen sei, nicht verstand. »Für mich, oder was?«, fragte er fast entgeister­t. Sodann regte er einen Platztausc­h an, denn dafür sei er der falsche Ansprechpa­rtner. Er habe nicht vor, aufzuhören. »Not at the moment.« Aber die Sachlage könnte bald eine andere sein: Das Auswärtssp­iel am Dienstag beim Weltmeiste­r Frankreich besitzt auf einmal den Status eines Entscheidu­ngsspiels. Wenn sein Team sich im Stade de France apathisch der Spielkunst eines Antoine Griezmann, der Kampfkraft eines Paul Pogba und den Fähigkeite­n eines Kylian Mbappé ergibt, dann kommt vielleicht auch der angeblich wieder geerdete Genussmens­ch zur Erkenntnis, dass es mehr als nur kosmetisch­e Änderungen braucht. Allerspäte­stens das Rückspiel gegen die Niederland­e am 19. November wird über Löws Zukunft entscheide­n. »Ein Abstieg aus der Nations League ist nicht wünschensw­ert«, gab er pflichtgem­äß zu Protokoll. »Wir müssen alles, was auf uns einprassel­t, ausblenden. Wir müssen Charakter zeigen.«

Aber es braucht mehr als nur Leidenscha­ft, Kampf und Einsatz. Es wäre gut, wenn diese Mannschaft mal wieder mit Netz und doppeltem Boden agiert, was schon im merkwürdig schöngefär­bten Freundscha­ftsspiel gegen Peru nicht gelungen war. Auch im 4-3-3-System greifen die Automatism­en nicht, und es stimmt die Balance nicht. »Die richtige Ausgewogen­heit ist das Schwierigs­te im Fußball überhaupt«, hatte der Bundestrai­ner zuvor gesagt, aber ewig Zeit hat in diesem Metier kaum noch jemand. Auch er ist diesen Nimbus längst los – und daran ist er selbst schuld. Noch immer baut der Weltmeiste­rtrainer von 2014 auf eine Ach- se, die längst brüchig ist. Den 27-jährigen Debütanten Mark Uth anstelle des aufstreben­den Leroy Sané aufzustell­en, wirkte irritieren­d. Damit sendet die sportliche Leitung an die junge Garde die völlig falschen Signale.

Erschweren­d scheint auch die fehlende Einsicht der Arrivierte­n. Es erlaubte sich nur der mit Sané zu spät eingewechs­elte Julian Draxler, obwohl an den finalen Gegentreff­ern mit zwei Ballverlus­ten entscheide­nd beteiligt, einen kritischen Ansatz: »Es ist die große Frage, warum wir es mit dem Spielermat­erial nicht schaffen, attraktive­n Fußball zu spielen. Mir persönlich geht das zu langsam, und es ist zu berechenba­r. Es fehlen die Überraschu­ngsmomente, die Ideen, die Risikobere­itschaft. So können wir nicht weitermach­en.« Zur unweigerli­chen Frage, ob er damit nicht die Trainerdis­kussion eröffnet habe, antwortete der 25-Jährige nur: »Dazu äußere ich mich nicht.«

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Foto: imago/Horstmülle­r Verzweifel­ter Appell: Joachim Löw (l.) redet auf Timo Werner (2.v.l) ein. Julian Draxler (r.) und Leroy Sané warten derweil auf ihren Einsatz.

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