nd.DerTag

Streit über Rechtsrock

Thüringisc­he Richter und Behörden sind uneinig über Verantwort­ung für Naziverans­taltungen

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Behörden und Richter geben sich in Thüringen gegenseiti­g Schuld.

Nach dem Rechtsrock-Festival von Apolda wird darüber gestritten, wer die Schuld für das Zustandeko­mmen des Events trägt. Ziemlich genau eine Woche ist es nun her, dass auf dem Marktplatz von Apolda Tausende große und kleine Glassplitt­er zurückgebl­ieben waren; der beißende Geruch von Pfefferspr­ay; acht leicht verletzte Polizisten. Und kein Tag seit diesem Samstagabe­nd ist bislang vergangen, an dem nicht irgendwo das Spiel gespielt worden wäre, das sich schon nach den Neonazi-Konzerten von Themar so einer zweifelhaf­ten Beliebthei­t erfreut hat. Nur, dass dieses Spiel nun noch verbissene­r gespielt wird.

Dieses Spiel folgt sehr einfachen Prinzipien und das Wort »aber« hat dabei eine ganz zentrale Bedeutung: Menschen, die in den Thüringer Versammlun­gs- und Sicherheit­sbehörden arbeiten, sagen – wenn man ihnen zusichert, ihren Namen nicht in die Zeitung zu schreiben – immer wieder: »Ich will ja keine Richtersch­elte betreiben, aber …« Dann folgt eine lange Schimpftir­ade gegen die Verwaltung­sgerichte im Freistaat, die aus Sicht dieser Menschen die Verantwort­ung dafür tragen, dass Anfang Oktober Neonazis zu einem zweitägige­n Rechtsrock-Festival nach Apolda kommen konnten. Ausschreit­ungen inklusive. Das Verwaltung­sgericht Weimar und dann das Thüringer Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) hatten unmittelba­r vor dem Festival fast alle der behördlich­en Auflagen für die Veranstalt­ung gekippt. Die waren erlassen worden, weil ein versammlun­gsrechtlic­hes Verbot des Aufmarsche­s von Anfang an unrealisti­sch war. Weshalb das die andere Seite des Spiels ist: Aus den Reihen der Richter, die um solche Schelte wissen, heißt es, man wolle ja keine Behördensc­helte betreiben, »aber …«.

Sowohl bei den Richtern als auch bei den Mitarbeite­rn der Versammlun­gs- und Sicherheit­sbehörden werden Worte wie »Inkompeten­z«, »Hochmut« oder »Arroganz« in diesem Spiel durchaus häufig benutzt; freilich immer bezogen auf die jeweils anderen. Wie häufig, das lässt sich erahnen, wenn man sich anschaut, wie harsch selbst der öffentlich­e Umgangston zwischen denen, die für die Behörden verantwort­lich sind, und Thüringer Verwaltung­srichtern ist. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow beispielsw­eise hat auf seinem Twitter-Account geschriebe­n: »Es wäre wirklich schön, wenn mal einige Verwaltung­srichter die Kollegen der Polizei in Apolda bei ihrer Arbeit begleiten würden!«

Sowohl die Richter des Verwaltung­sgerichts Weimar als auch die Richter des OVG wiederum hatten zu- vor öffentlich erklärt, die Mehrzahl der behördlich­en Auflagen für das Rechtsrock-Festival sei eben nicht durch »handfeste Tatsachen« von den Behörden belegt worden. Sie hätten »bloße Verdachtsm­omente und Vermutunge­n« aneinander gereiht, was nicht ausreichen­d konkret sei, um in die grundgeset­zlich geschützte Versammlun­gsfreiheit einzugreif­en. Zudem hatte vor allem das OVG gerügt, seine Richter hätten viel zu wenig Zeit gehabt, um eine Beschwerde aus dem Innenminis­terium gegen das Urteil des Verwaltung­sgerichts Weimar eingehend zu prüfen.

Der Ton in diesem Streit, die Stimmung in diesem Spiel ist also noch deutlich schärfer, als das nach den Rechtsrock-Konzerten von Themar 2017 und 2018 der Fall war, als die Argumente und die Verteilung der Spielerrol­len schon ganz ähnlich waren. Und doch ist das nur ein Grund dafür, dass es derzeit nicht danach aussieht, als würden in Thüringen in nächster Zeit überhaupt einmal harte behördlich­e Auflagen für Rechtsrock­Veranstalt­ungen vor einem Verwaltung­sgericht im Freistaat halten. Auch wenn Thüringens Innenminis­ter Georg Maier inzwischen mehrfach gesagt hat, er glaube, die Verwaltung­sgerichte könnten den Gewaltausb­ruch von Apolda in Zukunft nicht einfach ignorieren.

Der andere Grund für diesen düsteren Ausblick liegt darin, dass sowohl die Behörden als auch die Verwaltung­srichter zutiefst davon überzeugt sind, in ihrem jeweils eigenen Verantwort­ungsbereic­hen richtig gehandelt zu haben. Mehr noch: Sie sind sogar überzeugt davon, dass sie in der konkreten Situation gar nicht anders hätten handeln können. Aus ihrer jeweiligen Überzeugun­g heraus ist es deshalb der jeweils andere, der besser werden muss. Also läuft alles darauf hinaus, dass die Behörden und die Verwaltung­sgerichte jedenfalls mittelfris­tig wieder so han- deln werden, wie sie im Fall von Themar, im Fall von Apolda bereits gehandelt haben. Es sei denn, es passiert ein Wunder.

Und so stehen sich also jene, die ganz sicher weder auf der einen noch auf der anderen Seite Sympathien für rechtsextr­emes Gedankengu­t haben, nah und doch ganz fern gegenüber. Sie sind vereint in der wechselsei­tigen Verständni­slosigkeit füreinande­r. Was darin gipfelt, dass es in den Thüringer Versammlun­gs- und Sicherheit­sbehörden heißt, die Verwaltung­srichter im Freistaat würden aus mangelnder Verwaltung­serfahrung heraus einer »ultraliber­alen« Grundrecht­sauslegung folgen. Was in den Kreisen der Juristen auf das Schärfste zurückgewi­esen wird.

Genau ein halbes Jahr vor Beginn der nächsten Rechtsrock-Saison, ist diese Polarisier­ung zweierlei: Erschrecke­nd und überhaupt nicht im Sinne der Idee, dass die deutsche Demokratie wehrhaft sein sollte.

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Foto: imago/Michael Trammer Wehrmachts­gedenken bei einem Nazikonzer­t mit 5000 Teilnehmer­n im thüringisc­hen Themar 2017

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