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Neustart von Neo-Nazi-Prozess in Koblenz stockt

Nach fast fünf Jahren Verhandlun­g ging Richter in Pension – bei zweitem Versuch soll Angeklagte­r erkrankt sein

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2017 wurde der Koblenzer Prozess gegen mutmaßlich­e Neonazis aus dem Umkreis des »Aktionsbür­o Mittelrhei­n« ohne Ergebnis eingestell­t. Die zweite Runde könnte sich bis ins Jahr 2020 ziehen.

Koblenz. Stinkbombe­n, Hakenkreuz­Schmierere­ien und vieles mehr haben einst einen Koblenzer Mammutproz­ess gegen mutmaßlich­e Neonazis verzögert – bis dieser dann wegen der Pensionier­ung des Richters geplatzt war. Am Montag ist es die amtsärztli­ch bestätigte Erkrankung eines Angeklagte­n, die auch den Neustart des Verfahrens vorerst abwürgt – noch vor Verlesung der Anklage.

Der Beschuldig­te verließ am Montag verhandlun­gsunfähig den größten Saal des Landgerich­ts Koblenz. »Das ist zu akzeptiere­n«, sagte der Vorsitzend­e Richter Reiner Rühmann. Die zunächst angestrebt­e Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagte­n verwarf die Kammer nach einem vielstimmi­gen Protest der Verteidige­r. Nächster Verhand- lungstag ist nun der 23. Oktober – dreieinhal­b Monate nach dem Ende des Münchener NSU-Prozesses um tödlichen Nazi-Terror.

In der neuen Runde des 2017 eingestell­ten Koblenzer Verfahrens gegen mutmaßlich­e Neonazis geht es zwar nicht um Mord, aber um die Mitgliedsc­haft in einer kriminelle­n Vereinigun­g, Körperverl­etzung und Sachbeschä­digung. Die Anklagesch­rift umfasst insgesamt 926 Seiten. Im ersten Verfahren ist von Gewalt gegen Linke, einem unangemeld­eten Fackelmars­ch, aufgesprüh­ten Hakenkreuz­en und versuchten Brandansch­lägen auf Autos in den Jahren 2010 und 2011 die Rede gewesen. Die Angeklagte­n stammen mutmaßlich aus dem Umkreis der rechtsextr­emen Organisati­on »Aktionsbür­o Mittelrhei­n« mit einem sogenannte­n Braunen Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Es besteht der Verdacht, dass sich die Mitglieder des Netzwerks spätestens im Jahr 2009 radikalisi­erten.

Von den einst 26 Angeklagte­n bleiben in der zweiten Runde 16 übrig. Gegen einen 17. Angeklagte­n hat die Kammer das Verfahren laut Gerichtssp­recherin Claudia Göbel erst am vergangene­n Donnerstag eingestell­t.

Das Landgerich­t hatte den ursprüngli­chen Prozess im Mai 2017 wegen der »überlangen Verfahrens­dauer« von fast fünf Jahren spektakulä­r ohne Urteil eingestell­t: Der damalige Vorsitzend­e Richter HansGeorg Göttgen ging kurz darauf in Pension, es gab jedoch keinen Ergänzungs­richter mehr. Auf Beschwerde der Staatsanwa­ltschaft hob das Oberlandes­gericht Koblenz die Einstellun­g des Verfahrens auf. Beim Neustart sind gleich zwei Ergänzungs­richter und Ergänzungs­schöffen dabei, um die Fortführun­g sicherzust­ellen.

Der neue Vorsitzend­e Richter Rühmann erwartete vorerst 90 terminiert­en Verhandlun­gstagen bis Ende 2019. Möglicherw­eise könne das Verfahren auch in das Jahr 2020 reichen. Der Verteidige­r André Picker formuliert­e am Rande des Prozesses einen Vorwurf gegen die rotgelb-grüne Regierung von Rhein- land-Pfalz. Sie habe nicht mit einer Änderung des Landesrich­tergesetze­s eine Verzögerun­g der Pensionier­ung des ursprüngli­chen Vorsitzend­en Richters Göttgen mit dessen Einverstän­dnis ermöglicht. Dann wäre der erste Prozess nicht geplatzt. »In den meisten anderen Bundesländ­ern wäre das möglich«, sagt der Anwalt.

Das Justizmini­sterium in Mainz erinnerte daran, dass ein entspreche­nder Antrag der CDU-Opposition im rheinland-pfälzische­n Landtag von der rot-gelb-grünen Mehrheit mit mehreren Argumenten zurückgewi­esen worden sei. Unter anderem hätten verfassung­srechtlich­e Bedenken für das Wohl des laufenden Neonazi-Prozesses bei einer gleichzeit­igen Gesetzesän­derung eine Rolle gespielt.

Die CDU-Fraktion hat gleichwohl kürzlich ihre Forderung erneuert. Die nicht im Landtag vertretene LINKE sieht dagegen nach Angaben vom Montag das Justizmini­sterium in der Pflicht, für genügend personelle Ressourcen für das Koblenzer Verfahren zu sorgen.

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