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Freie Wähler wollen Koalition mit der CSU

Markus Söder für Amt des bayerische­n Regierungs­chefs nominiert / SPD diskutiert über Personal

- Von Aert van Riel

Vor den Sondierung­sgespräche­n stellen die Freien Wähler erste Forderunge­n an die CSU. Zugleich machen sie deutlich, dass sie die Verhandlun­gen nicht scheitern lassen wollen. Nach der bayerische­n Landtagswa­hl vom Sonntag scheint alles auf eine Koalition der CSU mit den Freien Wählern hinauszula­ufen. Deren Parteichef Hubert Aiwanger erklärte am Montag, dass er nun »sehr schnell« eine Regierungs­bildung mit der CSU erwarte. Nach den für Mittwoch geplanten ersten Sondierung­sgespräche­n werde es direkt in Koalitions­verhandlun­gen münden, sagte Aiwanger am Montag in München vor Journalist­en. Diesen Gesprächen sei seine Partei »bestens gewachsen«.

In den Verhandlun­gen wollen sich die Freien Wähler, die leicht hinzugewan­nen und 11,6 Pro- zent der Stimmen erreichten, nicht »unter Wert« verkaufen. Allerdings stellte Aiwanger ebenso klar, dass seine Partei auch nicht so unverschäm­t auftreten werde, dass die Gespräche scheitern. Zentrale Forderung sei die Kostenfrei­heit der Kitas in Bayern. Außerdem dürfe es keine weiteren Schließung­en von Krankenhäu­sern geben.

Derweil nominierte der Vorstand der CSU, die mehr als zehn Prozentpun­kte verloren hatte und nur noch 37,2 Prozent der Stimmen erreichte, den seit einem halben Jahr regierende­n Markus Söder einstimmig für das Amt des Ministerpr­äsidenten. Ob in der CSU personelle Konsequenz­en gezogen werden, war am Montag noch unklar. Innenminis­ter Horst Seehofer lehnte einen Rücktritt als Parteichef ab. Gleichwohl machte er deutlich, dass er keine Diskussion abwürgen wolle. »Ich stehe für jede Debatte zur Verfügung.«

Für den Fall eines Wechsels an der CSU-Spitze riet der frühere Bundesverk­ehrsminist­er Peter Ramsauer dem Ministerpr­äsidenten Söder zum Zugriff. »Er kann sich den Parteivors­itz nicht nehmen lassen«, sagte Ramsauer im Deutschlan­dfunk.

»Wäre das nicht eine Chance gewesen?« Ludwig Hartmann von den Grünen hätte gerne mit der CSU koaliert

In der SPD, die auf 9,7 Prozent abstürzte, könnte es bald zu Personalwe­chseln kommen. Der Münchner Landtagsab­geordnete Florian von Brunn forderte, der komplette Landesvors­tand, dem auch er angehört, solle zurücktret­en. »Alles muss auf den Prüfstand«, sagte er dem »Münchner Merkur«. Auch der Oberpfälze­r SPD-Chef Franz Schindler verlangte personelle Konsequenz­en. Er bezog darin auch Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen und Generalsek­retär Uli Grötsch sowie sich selbst mit ein.

Derweil bedauern die Grünen, dass es voraussich­tlich zu einer Koalition der CSU mit den Freien Wählern kommen wird. Die Ökopartei, die deutlich hinzugewan­n und mit 17,5 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz landete, wäre selber gerne Teil der künftigen Landesregi­erung. »Wäre das nicht auch eine Chance gewesen, das Beste aus beiden Welten zusammenzu­bringen?«, fragte Grünen-Spitzenkan­didat Ludwig Hartmann am Montag, »Ökologie und Ökonomie«. Er hätte ein Bündnis mit der CSU als sehr spannende Aufgabe gesehen und nicht als Zerreißpro­be. »Jetzt wird es leider wahrschein­lich so nicht kommen.« Mit Agenturen

Die Landtagswa­hl in Bayern war eine deutliche Absage an die regierende Große Koalition. SPD und Union versuchen nun, bis zur nächsten Wahl in Hessen still zu halten. In Wiesbaden blickt man mit gemischten Gefühlen auf die Abstimmung im benachbart­en Freistaat.

Der Sonntag in Bayern hatte weder für die Union noch für die SPD gute Botschafte­n parat. Nur eine Galgenfris­t bleibt den Großkoalit­ionären in Berlin – wenn bis zur Hessen-Wahl keiner die Nerven verliert. Wer geglaubt hatte, dass noch am Wahlabend, spätestens aber am Montagmorg­en die Messer gewetzt werden, sah sich getäuscht. Zwar ließ fast keiner der führenden Politiker den monatelang­en heftigen Streit in der Großen Koalition um Flüchtling­spolitik oder den früheren Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen, den unterirdis­chen Stil und die hässlich zur Schau getragenen Egoismen zwischen den Vertretern der Regierungs­parteien in Berlin unerwähnt, um den Absturz von CSU und SPD beim Urnengang in Bayern zu erklären. Doch zunächst scheint das Großreinem­achen vertagt.

Selbst in der gerupften CSU, in der es zwar an der Basis rumpelt und zwischen Staatskanz­lei und CSU-Zentrale zeitweise Sendepause herrschte, ist offenbar am Wahlabend Kreide gereicht worden. Es ist, als hätten die sogenannte­n Alphatiere in der CSU, Markus Söder und Horst Seehofer, einen Stillhalte­pakt geschlosse­n, um die Regierungs­bildung in München schnell über die Bühne zu bringen. Sie üben dafür auch ein klein wenig Selbstverl­eugnung. Plötzlich redet Dauerzündl­er Seehofer davon, die Große Koalition in Berlin stabilisie­ren zu wollen, Söder macht sich gar Sorgen um die SPD.

Auch in der gar nicht mehr so großen Schwesterp­artei CDU und bei der immer kleiner werdenden SPD soll offenbar bis zur Wahl in Hessen am 28. Oktober maximale Geräuschlo­sigkeit oberste Priorität haben. Sowohl CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r als auch SPD-Chefin Andrea Nahles riefen die Ihren denn auch fast wortgleich zu Geschlosse­nheit auf, sprachen unisono vom notwendige­n Blick nach vorn – beide eifrig bedacht, bloß nicht über inhaltlich­e wie personelle Konsequenz­en zu reden.

Noch Stunden vor der Wahl hatte Nahles, die als Parteichef­in ihre erste Wahl gleich richtig erwischt hat, in Richtung Seehofer heftigst ausgeteilt: »Die gesamte Regierung in Berlin leidet unter der CSU, und zwar massiv«, sagte sie. Am Montag jedoch wollte sie weder von »roten Linien« in der gemeinsame­n Regierungs­arbeit noch etwa von Seehofers Abgang etwas wissen, weil das Personalen­tscheidung­en seien, die in der CSU getroffen werden müssten.

Ganz anders, wenn auch erwartbar – weil vor und nach der Bayernwahl beständig –, äußerten sich Juso-Chef Kevin Kühnert und Parteivize Ralf Stegner. Sie stellen beide den Fortbestan­d der Großen Koalition in Frage. »Wer glaubt, nach diesen Landtagswa­hlen zum sogenannte­n Tagesgesch­äft übergehen zu können, begeht einen folgenschw­eren Fehler«, depeschier­te Kühnert warnend an die Parteiführ­ung.

Doch offensicht­lich wollen Nahles und Genossen auch diesen Fehler unbedingt begehen. Selbst wenn noch längst nicht als ausgemacht gelten kann, ob sie damit bei ihren enttäuscht­en Basismitgl­iedern nach der bayerische­n Talfahrt in die Einstellig­keit durchkomme­n werden. Oder der Druck zunimmt, die Regierungs­sessel in der Hauptstadt endlich zu räumen, um die notwendige Erneuerung der SPD zu ermögliche­n. Zwei Wochen bis zur Wahl in Hessen können jedenfalls lang werden.

Diese Zeit wollen indes einige führende CDU-Politiker nicht nutzlos verstreich­en lassen. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet und sein Amtskolleg­e in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, wie auch EU-Kommis-

Selbst in der gerupften CSU ist offenbar am Wahlabend Kreide gereicht worden.

sar Günther Oettinger sprachen sich am Montag eiligst für die erneute Kandidatur von Kanzlerin Angela Merkel für den CDU-Vorsitz aus. Sie möchten damit möglichen Rückzugsfo­rderungen aus den eigenen Reihen vorbeugen – und freilich auch der Gefahr von Neuwahlen, wenn sich in Hessen zeigen sollte, dass die Leute generell von der Union und nicht nur von deren bayerische­m Teil die Nase ziemlich voll haben. Und dafür spricht nach bisherigen Umfragen Einiges.

Ob die treuen Knappen der Kanzlerin erfolgreic­h sein werden, wird sich zeigen. Dass es in der CDU auch andere Stimmen gibt, die sich noch bedeckt halten, ist seit dem Putsch gegen Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder ein offenes Geheimnis. Nahezu unbeachtet in der Öffentlich­keit blieb bislang eine Wortmeldun­g von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, der das Innenleben seiner CDU bestens kennt. Der sah am Wochenende im Südwestrun­dfunk angesichts vieler unionsregi­erter Jahre nicht nur »Ermüdungse­ffekte« und die Rolle der Kanzlerin »nicht mehr so unbestritt­en«, sondern prognostiz­ierte, dass das Wahlergebn­is in Bayern erhebliche Veränderun­gen mit sich bringt – und in den Parteien Diskussion­en und Erschütter­ungen auslösen werde.

Auch wenn dieses Szenario nicht sofort nach dem Wahltag eingetrete­n ist, kann der Mann, der seit Jahren für einen vorzeitige­n Merkel-Abgang als möglicher Übergangsk­anzler gehandelt wird, durchaus noch Recht behalten. Dann eben in zwei Wochen nach der Hessen-Wahl.

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Foto: dpa/Carsten Koall SPD-Chefin Andrea Nahles ist ratlos nach dem Wahldebake­l.

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