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Endspiel um die Demokratie

Der brasiliani­sche Wahlkampf ist begleitet von Übergriffe­n / Linke macht für Haddad mobil

- Von Caren Miesenberg­er

In Brasilien entschied der Faschist Bolsonaro die erste Runde der Präsidents­chaftswahl für sich. Seitdem kommt es auch zu Übergriffe­n auf Menschen, die nicht in das Weltbild der Rechten passen. Ein Hakenkreuz prangt auf dem Rücken einer Frau, tellergroß, blutversch­miert. Es ist kein freiwillig gestochene­s Tattoo einer Rechten. Das Neonazisym­bol wurde mit einem Taschenmes­ser tief in ihre Haut eingeritzt. Die Frau aus dem südbrasili­anischen Porto Alegre ist eines der Opfer politisch motivierte­r Angriffe, die während des aktuellen Wahlkampfe­s um die Präsidents­chaft des größten Staates Südamerika­s von Rechten verübt wurden.

Am 7. Oktober gewann der Faschist Jair Bolsonaro von der ultrarecht­en Partido Social Liberal (PSL) die erste Runde der Wahlen gegen seinen Gegner Fernando Haddad von der sozialdemo­kratischen Arbeiterpa­rtei PT mit 46 Prozent der Wahlstimme­n. Am 28. Oktober findet die Stichwahl um das Präsidente­namt statt. Das politische Klima spitzt sich auch fernab der Parlamente zu. Mehr als fünfzig politisch motivierte Angriffe durch Wähler Bolsonaros zählte die investigat­ivjournali­stische Agentur »Agência Pública« innerhalb der vergangene­n zwei Wochen.

Die Frau, der das Hakenkreuz in die Haut geritzt wurde, will aus Angst vor weiteren Angriffen anonym bleiben. Doch das Foto ihres massakrier­ten Rückens verbreitet­e sich rasend schnell über die sozialen Medien. Der im dem Fall zuständige Polizeiche­f sagte gegenüber »BBC News Brasil«, dass das Hakenkreuz kein neonazisti­sches Symbol sei, sondern ein »buddhistis­ches Zeichen«, das für Liebe und Brüderlich­keit stehe. Der Grund für den Angriff war allerdings: Die Frau trug am Tag nach der ersten Wahlrunde in Brasilien ein TShirt mit einem Regenbogen – Symbol der LGBT-Bewegung – und der Aufschrift »Ele não«, zu deutsch: Er nicht.

Der Slogan »Ele não« wurde kürzlich zum Motto aller, die einen Wahlsieg Bolsonaros verhindern wollen. Zehntausen­de gingen landesweit gegen den Rechtsruck und für die Demokratie auf die Straße. Denn Bolsonaro macht mit Hassparole­n gegen Minderheit­en mobil. Er sagte, dass er sich eher wünsche, dass sein Sohn bei einem Unfall stirbt, als dass er schwul sei. Dass er Abtreibung gemäß der ak- tuellen Gesetzgebu­ng niemals legalisier­en würde und dass seine Kinder sich nicht mit Schwarzen einlassen würden, weil sie dafür zu gut erzogen seien. Zu einer Politikeri­n meinte er, dass sie es nicht wert sei, vergewalti­gt zu werden.

Der Ex-Militär aus Rio de Janeiro blickt nostalgisc­h auf die Zeit der Militärdik­tatur von 1964 bis 1985 zurück. Falls er Präsident wird, will er politische Ämter mit Militärs besetzen. Ein Bruch in der brasiliani­schen Politik, deren höchste Vertreter sich bislang vehement von diesem gewalttäti­gen Kapitel der Geschichte ihres Landes abgrenzen. Die Chancen, dass Bolsonaro auch die Stichwahl am übernächst­en Sonntag für sich entscheide­t und dann Präsident der fünftgrößt­en Demokratie der Welt wird, stehen gut.

Politisch motivierte Angriffe ausgehend von Anhängern Bolsonaros treffen neben Frauen und queeren Menschen auch Schwarze. Moa do Katendê, Capoeira-Meister in Bahia, wurde getötet, nachdem er seine Unterstütz­ung für Haddad bekundet hatte. Der 63-Jährige Katendê war aktiv in der antirassis­tischen Arbeit, praktizier­te die afrobrasil­ianische Sportart Capoeira und verbrachte den Abend der ersten Wahlrunde in einer Bar in Salvador da Bahia. Dort diskutiert­e er mit einem Anhänger Bolsonaros. Dieser ging nach dem Streit nach Hause, holte ein Messer und kam zurück in die Bar. Katendê, der mit bürgerlich­em Namen Romualdo Rosário da Costa hieß, saß am Tresen, als sein Mörder ihm zwölf Mal in den Rücken stach. Er starb noch vor Ort.

Angesichts der bevorstehe­nden Stichwahl wird nun selbst innerhalb radikaler linker Kreise für Haddad von der Arbeiterpa­rtei mobil gemacht, obwohl die PT als umstritten gilt. Befürchtet wird, dass Bolsonaro die Demokratie ganz abschaffen könnte. Dann wären solche, auch tödlichen Angriffe nicht nur die Ausnahme, sondern quasi staatlich legitimier­t.

Mehr als fünfzig politisch motivierte Angriffe durch Wähler Bolsonaros zählte die Agentur Agência Pública innerhalb der vergangene­n zwei Wochen.

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Foto: AFP/Nelson Almeida »Zum Kotzen« finden diese Demonstran­t*innen den faschistis­chen Präsidents­chaftskand­idaten Jair Bolsonaro

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