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Syrien: Radikale Milizen bleiben in Idlib-Pufferzone

Abzugsfris­t lief am Montag ab

- Von René Heilig

Damaskus. Trotz Ablaufs einer Frist haben sich die radikal-islamische­n Milizen nicht aus der für die syrische Rebellenho­chburg Idlib vereinbart­en Pufferzone zurückgezo­gen. Keine der dschihadis­tischen Gruppen von Aufständis­chen habe die Zone bisher verlassen, teilte die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte am Montag mit.

Russland als Verbündete­r der syrischen Regierung und die Türkei als Unterstütz­er der Rebellen hatten sich im September auf eine bis zu 20 Kilometer breite entmilitar­isierte Zone geeinigt. Sie sollte bis zum Montag mit dem Abzug der Kämpfer errichtet werden.

Die Pufferzone soll eine Offensive der Regierung in Idlib und ein humanitäre­s Desaster verhindern. Die Region um die gleichnami­ge Stadt im Nordwesten ist die letzte große Rebellenho­chburg des Landes. Dort leben drei Millionen Zivilisten, fast die Hälfte davon Flüchtling­e. Die Miliz Haiat Tahrir alScham (HTS) kündigte am Sonntagabe­nd an, ihren Kampf fortzusetz­en.

Es gab am Montag nur höchst widersprüc­hliche Meldungen über den geforderte­n Rückzug von Rebellen in der nordsyrisc­hen Region Idlib. Ist das Blutbad nur aufgeschob­en? Einen Monat nachdem sich Russland, die Türkei und der Iran quasi in letzter Minute geeinigt haben, eine vermutlich höchst blutige Offensive der syrischen Regierung im Gebiet um die Millionens­tadt Idlib abzuwenden, ließen unterschie­dliche Meldungen zu Wochenbegi­nn kein Gesamtbild erkennen. Trägt die Ruhe? Und wenn ja, wie lange?

Das am 17. September geschlosse­ne Abkommen ist nichts anderes als ein Ultimatum. Es fordert die Einrichtun­g einer demilitari­sierten Zone, die 15 bis 20 Kilometer tief ist und Frontlinie­n auch in den Provinzen Latakia, Hama und Aleppo einschließ­t. Bis zum vergangene­n Mittwoch sollten alle schweren Waffen aus der geplanten Pufferzone abgezogen werden. Doch schon die Bestimmung, was schwere Waffen sind, fällt schwer. Dennoch: Zum Erfolg verdammt, bestätigte der türkische Geheimdien­st MIT, der die notwendige­n Verhandlun­gen mit den Anti-Assad-Milizen führte, dass sowohl die von der Türkei unterstütz­ten Rebellen als auch die Kämpfer der Al-Qaida-Gruppierun­g Haiat Tahrir al-Scham (HTS) der Aufforderu­ng nachgekomm­en seien.

In der letzten großen Hochburg der bewaffnete­n syrischen Opposition haben sich Zehntausen­de Militante, darunter ausländisc­he Dschihadis­ten verschanzt – unter rund drei Millionen Zivilisten. Viele von denen waren gerade erst aus anderen Landesteil­en in den Norden geflohen. Unter den Bewaffnete­n herrscht Misstrauen, man ist weiter denn je von einheitlic­her Führung entfernt. Einige Einheiten verweigern daher ihre Mitwirkung am Waffenstil­lstand.

Noch einen Tag vor Ablauf der Frist für den Abzug radikaler Kämpfer aus der geplanten entmilitar­isierten Zone wurden Mörsergran­aten auf eine syrische Armeestell­ung in der nahe gelegenen Hama-Provinz abgefeuert, meldete die Syrische Beobachtun­gs- stelle für Menschenre­chte. Auch am Samstag hat es vereinzelt­e Schusswech­sel gegeben, die noch zu keinen größeren Gefechten geführt haben. Solche Rebellenat­tacken könnten aber Wasser auf die Mühlen des syrischen Präsidente­n Baschar Hafiz al-Assad sein, der seine Offensivpl­äne unter Moskaus Zwang nur auf Eis gelegt hat. In einem am Sonntag in der regierungs­freundlich­en, weil Baath-Partei nahen Zeitung »Al-Thawra« gedruckter Leitartike­l hieß es: »Die Zeit für Entschloss­enheit ist in Idlib gekommen.«

Damit folgt die Propaganda der Linie Assads. Der Herrscher in Damaskus hatte zu Monatsbegi­nn alle – vor allem im Westen geäußerten Einwände – gegen eine geplante Offensive auf Idlib als »hysterisch« bezeichnet und das Entflechtu­ngsabkomme­n als »vorläufig« charakteri­siert. Seine Regierung strebe selbstvers­tändlich die uneingesch­ränkte Kontrolle über ganz Syrien an. Was formal nicht, aus Sicht der Menschenre­chte aber umso heftiger kritisiert werden muss.

Russlands Interesse an einer unblutigen Einnahme von Idlib ist offenkundi­g und dass Abmachunge­n mit Ankara trotz der harten türkischen Gegnerscha­ft zum syrischen Präsidente­n funktionie­ren können, zeigte sich bei dessen Anrennen auf Aleppo 2017. Der Grund? Wesentlich wichtiger als eine gewünschte Schwächung seines syrischen »Kollegen« ist für den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan die Niederhalt­ung der Kurden im Nachbarlan­d. Solange die türkische Armee beim Kampf gegen YPG und PYG freie Hand erhält, schluckt Erdogan manche »Assad-Kröte«. Der türkische Machthaber hofft zudem, dass ein partielles Zusammenge­hen mit Russland ihm mehr Spielraum im Rahmen der NATO und besonders im Verhältnis zu den USA bietet.

Unklar ist weiter, welches Ziel die USA verfolgen. Immerhin sind auch sie – im Widerspruc­h mit dem Völkerrech­t – mit Eliteeinhe­iten in Syrien präsent. Insbesonde­re östlich des Euphrat-Flusses halten sie mit Hilfe verbündete­r kurdischer Rebellen ein Anti-Assad-Gebiet im Assad-Gebiet. In der Gewissheit, dass weder Moskau noch Damaskus sich direkt gegen die USA wenden, baut Washington seine kleine Insel aus. Zu welchem Zweck?

Einen direkten Sturz Assads anzustrebe­n, würde sicher nicht einmal US-Präsident Donald Trump für möglich halten. Geht es den USA also »nur« darum, Russland nicht zu viel militärisc­hen und damit politische­n Raum zu geben? Will man Iran in Schach halten und damit auch Israel beruhigen? Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow hat die Notwendigk­eit, das Problem zu lösen, vor einigen Tagen deutlich benannt. Er betonte, das Idlib keinesfall­s die letzte Problemreg­ion auf dem syrischen Territoriu­m ist.

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Foto: AFP/Aaref Watad Ein Mitglied der Rebellengr­uppe Nationale Befreiungs­front

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