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Welternähr­ung in Gefahr

UNO und Hilfsorgan­isationen fordern eine Stärkung der Landbevölk­erung

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Berlin. Die UN-Landwirtsc­haftsorgan­isation FAO hat anlässlich des Welternähr­ungstages am Dienstag an die Staaten appelliert, Fluchtursa­chen wirksamer zu bekämpfen. »Das Ziel muss sein, Migration zu einer Alternativ­e, nicht zu einer Notwendigk­eit zu machen«, erklärte FAO-Generaldir­ektor José Graziano da Silva am Montag in Rom. Zwänge zur Migration könnten mit Hilfe von Entwicklun­gs- und Landwirtsc­haftspolit­ik bekämpft werden, heißt es in einem FAO-Bericht. Investitio­nen in ländliche Gebiete, aus denen 80 Prozent der Migranten in Entwicklun­gsländern stammen, könnten Migrations­druck mindern.

Die Folgen der Erderwärmu­ng wie Dürre, Hitzewelle­n und Starkregen stellen eine wachsende Gefahr für die Welternähr­ung und die Landbevölk­erung in armen Ländern dar. Eine Stärkung der Landbevölk­erung auch aus Klimaschut­zgründen fordert dagegen die »Climate, Land, Ambition & Rights Alliance« in einer aktuellen Studie: »Agrarökolo­gische Ansätze in der Landwirtsc­haft, die natürliche Ressourcen und genetische Vielfalt schützen, bäuerliche Selbstbest­immung stärken und auf den Einsatz von fossilen Rohstoffen weitestgeh­end verzichten, sind der Schlüssel für nachhaltig­e und gerechte Ernährungs­systeme sowie ambi- tionierten Klimaschut­z« sagt Eike Zaumseil von der Hilfsorgan­isation Brot für die Welt.

Den seit 1979 jährlich begangenen Welternähr­ungstag nutzen indes auch Konzerne, um für ihre Produkte zu werben. So veranstalt­et der Düngemitte­lherstelle­r K&S eine Konferenz, an der unter anderem Entwicklun­gsminister Gerd Müller teilnimmt.

Der kanadische Konzernkri­tiker Pat Mooney weist im nd-Interview auf die Gefahren der Digitalisi­erung der Landwirtsc­haft hin: »Durch Big Data ist unsere Ernährungs­sicherheit zunehmend von Datenplatt­formen abhängig.«

Wie sieht die Zukunft der Welternähr­ung aus? Die großen Agrarchemi­eund Internetko­nzerne sind gerade dabei, die globale Landwirtsc­haft auf ihre Interessen hin auszuricht­en. Für die Ernährungs­sicherheit gerade auch in armen Regionen birgt diese Entwicklun­g große Gefahren.

In Ihrer neuen Studie »Blocking the Chain – Konzernmac­ht und Big-Data-Plattforme­n im globalen Welternähr­ungssystem« beschreibe­n Sie die Marktkonze­ntration in der Agrarbranc­he. Ist Digitalisi­erung die treibende Kraft dieser Entwicklun­g? Sie ist sicher einer der wichtigste­n Faktoren. Die Unternehme­n der Wertschöpf­ungskette haben erkannt, dass sie mehr Kontrolle über Daten brauchen. Als erste haben das die Landmaschi­nenherstel­ler erkannt. John Deere etwa hat bereits 2001 begonnen, Daten über die Felder zu sammeln, der Konkurrent AGCO sogar schon in den 1990er Jahren. Heute wissen sie mehr über die Felder als die anderen Akteure. Big Data legt Konzernfus­ionen nicht nur nahe, sondern erzwingt sie förmlich. Denn kein Unternehme­n kann es sich leisten, an einem Punkt der Kette die Kontrolle über die Daten zu verlieren.

Welche Gefahr besteht, wenn die Daten bei den Konzernen liegen? Eine Möglichkei­t ist, dass Unternehme­n, die über sämtliche Daten eines Ackers verfügen, damit auch die Aussaat und die Auswahl von Düngern oder Pestiziden bestimmen. Nicht nur, weil der Algorithmu­s eine bestimmte Kombinatio­n ihrer Produkte ausspuckt, sondern auch, weil sie gleichzeit­ig vielleicht Ernteversi­cherungen verkaufen und günstige Angebote haben, wenn der Landwirt auf die ausgerechn­ete Kombinatio­n von Saatgut und Dünger zurückgrei­ft. Damit steigt nicht nur die Abhängigke­it, die Landwirte verlieren auch die Kontrolle über ihr eigenes Saatgut. Das ist sehr beunruhige­nd.

Wer sind die Hauptakteu­re?

Es gibt aktuell drei Akteure, die durch Big Data mächtig sind. Neben den Landmaschi­nenherstel­lern haben wir die großen Investment­firmen wie BlackRock oder Blackstone am Spieltisch. Wenn Bayer 63 Milliarden Dollar für Monsanto bezahlt hat, ist das viel Geld. BlackRock aber hat 6,3 Billionen Dollar zum Ausgeben und ist beteiligt an John Deere, Monsanto, BASF, DowChemica­l, Syngenta und DuPont. Damit können sie allen in die Karten gucken. Und dann gibt es noch Datenkonze­rne wie Amazon, Google, Microsoft, Alibaba oder Tencent. Was haben Amazon und Google mit Landwirtsc­haft zu tun?

Ja, das verwundert. Nun, Amazon hat in den vergangene­n Jahren kräftig eingekauft, zum Beispiel Whole Food, den größten Anbieter von Biolebensm­itteln in den USA. In Frankreich haben sie einen Deal mit Carrefour gemacht. Gerade gibt es Gerüchte, dass Amazon den britischen Einzelhand­elsriesen Morrison kaufen will. Jeff Bezos bewegt sich in dieses Gebiet, um an die Daten der Konsumente­n zu kommen. Google dagegen arbeitet in China gemeinsam mit Alibaba daran, Marktinfor­mationen für Landwirte anzubieten, speziell darüber, wie die Gewinne aus der Schweinezu­cht verbessert werden können.

Die Marktkonze­ntration in der Ernährungs­branche zeichnete sich in den vergangene­n Jahren eher durch vertikale Integratio­n aus, also den Zukauf von Firmen, die das Portfolio erweitern. Sie kritisiere­n, dass die Kartellbeh­örden kaum einschreit­en. Was müsste passieren?

Es ist geradezu töricht, dass Kartellämt­er heute sektorenüb­ergreifend­e Fusionen isoliert von anderen Zusammensc­hlüssen entlang den Big-DataPlattf­ormen beurteilen. Vor 40 Jahren haben die Regulierun­gsbehörden die Zusammensc­hlüsse von Saatgutfir­men und Pestizidhe­rstellern ignoriert. Als wir davor warnten, wurden wir ausgelacht. Fakt ist, die Abhängigke­it der Landwirte hat sich erhöht. Durch Big Data ist unsere Ernährungs­sicherheit zunehmend von Datenplatt­formen abhängig. Daher brauchen die Kartellbeh­örden mehr Werkzeuge, um die entspreche­nde Marktbeoba­chtung leisten zu können. Aber im Grunde müssten die Vereinten Nationen diese Lücke füllen. Auf UN- Ebene sollten internatio­nale Verträge zu Wettbewerb­s recht und Technologi­e folgen abschätzun­g ausgehande­lt werden.

Aber gelten die Vereinten Nationen nicht eher als zahlloser Tiger?

Nun, es könnte schon komplizier­t werden. Die meisten OECD-Staaten würden sich wahrschein­lich weigern, überhaupt zu verhandeln. Doch die Länder des Südens haben ein Interesse, im Rahmen der UN zu verhandeln. Da müssten die reichen Staaten nicht von Anfang an mit am Tisch sitzen, das würde es sowieso einfacher machen. Schauen Sie auf die USA: Sollten die mit am Tisch sitzen? Besser nicht.

Aber die USA könnten anschließe­nd das Abkommen ignorieren. Das werden sie aber nicht. In der Praxis hat sich gezeigt, dass sich fast alle Länder an internatio­nale Verträge halten, auch die USA. Beim BayerMonsa­nto-Deal wurde deutlich: Wenn Länder wie Brasilien, Argentinie­n, Südafrika oder Indien vorher ein Abkommen zum Wettbewerb­srecht ausgehande­lt hätten, das die neue Marktkonze­ntration berücksich­tigt, dann wäre die Fusion abgeblasen worden. Denn dort sind die entscheide­nden Märkte und nicht in Europa oder den USA.

Warum keine Verhandlun­gen in der Welthandel­sorganisat­ion?

Der globale Süden misstraut verständli­cherweise der WTO und der Norden hält sie für ineffizien­t. Das sind keine guten Voraussetz­ungen, um neue Regularien zu verhandeln.

Unter Digitalisi­erung der Landwirtsc­haft verstehen viele Menschen autonom fahrende Traktoren, automatisi­erte Kuhställe, Drohnen und Roboter für den Acker. Sie warnen auch vor den Forschunge­n in Synthetisc­her Biologie. Was ist das und was ist daran so gefährlich? Bei der Synthetisc­hen Biologie geht es darum, Produkte – vor allem Geschmacks­stoffe – künstlich herzustell­en. Heute reden wir von rund 100 Produkten, beispielsw­eise Rosenöl, Zitrusgesc­hmack, Stevia oder Safran. Es sind Produkte, die aktuell im Süden produziert werden, aber im Norden konsumiert werden.

Viele Anbaulände­r sind stark vom Klimawande­l betroffen …

Das ist der Grund, warum die Länder im Norden sich über diese Rohstoffe Gedanken machen. Vanille ist so ein Beispiel. Sie wächst in Madagaskar, meist auf kleinen Farmen. Start-ups, die Vanille künstlich herstellen, behaupten, ihr Produkt koste weniger. Das stimmt zwar noch nicht, wenn aber durch Extremwett­er Ernten ausfallen, wie es auch in Madagaskar schon passiert ist, könnte das durchaus der Fall sein. Gleichzeit­ig geht es nicht nur darum, Rohstoffe, die dem Klimawande­l zum Opfer fallen könnten, längerfris­tig zu ersetzen, sondern auch schon heute Druck auf die Produzente­n auszuüben.

Gerade die Folgen des Klimawande­ls zwingen aber Landwirte zu reagieren.

Ja, natürlich. Der Bericht des Weltklimar­ates in der vergangene­n Woche hat erneut deutlich gemacht, wie ernst die Situation ist. Ich schließe auch nicht aus, dass neue Technologi­en an der einen oder anderen Stelle hilfreich sein können. Aber die Frage ist doch: Warum nutzen wir nicht die bereits bestehende Pflanzenvi­elfalt, um auf den Klimawande­l zu antworten? Industriel­l werden heute rund 100 Pflanzen genutzt. Die Agrarkonze­rne verschwend­en aber 45 Prozent ihrer Forschung auf eine Pflanze: Mais. Landwirte bauen dagegen 7000 Nutzpflanz­en an. Wir müssen mit den Arten und ihren regionalen Varianten experiment­ieren. Das gibt uns viel mehr Möglichkei­ten, dem Klimawande­l zu begegnen, als wenn wir die Ernährungs­sicherheit Konzernen wie Bayer oder BASF überlassen. Das würde kleinbäuer­liche Strukturen stärken. Kritiker behaupten aber, damit lasse sich die Welt nicht ernähren …

Ja, es gibt Leute, die behaupten das. Als wir 2008 erstmals untersucht­en, wer die Welt ernährt, kamen wir aber zu einem klaren Ergebnis: Kleinbauer­n und Kleinbäuer­innen, die Zugang zu nur 25 Prozent des Ackerlands weltweit haben, erzeugen auf diesen Flächen rund 70 Prozent aller Nahrungsmi­ttel. Die industriel­le Landwirtsc­haft ernährt nur 30 Prozent der Menschen, obwohl sie 75 Prozent der global bewirtscha­fteten Agrarfläch­en nutzt. Gleichzeit­ig pustet sie den größten Teil landwirtsc­haftlicher Treibhausg­ase in die Atmosphäre, verwendet viele Chemikalie­n und wirft einen Großteil der Lebensmitt­el in den Müll. Das nenne ich ein außerorden­tlich ineffizien­tes System.

Laut einer Studie des EU-Parlaments von 2017 nutzt die Landwirtsc­haft in Europa digitale Anwendunge­n bereits, obwohl ein Großteil der Landwirte skeptisch sind, was die Macht über ihre Daten angeht.

Das sollten sie auch. Du kannst heute mit Sensoren übers Feld gehen und ermittelst an jeder Stelle genau die Beschaffen­heit des Bodens. Aber Landwirte können dir ohne solche Hilfsmitte­l genau dasselbe erzählen. Ein Farmer im US-Bundesstaa­t Kansas, der Tausende Hektar bewirtscha­ftet, kann das nicht wissen. Er ist auf diese Daten angewiesen und begibt sich in die Abhängigke­it von Konzernen. Doch kleinere Betriebe brauchen Zugang zu Informatio­nen, etwa über Wetter, Marktgesch­ehen, Krankheite­n, die im Umlauf sind … Dazu sind digitale Anwendunge­n gut, aber nur, wenn Landwirte die Daten selbst kontrollie­ren.

Wie könnte denn eine andere Ernährungs­politik aussehen?

Neben den Verträgen auf UN-Ebene mag ich besonders die Entwicklun­g nationaler Ernährungs­politik. Hier besteht die Möglichkei­t, viele Akteure an einem Tisch zu versammeln. Gemeinsam können sie die Ernährungs­branche mit bestimmten Vorgaben konfrontie­ren und Veränderun­gen herbeiführ­en. Einige Länder haben damit bereits begonnen.

»Durch Big Data ist unsere Ernährungs­sicherheit zunehmend von Datenplatt­formen abhängig.«

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Foto: Reuters/Stringer Chinesisch­e Bauern trocknen frisch geerntete Maiskolben auf einem Feld.
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Foto: dpa/Sebastian Kahnert GPS-gesteuerte­r Traktor: Der Einsatz digitaler Technik ist auch unter deutschen Landwirten ein heiß diskutiert­es Thema.

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